25. Tätigkeitsbericht (2003)
4.8 |
Schutz des Patientengeheimnisses
|
|
Überblick Der Datenschutz im Medizinbereich befindet sich schon seit Jahren
im Spannungsfeld der Interessen der Player im Gesundheitswesen.
Dabei geht es nicht immer nur um hehre Grundsätze einer qualitativen
Verbesserung der medizinischen Versorgung, sondern zumeist auch
um sehr viel Geld. Wir verstehen uns in diesen Konflikten als Interessenvertreter
der Patientinnen und Patienten, deren Stimme im Getöse
der Lobbyvertreter sonst noch weniger Gehör finden würde.
Dabei fällt dem Datenschutz oft die Rolle eines
Moderators zu; eine Aufgabe, der wir uns nicht entziehen können
und wollen. Allerdings beschränken wir uns nicht darauf, auf externe
Anforderungen zu reagieren. Mit unserer Aktion Datenschutz
in meiner Arztpraxis haben wir gemeinsam mit den Kammern
eine auf Dauer angelegte Kampagne begonnen, die im gesamten Gesundheitsbereich
gestaltend und überzeugend wirken soll. Die Resonanz und die
praktischen Erfolge geben uns mit unserem Ansatz Recht (s. Tz. 4.8.9). Wir konnten dabei feststellen, dass gerade der Gesundheitssektor
das ideale Anwendungsgebiet für die neuen Instrumente Datenschutzaudit
und Gütesiegel
ist, weil das Vertrauen in die ärztliche Verschwiegenheit einer
der zentralen Akzeptanzfaktoren für technische und organisatorische
Innovationen ist. Der Patientendatenschutz darf nicht zwischen widerstreitenden
wirtschaftlichen Interessen zerrieben werden. Er muss zum wirtschaftlich
nutzbaren Faktor werden. |
||
4.8.1 |
Disease-Management-Programme
|
|
Der Versuch, die Gesundheitsversorgung effektiv zu gestalten,
läuft zumeist über das Sammeln von noch mehr Patientendaten.
Nur intelligente Pseudonymisierungsprogramme können negative
Auswirkungen auf den Schutz des Patientengeheimnisses vermeiden. Im Sommer 2002 hätten gemäß einer Entscheidung
des Bundesgesetzgebers die besonderen Behandlungsprogramme für
chronisch Kranke umgesetzt werden sollen. Mit diesen Disease-Management-Programmen
(DMP) will man bei langwierigen und kostenintensiven Krankheiten
- zunächst geht es um Brustkrebs, koronare Herzkrankheiten,
Asthma und Diabetes - eine gezielte, standardisierte und zugleich
qualitätskontrollierte Behandlung und Anleitung der Patienten
bewirken. Zweck ist eine Verbesserung des Behandlungserfolges,
aber natürlich auch die Reduzierung der außer Kontrolle
geratenen Krankenkassenkosten. Für das Disease Management
sind Patientendaten über die Behandlung und das Patientenverhalten
erforderlich. Daher haben sich die Datenschutzbeauftragten von Anfang
an in die Entwicklung der Programme eingeschaltet. Leider konnten
wir nicht verhindern, dass die Lotsenfunktion für
die chronisch Kranken den Krankenkassen übertragen wurde. Diese
Aufgabenzuweisung birgt nämlich die Gefahr, dass neben dem
Ziel einer effektiven Behandlung zu sehr die Kostengesichtspunkte
in die Anleitung von Ärzten und Patienten einfließen.
Insbesondere aus der Ärzteschaft erntete DMP wegen des möglichen
Kontrolleffekts viel Kritik und Abwehr. Da wir das politische und medizinische Ziel des DMP nicht zu bewerten
hatten, haben wir versucht, die datenschutzrechtlichen Gefahren
einer zentralen Langzeitpatientendatenspeicherung durch flankierende
Sicherungen zu minimieren. Wir sehen z. B. in der Einführung
einer pseudonymen Patientendatenverarbeitung eine Chance, auch in
weiteren Bereichen der gesetzlichen Krankenversicherung einen Ausgleich
zwischen dem Schutz des Patientengeheimnisses und dem Datenbedarf
im Gesundheitswesen zu schaffen und dabei zugleich einen Interessenausgleich
zwischen den sich gegenüberstehenden Kassen und der Ärzteschaft
zu erleichtern.
Um der Gefahr des Eingriffs in die Autonomie von Patient und Arzt
zu begegnen, wurde im Regelwerk - der Risikostruktur-Ausgleichsverordnung
- ein ausgeklügeltes Datenmanagement vorgesehen: Die besonders
sensiblen medizinischen Daten sollten in einer unabhängigen
Stelle pseudonymisiert werden und nicht patientenbezogen für
Zwecke der Qualitätssicherung ausgewertet werden. Ein weniger
sensibler Datensatz soll an die Krankenkassen weitergegeben werden,
der dazu dient, den Patienten über Untersuchungs-, Behandlungs-
und Trainingsangebote zu einem optimalen medizinischen Erfolg zu
verhelfen. Leider zeigte sich die Kassenärztliche Vereinigung (KV) des
Landes zunächst wenig an einem konstruktiven Dialog interessiert.
In einer von ihr ausgehenden Anzeigenkampagne wurde kurz vor der
Bundestagswahl - aus unserer Sicht in unsachlicher Weise - die Angst
vor dem gläsernen Patienten geschürt. Erst
einige Zeit nach der Wahl setzten sich Ärzte und Kassen auch
in Schleswig-Holstein zusammen, um gemeinsam eine Lösung zu
finden. Dabei geht es insbesondere darum, dass die Patientendaten,
die sich bei den Krankenkassen befinden, einer strengen Zweckbindung
unterworfen werden und nicht dazu missbraucht werden, Patienten
und Ärzte zu gängeln.
|
||
4.8.2 |
Gesundheitskarte Schleswig-Holstein
|
|
Das Projekt einer multifunktionalen medizinischen Chipkarte
wird als Gesundheitskarte Schleswig-Holstein in der
Pilotregion Flensburg vorangetrieben. Die Initiatoren haben die
Absicht, dabei das Patientengeheimnis zu wahren. Bewegten sich die Überlegungen zur Weiterentwicklung der
alten Karte der gesetzlichen Krankenversicherungen zu
einem elektronischen Kommunikations- und Datenverarbeitungsinstrument
im letzten Jahr noch im Bereich politischer Willensbekundungen (vgl.
24. TB, Tz. 4.8.2),
so macht man sich nun an die praktische Umsetzung. Im Rahmen der
von der Landesregierung gestarteten Gesundheitsinitiative
Schleswig-Holstein wurde auf der Grundlage des Flensburger
Praxisnetzes begonnen, eine elektronische Gesundheitschipkarte zu
realisieren, auf der neben den Versichertenangaben weitere medizinische
Daten (Organspende, Allergien, Impfungen, Notfalldaten, Implantate)
und vor allem auch weitere Funktionen (Arzneimittelausweis, elektronischer
Arztbrief) sukzessive realisiert werden sollen. Flensburg ist eine
Pilotregion für die Erprobung einer Karte, die später
bundesweit eingesetzt werden soll. Die einheitlichen Vorgaben hierfür
wurden im Mai 2002 von allen beteiligten Interessengruppen unter
Einbeziehung eines Aktionsforums Telematik im Gesundheitswesen
in einer gemeinsamen Erklärung zusammengefasst, in der abweichend
von früheren Plänen die Patientenautonomie eine
zentrale Rolle spielt. Für die Chipkarte wurden Wahlfreiheit
und Patientengeheimnis als zentrale Konzeptbestandteile anerkannt. Bei dem vom Gesundheitsministerium des Landes koordinierten Flensburger
Projekt sitzen neben ambulanten und stationären Einrichtungen
Apotheker, Krankenkassen und Vertreter aus der Medizintechnik in
einem Boot. Wir begleiten das Projekt beratend. Als eines der ersten
Module soll das elektronische Rezept realisiert werden. Dabei
ist vorgesehen, dass die verschreibenden Ärzte ihre Medikation
in elektronischer Form auf einem zentralen Server ablegen und zugleich
auf der Chipkarte des Patienten dazu einen eindeutigen Pointer
abspeichern. Dieser Pointer kann in einer Apotheke elektronisch
ausgelesen werden und den Zugriff auf die zentral gespeicherten
Rezeptdaten eröffnen. Der Apotheker kann durch Abgleich der
Rezeptdaten mit einer zentralen Medikamentendatenbank feststellen,
ob bei dem Medikamentenmix für den Patienten Risiken bestehen
oder Kontraindikationen beachtet werden müssen; er kann den
Patienten entsprechend beraten. Die Einlösung des Rezeptes
wird vom Apotheker vermerkt: Die Daten werden an die Krankenkassen
elektronisch zur Abrechnung weitergegeben. Solange es für die
Nutzung des elektronischen Rezeptverfahrens noch keine gesetzliche
Verpflichtung gibt, muss das bisherige Papierrezeptverfahren selbstverständlich
parallel dazu weiter betrieben werden. Bei dem Projekt ist eine Vielzahl datenschutzrechtlicher
Fragen (z. B. welche Einwilligungen bei den Patienten einzuholen
sind) zu beantworten. Bei aller Offenheit der weiteren Projektentwicklung
muss dem Patienten durch eine präzise Information klar sein,
wozu er seine Zustimmung gibt und welche personenbezogenen Datenflüsse
vorgesehen sind. Bei der technischen Umsetzung muss durch Verschlüsselungs-
und Signaturmechanismen gewährleistet werden, dass nur befugte
Personen im notwendigen und zugelassenen Umfang auf Patientendaten
zugreifen können. Die technische Machbarkeit eines datenschutzgerechten
Datenmanagements ist dabei wohl das kleinste Problem.
|
||
4.8.3 |
Das Verfallsdatum von Einwilligungen
|
|
Die Wirksamkeit von einmal erteilten Schweigepflichtsentbindungserklärungen
für private Krankenversicherungen dauert nicht ewig. Bei Abschluss eines Versicherungsvertrages fordern private Krankenversicherer
von ihren Kundinnen und Kunden oft routinemäßig die Unterschrift
unter eine umfangreiche Schweigepflichtsentbindungserklärung.
Während der Datenfluss zwischen Ärzten und gesetzlichen
Krankenkassen nämlich gesetzlich geregelt ist, bedarf es für
eine Offenbarung von Patienteninformationen an private Krankenversicherungen
einer wirksamen Einwilligungserklärung des Patienten. Die privaten
Krankenversicherungsunternehmen bedienen sich einer im Jahre 1989
entworfenen Mustererklärung. Darin erklärt sich
der Versicherte per Unterschrift damit einverstanden, dass die Mitarbeiter
der privaten Krankenversicherung seine Patientendaten abfragen dürfen,
und zwar
Manche private Versicherungen wollen auch noch 20 und mehr
Jahre nach Vertragsabschluss ärztliche Auskünfte erhalten,
ohne dass der Versicherte zuvor eingeschaltet wird. Wer weiß
aber noch, was er vor vielen Jahren einmal unterschrieben hat, und
rechnet mit entsprechenden Datenweitergaben? Ärzte bezweifelten
uns gegenüber in vielen Einzelfällen, dass die Patienten
bei Kenntnis der Sachlage der abverlangten Offenbarung der äußerst
sensiblen Patientendaten zugestimmt hätten. Sie äußerten
ihre Angst vor strafrechtlichen Konsequenzen, wenn sie Auskünfte
erteilen und sich im Nachhinein erweist, dass die uralten Schweigepflichtsentbindungen
ungültig sind. Die problematisierten Erklärungen - Blankovollmachten
mit unbegrenzter Gültigkeit - sind wahre Muster für unbegrenzte
Pauschalität. Sie verstoßen gegen die datenschutzrechtliche
Forderung, dass Einwilligungserklärungen inhaltlich ausreichend
bestimmt sein müssen. Der Versicherte muss zum Zeitpunkt
seiner Unterschrift erkennen können, welche seiner Patientendaten
von welchen Ärzten an die Versicherung übermittelt werden
sollen. Dieses Patientenrecht wurde durch die aktuelle Rechtsprechung
des Bundesgerichtshofes und die Europäische Datenschutzrichtlinie
bekräftigt. Insbesondere bezüglich der Prüfung der
Leistungsverpflichtung durch die Versicherung wird diesen Anforderungen
mit dem Mustertext nicht (mehr) genügt. In einem ausführlichen
Gutachten haben wir diese Rechtsauffassung begründet und den
Aufsichtsbehörden bundesweit zur Kenntnis gegeben.
Zu Beginn des Versicherungsverhältnisses sollte demnach nur
noch eine Schweigepflichtentbindung verlangt werden, mit der Auskünfte
über mögliche Versicherungsrisiken eingeholt werden können.
Reicht ein Versicherter später eine Rechnung ein und entstehen
hierzu Fragen beim Versicherungsunternehmen, so sind diese an den
Versicherten zu richten. Soweit erforderlich, kann von ihm, bezogen
auf diese aktuelle Frage, eine konkrete Schweigepflichtentbindungserklärung
gefordert werden. Der Patient kann sich in genauer Kenntnis der
Umstände entscheiden, ob er diese Erklärung abgibt, und
der behandelnde Arzt kann sich sicher sein, dass er befugt Patientendaten
übermittelt.
|
||
4.8.4 |
Anforderung von Kurzberichten durch Krankenkassen
|
|
Die AOK Schleswig-Holstein hat in nahezu allen Fällen,
in denen Patienten kürzer als vier Tage stationär aufgenommen
wurden, Kostenübernahmeanträge des Krankenhauses so lange
zurückgewiesen, bis das Krankenhaus einen Kurzbericht über
den behandelten Patienten abgab. Das Sozialgesetzbuch V definiert, welche Daten Krankenhäuser
über ihre Patienten an die Krankenkassen übermitteln dürfen.
Wenn darüber hinaus z. B. die Erforderlichkeit einer kurzen
stationären Behandlung überprüft werden muss, ist
dafür der Medizinische Dienst der Krankenversicherungen (MDK)
zuständig, da für diese Beurteilung medizinischer Fachverstand
nötig ist. Den Krankenkassen steht diese Prüfung nicht
zu. Die AOK Schleswig-Holstein machte jedoch für sich
ein Vorprüfungsrecht geltend und berief sich dabei auf
die Rechtsprechung der Sozialgerichte. Sie meinte, einen Anspruch
auf Kurzberichte der Krankenhäuser zwecks Prüfung ihrer
Leistungspflicht zu haben. Bei ambulant behandelbaren Diagnosen
sei es generell erforderlich, von den Krankenhäusern nachvollziehbare
medizinische Begründungen für die Notwendigkeit der stationären
Behandlung anzufordern. Zudem sei die Anforderung von Kurzberichten
im Vertrag zwischen der Deutschen Krankenhausgesellschaft und den
Spitzenverbänden der Krankenkassen zur Überprüfung
der Notwendigkeit und Dauer der Krankenhausbehandlung ausdrücklich
geregelt. Dieser Vertrag wurde jedoch zum Jahresende 2002 gekündigt.
Damit spitzte sich der Streit auf die Frage zu, ob der nach dem
Sozialgesetzbuch zu übermittelnde Datensatz abschließend
ist - so die Sicht der Krankenhäuser - oder nicht - so die
Sicht der Krankenkassen. Kurzberichte, in denen die
medizinische Notwendigkeit der Dauer der stationären Behandlung
begründet wird, enthalten Daten, die weit über den im
Sozialgesetzbuch genannten Umfang hinausgehen. Grundsätzlich
muss die Frage der Notwendigkeit durch ein MDK-Gutachten
anhand von Daten entschieden werden, die Aussagen zu Art,
Schwere, Dauer und Häufigkeit der Erkrankung erlauben.
Diese Entscheidung muss im Einzelfall erfolgen; eine pauschale
Vorprüfung sämtlicher Kurzaufenthalte im Krankenhaus ist
im Gesetz nicht vorgesehen. Dies wurde nunmehr auch durch eine Entscheidung
des Bundessozialgerichtes ausdrücklich bestätigt.
|
||
4.8.5 |
Wenn sich das Pflegeheim für den Lebenslauf interessiert
|
|
Der Medizinische Dienst der Krankenversicherungen in Schleswig-Holstein
(MDK) rät den Pflegeheimen zur
Erhebung von biografischen Daten über ihre Pflegefälle,
um eine aktivierende und zielgerichtete Pflege durchführen
zu können. Diese nachvollziehbare Empfehlung - nur wer seine
Pflegefälle wirklich kennt, kann effektiv betreuen - darf aber
nicht zu einer Sammlung sensibler Daten führen und zum Selbstzweck
werden. Ein Sohn bekam von dem Pflegeheim seiner Mutter einen umfangreichen
Fragebogen zugesandt und wurde aufgefordert, Angaben zu machen
über
Auf Nachfrage erklärte das Pflegeheim, der MDK
benötige diese biografischen Angaben für eine Sonderaktion.
Der MDK widersprach: Nicht er benötige
diese Daten, sondern das Heim selbst, welches ja die Pflege durchführe.
Es stellte sich die Frage: Warum wurden die Betroffenen nicht über
den Zweck der Datenerhebung informiert? Unsere Prüfung ergab,
dass der Fragebogen eine reine Feigenblattfunktion hatte:
Bei MDK-Prüfungen wurden die
Fragebögen vorgezeigt; bei der täglichen Pflege spielten
sie jedoch keine Rolle. Noch während unserer Prüfung erklärte
das Heim, zukünftig auf die Erhebung der biografischen Daten
vollständig zu verzichten.
|
||
4.8.6 |
Die Grenzen des Outsourcing
|
|
Outsourcing gilt für viele als Zauberformel
für Kosteneinsparungen. Erhoffte Einsparungen lassen sich aber
oft nicht realisieren; teuer kann dagegen der Vertrauensverlust
bei den Bürgerinnen und Bürgern kommen. Eine von mehreren Aufgaben des Medizinischen Dienstes der Krankenversicherungen
Schleswig-Holstein (MDK) ist die Begutachtung
im Rahmen der Pflegeversicherung. Dabei werden oft besonders sensible
medizinische Daten der Versicherten erhoben. Dem Pflegegutachten
ist z. B. zu entnehmen, ob der Betroffene noch in der Lage ist,
sich selbst zu verpflegen, zu waschen, zur Toilette zu gehen, welche
Medikamente er benötigt, ob er geistig noch auf der Höhe
ist, inwieweit Verwandte bei der Pflege helfen usw. Die Pflegegutachten
werden generell von Mitarbeiterinnen des hauseigenen Schreibdienstes
geschrieben. In Spitzenzeiten kann es jedoch dort zu Engpässen
kommen. Da man zusätzliche Schreibkräfte nicht einstellen
wollte, wurde vom MDK ein externes
privates Schreibbüro beauftragt. Dadurch erfuhren die Mitarbeiter
der privaten Firma nicht nur Namen und Anschrift der Pflegeversicherten,
sondern auch die vollständigen Ergebnisse der Begutachtung.
Die Betroffenen selbst wurden weder gefragt noch unterrichtet. Der MDK erklärte uns, dieses
Verfahren diene der Einsparung von Zeit und Geld; es sei daher im
Interesse der Betroffenen. Als Sozialleistungsträger sei man
nach den Vorschriften des Sozialgesetzbuches rechtlich befugt, im
Rahmen einer Auftragsdatenverarbeitung auch ohne Einwilligung
der Pflegeversicherten die Daten der Gutachten an eine private Firma
im Rahmen des Outsourcing zu übermitteln. Nach unserer Auffassung unterliegen die Daten eines Pflegegutachtens
nicht nur dem Sozialdatenschutz, sondern auch der ärztlichen
Schweigepflicht. Die Übermittlung von Pflegegutachten ist
daher nur zulässig, wenn der Versicherte zuvor unterrichtet
wird und schriftlich einwilligt. Unsere Rechtsauffassung wird zwar
nicht von allen Datenschutzbeauftragten in Deutschland geteilt.
Im Interesse der Pflegeversicherten halten wir jedoch an ihr fest.
Medizinische Daten in einem MDK-Pflegegutachten
dürfen nicht weniger geschützt sein als solche in der
Patientenakte eines Arztes. Die Einschaltung einer privaten Firma
als Schreibdienst bedarf der Einwilligung der Pflegeversicherten
(vgl. zum MDK auch Tz. 7.4.4).
Ein positives Beispiel für einen verantwortungsvollen Umgang
mit medizinischen Daten zeigte eine große Krankenkasse in
Schleswig-Holstein: Um Kosten zu sparen, hatte man überlegt,
die ein- und ausgehende Post zukünftig von einer privaten
Firma verwalten zu lassen. Nach einer Beratung durch uns nahm man
davon Abstand. Es sei nicht im Interesse der Krankenkasse, wenn
die Versicherten bei der Übersendung ärztlicher Unterlagen
ein unbehagliches Gefühl haben, weil die Briefe von einer privaten
Firma geöffnet werden.
|
||
4.8.7 |
Über den Kopf der Versicherten hinweg
|
|
Gesetzliche Rentenversicherer benötigen zur Prüfung
von Rentenansprüchen ärztliche Gutachten. Die Begutachtung
erfolgt in vielen Fällen durch externe Ärzte. Vor deren
Einschaltung und der Übersendung von Gutachten und Attesten
bedarf es des Einverständnisses des Betroffenen. Das Thema ist ein Dauerbrenner (vgl. 24. TB,
Tz. 4.8.5). Zum wiederholten
Male erhielten wir eine Beschwerde darüber, dass ein Rentenantragsteller
Post von einem ihm nicht bekannten Arzt aus Hamburg
erhielt. Darin wurde ihm kurz und knapp erklärt, dass die Landesversicherungsanstalt
Schleswig-Holstein (LVA) den Arzt mit einer medizinischen Begutachtung
beauftragt habe. Die Informationen, die er bisher von der LVA erhalten
habe, genügten für eine vollständige ärztliche
Begutachtung nicht. Der Rentner war nicht damit einverstanden, dass
ohne sein Wissen medizinische Daten an einen ihm unbekannten Arzt
übermittelt wurden. Zudem erwies sich, dass im konkreten Fall
die Begutachtung entbehrlich war, weil ein aktuelles Attest seines
Hausarztes vorlag. Wir schlugen der LVA vor, zukünftig vor der Einschaltung externer Gutachter den betroffenen Antragsteller zu unterrichten. Dieser könne so offene Fragen durch die Vorlage vorhandener Atteste beantworten und dadurch unter Umständen schmerzhafte und teure Untersuchungen vermeiden. Sei er mit einem vorgeschlagenen Gutachter nicht einverstanden, könne gemeinsam eine Alternative gesucht werden. Die LVA teilte nur mit, man sehe sich nicht in der Lage, Rentnerinnen
und Rentner derart zu unterrichten, da dieser Verwaltungsaufwand
zu hoch sei. Ebenso wenig wolle man Rentenbeziehern eine Möglichkeit
geben, zwischen verschiedenen Gutachtern zu wählen oder gar
solche selbst zu benennen. Die aktive Beteiligung könnte zu
Verzögerungen in der Rentenbewilligung führen. Zudem wähnte
man sich in guter Gesellschaft: Die Bundesversicherungsanstalt für
Angestellte (BfA) und etliche Landesversicherungsanstalten bedienten
sich eines ähnlichen Verfahrens. Wir haben den Bundesbeauftragten und die Landesbeauftragten für
Datenschutz über das Problem unterrichtet. Bis zu einer bundesweiten
Klärung haben wir von einer Beanstandung des Verfahrens
abgesehen, doch vertreten wir die Auffassung, dass es nicht akzeptabel
ist, wenn hinter dem Rücken der Rentner zum Teil
äußerst sensible medizinische Daten an externe Gutachter
übermittelt werden.
|
||
4.8.8 |
Patientenakten auf dem Bürgersteig
|
|
Von einem Bürger wurden wir darauf aufmerksam gemacht,
dass mitten in der Innenstadt von Kiel auf dem Bürgersteig
ein offener Bauschuttcontainer herumstand, in dem sich für
jedermann frei zugänglich hunderte von Patientenakten befanden.
Eine Nachschau bestätigte die Angaben. Offensichtlich war
eine Arztpraxis ausgeräumt worden, wobei nicht nur hochsensible
Patientenakten, sondern auch Abrechnungs-, Personal- und Bewerbungsunterlagen
entsorgt wurden. So konnte jeder vorbeikommende Passant eine
Patientenakte seiner Wahl mitnehmen oder vielleicht sogar nachstöbern,
ob unter den Patienten ein Bekannter sei und welche Blutwerte und
welchen Befund aus einer Stuhluntersuchung dieser aufzuweisen hatte.
Wir mobilisierten umgehend den verantwortlichen Arzt und baten die
Polizei um Sicherung des Containers. Es zeigte sich, dass der Arzt sich bewusst auf diese Weise der
Akten entledigen wollte. Leider mussten wir feststellen, dass er
selbst nach der Konfrontation mit dem Umstand, dass hier offensichtlich
ein Verstoß gegen die strafbewehrte ärztliche Schweigepflicht
erfolgt war, nicht erkennbar ein Problem-, geschweige denn ein Unrechtsbewusstsein
entwickelte. Daher informierten wir eine größere Zahl
von betroffenen Patienten, von denen viele Strafanzeige bei
der Staatsanwaltschaft stellten. Es bedurfte auch einiger Schreiben
an die Staatsanwaltschaft, bis dort die strafrechtliche Relevanz
des Vorgangs richtig eingeschätzt wurde und immerhin der Straftatbestand
ermittelt wurde. Das Verfahren gegen den Arzt wurde dann nach Zahlung
einer Geldbuße eingestellt. |
||
Sicherlich ist der Vorgang ein ungewöhnlicher Ausreißer.
Den meisten Ärzten dürfte die hohe Bedeutung des Patientengeheimnisses
bewusst sein. Doch ist das Ganze auch ein Beleg dafür, dass
wir mit unseren umfangreichen Informations- und Sensibilisierungsbemühungen
wie mit unserer Aktion Datenschutz
in meiner Arztpraxis offenbar bei vielen Ärzten noch
auf Nachholbedarf treffen.
|
||
4.8.9 |
Zwischenbilanz zur Aktion Datenschutz in meiner Arztpraxis |
|
So ungewöhnlich unsere Aktion, so differenziert die Reaktionen:
Zurückhaltung bei vielen Ärzten, Zustimmung bei vielen
Patienten und sonstigen Beteiligten - nicht nur in Schleswig-Holstein.
In einem nächsten Schritt soll die Aktion auf Krankenhäuser
ausgeweitet werden. Im letzten Tätigkeitsbericht stellten wir die Aktion Datenschutz
in meiner Arztpraxis vor (vgl. 24. TB, Tz. 4.8.8),
die wir im Berichtsjahr fortführten. Sämtlichen Ärzten
und Zahnärzten in Schleswig-Holstein wurde ein Selbstcheck
übersandt. Anhand dieser Checkliste konnten sie ihre
Praxis unter die Lupe nehmen: Reicht die Diskretionszone am Empfang?
Kann kein wartender Patient vertrauliche Gespräche mithören?
Sind die Behandlungstüren geschlossen? Befinden sich Patientenakten
oder Karteikarten stets unter Verschluss? Erhält der Patient
auf Anfrage Einsicht in seine Akte? Sind die Patientendaten in der
EDV auch wirklich gegen den Zugriff Unberechtigter ausreichend geschützt?
Einige Ärzte stellten zwischenzeitlich infrage, ob dem Patientengeheimnis
die von uns betonte Bedeutung zukommt. Dies veranlasste uns in diesem
Jahr zu einer Passantenbefragung in der Kieler Innenstadt.
Das Ergebnis war deutlich: 95 % der Befragten erklärten, dass
ihnen die Sicherstellung des Patientengeheimnisses in der Arztpraxis
wichtig sei. 88 % der Patienten würden sogar den Arzt wechseln,
wenn sie der Meinung wären, dass das Patientengeheimnis nicht
gewahrt wird. Viele Patientinnen und Patienten konnten von eigenen
Erfahrungen mit Fällen ärztlicher Indiskretion berichten.
Das Umfrageergebnis hat uns hinsichtlich der Notwendigkeit der Aktion
Datenschutz
in meiner Arztpraxis bestärkt. Die Aktion läuft auch 2003 weiter. Ständig wird unser
Informationsangebot im Internet unter
|
||
erweitert. Für interessierte Ärzte und ihr Personal
bietet die DATENSCHUTZAKADEMIE
Schleswig-Holstein auch in diesem Jahr wieder Fortbildungen
an. Zu unserer Aktion hat es bereits eine Reihe von Anfragen von
Ärztekammern und Kassenärztlichen Vereinigungen aus anderen
Bundesländern gegeben. Zum Teil wurden unsere Texte in den
dortigen Publikationen veröffentlicht. In einem weiteren Schritt wurden in Kooperation mit den Berufsschulen
in Schleswig-Holstein die Auszubildenden zum Beruf der Arzthelferin
mit den Problemen und Lösungsmöglichkeiten vertraut gemacht.
Die Auszubildenden wurden eingeladen, ihren eigenen Arbeitsplatz
nach Schwächen zu untersuchen und Vorschläge zu entwickeln,
wie die Beachtung des Patientengeheimnisses optimiert werden kann.
Unsere Aktion Datenschutz
in meiner Arztpraxis ist zunächst nicht mehr als
ein Angebot. Letztendlich muss jeder Arzt und jeder Zahnarzt selbst
erkennen, wie wichtig der Datenschutz bzw. das Patientengeheimnis
für ihn und für seine Patienten ist. Wir sind der Überzeugung,
dass das Vertrauen der Patienten in die ärztliche Verschwiegenheit
Grundlage für eine erfolgreiche Behandlung ist. Mit Datenschutz
kann eine Arztpraxis für sich werben. Die ärztliche Schweigepflicht
ist aber auch ein rechtliches Gebot, dessen Einhaltung wir im Rahmen
von datenschutzrechtlichen Kontrollen überprüfen. Niemand
kann davon ausgehen, dass wir durch die Aktion Datenschutz
in meiner Arztpraxis auf Dauer auf unsere Kontrollbefugnisse
verzichten.
|
Zurück zum vorherigen Kapitel | Zum Inhaltsverzeichnis | Zum nächsten Kapitel |