25. Tätigkeitsbericht (2003)
4.2 |
Polizeibereich |
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4.2.1 |
Überblick
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Seit den Terroranschlägen des 11. September 2001 läuft
auch in Schleswig-Holstein die Rasterfahndung nach so genannten
Schläfern. Dass die beteiligten Landesbehörden
um eine datenschutzgerechte Durchführung der Rasterfahndung
bemüht sind, hat eine im Sommer dieses Jahres durchgeführte
Querschnittsprüfung ergeben. Rechtlich umstritten bleibt hingegen
die Rolle des Bundeskriminalamtes (Tz. 4.2.4).
Um eine datenschutzrechtlich korrekte Vorgehensweise waren die Polizeibehörden
auch bei dem ersten so genannten DNA-Massentest
bemüht, der aus Anlass des ungeklärten Mordes an einem
Ehepaar durchgeführt worden war (Tz. 4.2.3).
Erinnert werden muss an eine Forderung aus unserem 24. Tätigkeitsbericht:
Die für das Jahr 2003 ins Haus stehende Neukonzeptionierung
der polizeilichen Datenverarbeitung (COMPAS-Nachfolger) bedarf
von Anfang an einer datenschutzrechtlichen Begleitung. Wie teuer
hier Versäumnisse werden können, hat sich jüngst
an der erforderlich gewordenen aufwändigen Nachrüstung
des Lübecker Einsatzleitstellensystems gezeigt (Tz. 4.2.5).
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4.2.2 |
Prüfung der Verarbeitung von DNA-Daten
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Eine Querschnittskontrolle der Verarbeitung von DNA-Daten
ergab im Landeskriminalamt keinen Grund zu Beanstandungen. Die Dokumentation
der zugrunde liegenden Prognosenentscheidung muss allerdings verbessert
werden. In einer Querschnittsprüfung wurde bei Dienststellen der
Landespolizei und der Staatsanwaltschaft Kiel die Erhebung, Untersuchung
und Speicherung des DNA-Identifizierungsmusters
von Personen für Zwecke eines laufenden Strafverfahrens oder
künftiger Strafverfahren stichprobenhaft überprüft.
Von Bedeutung war dabei insbesondere die Umsetzung der datenschutzrechtlichen
Vorgaben der 1998 eingefügten Regelungen des §
81 g StPO und des DNA-Identifizierungsgesetzes
(DNA-IFG) sowie der Gemeinsamen Richtlinien
des Generalstaatsanwaltes und des Landeskriminalamtes. Wir haben nämlich Zweifel, ob die in Schleswig-Holstein für
so genannte Altfälle mit den Gemeinsamen Richtlinien in Kraft
gesetzte Freiwilligkeits- bzw. Einwilligungslösung
mit der StPO und dem DNA-IFG vereinbar
ist, da sie den vom Gesetzgeber festgelegten Richtervorbehalt
nicht umsetzt (vgl. 23. TB, Tz. 4.3.2).
Das Bundesverfassungsgericht hat in mehreren Beschlüssen in
den vergangenen zwei Jahren die verfassungsrechtlichen Anforderungen
an die Erhebung und Verarbeitung des genetischen Fingerabdrucks
präzisiert. Danach kommt den Gerichten eine sehr weitgehende
Pflicht zur Prüfung sämtlicher für das Bestehen einer
Wiederholungsgefahr aussagefähiger Unterlagen und Informationen
zu. Die Entscheidungen müssen sich mit allen für oder
gegen eine Negativprognose sprechenden Umständen
auseinander setzen und in der Begründung zu ihnen Stellung
beziehen. Diese materiell-rechtlichen Anforderungen können
nicht durch die Einwilligung des Betroffenen ersetzt werden, da
dieser nicht für sich selbst über das Vorliegen der erforderlichen
Schwere der Anlasstat und der Wiederholungsgefahr (Negativprognose)
entscheiden kann. Diese Prüf- und Begründungspflichten
treffen die Polizei und die Staatsanwaltschaft. Zunächst wurde beim Landeskriminalamt (LKA) die kriminaltechnische
Untersuchung der DNA sowie die DNA-Sachbearbeitung
der Altfälle und sonstigen Fälle geprüft.
In einem zweiten Schritt wurden anhand einer Stichprobe aus der
DNA-Datei Kriminalakten zu den Betroffenen
bei sieben Kriminalakten haltenden Dienststellen der Polizei gesichtet.
Zuletzt wurden bei der Staatsanwaltschaft bei dem Landgericht
Kiel die DNA-Vorgänge zu Personen
aus der Stichprobe geprüft. Hinsichtlich der kriminaltechnischen Untersuchung der DNA
ergaben sich keinerlei Beanstandungen. Zum Zeitpunkt der Prüfung
waren in der DNA-Analyse-Datei aufgrund
bundesweiter Eingaben insgesamt 139.722 Datensätze gespeichert,
davon 1901 aus Schleswig-Holstein. Auf bekannte Personen entfielen
125.166 Datensätze, davon 1616 aus Schleswig-Holstein. Die
übrigen insgesamt 14.536 Datensätze, davon 285 aus Schleswig-Holstein,
betrafen Spuren. Eine Eingabe von Datensätzen in die DNA-Analyse-Datei
erfolgt in Schleswig-Holstein seit etwa Februar 1999. Eine Recherche
in der DNA-Analyse-Datei wird lediglich
mit Allelwerten und nicht
mit anderen gespeicherten Daten durchgeführt. Zur Realisierung einer einheitlichen Verfahrensweise hat das LKA
geregelt, welche Teile eines abgeschlossenen DNA-Vorganges
in die Kriminalakte aufzunehmen sind. Die Praxis entsprach bei den
geprüften Stellen jedoch nicht immer dieser Regelung. Die Tatsache
einer unzureichenden Dokumentation von Einträgen in
die DNA-Datei in der Kriminalakte
der Betroffenen ist datenschutzrechtlich wie folgt zu bewerten:
Bei der Eingabestelle im LKA werden keine Unterlagen geführt,
die Aufschluss über die materiell-rechtliche Begründung
für die Speicherung einer Person in der DNA-Datei
und über das gewählte Verfahren geben. Diese Informationen
verbleiben vielmehr bei den sachbearbeitenden Dienststellen. Um
die Rechtmäßigkeit der Dateispeicherung nachvollziehen
zu können, müssen die Polizeidirektionen als Daten verarbeitende
Stellen Unterlagen führen, die belegen, dass die Voraussetzungen
der Aufnahme in die Datei in materieller sowie in formeller Hinsicht
vorliegen. Die bloße Möglichkeit, erforderlichenfalls
die Originalunterlagen zur Negativprognose und zur
Einwilligung, staatsanwaltschaftlichen Prognosebestätigung
bzw. zur richterlichen Anordnung von der Staatsanwaltschaft anzufordern,
reicht nicht aus, weil die Polizei auf die Aufbewahrung der Unterlagen
der Staatsanwaltschaft keinen Einfluss hat. Die DNA-Akten
werden dort als AR-Vorgänge geführt und nach
den Aufbewahrungsbestimmungen für die Staatsanwaltschaften
fünf Jahre aufbewahrt. Für Speicherungen in der DNA-Datei
vergibt die Polizei jedoch regelmäßig eine Frist von
zunächst 10 Jahren, sodass die staatsanwaltschaftlichen Unterlagen
bereits nach der Hälfte dieser Prüffrist als Aktenrückhalt
nicht mehr zur Verfügung stehen. Hinzu kommt, dass bei der
Entscheidung über eine Verlängerung der Speicherung in
der DNA-Datei über die erste
Prüffrist hinaus auch die ursprünglich erstellte polizeiliche
Negativprognose eine Rolle spielt. Auch aus diesem Grunde muss sie
in der Kriminalakte verfügbar sein. Die Prognose muss vollständig
aus sich heraus verständlich sein. Nach den vorgenannten Richtlinien des Generalstaatsanwaltes und
des LKA hat die Staatsanwaltschaft die Einwilligungserklärung
sowie auch anhand eigener Erkenntnisse die Begründetheit der
polizeilichen Negativprognose zu prüfen und das Ergebnis ihrer
Prüfung im positiven wie im negativen Fall der Polizeidienststelle
schriftlich mitzuteilen. Hierdurch soll nach der Auffassung des
Justizministeriums bei Altfällen mit Einwilligung des Betroffenen
die abschließende Prüfung, ob die Voraussetzungen
einer molekulargenetischen Untersuchung vorliegen, in die Hand der
Staatsanwaltschaft gelegt und damit durchgängig eine justizielle
Kontrolle gewährleistet und die Position des Betroffenen
gestärkt werden. Ausführungen der Staatsanwaltschaft zur Wirksamkeit der Einwilligungserklärung
fanden sich in lediglich einem der überprüften DNA-Vorgänge.
Aus Sicht der Staatsanwaltschaft sind in der Praxis Zweifel an der
Einwilligungsfähigkeit oder der Wirksamkeit der konkret abgegebenen
Einwilligung kaum denkbar. Auch hinsichtlich der Annahme einer Wiederholungsgefahr
(Negativprognose) konnte in den überprüften Akten zumeist
lediglich das Ergebnis der staatsanwaltschaftlichen Überprüfung
in Form eines Kurzvermerks (z. B. Prognose bestätigt)
oder des Ankreuzens innerhalb eines Bearbeitungsformulars festgestellt
werden. Begründungen für die staatsanwaltschaftliche Bestätigung
waren durchweg nicht dokumentiert. Wenn sich der polizeiliche Vermerk über das Bestehen einer
Negativprognose mit den vom BVerfG angeführten Aspekten
hinreichend auseinander setzt, kann sich die staatsanwaltschaftliche
Bestätigung auf einen Verweis hierauf beschränken. Im
Übrigen muss nach unserer Auffassung die inhaltliche Prüfung
der entsprechenden Unterlagen aus der schriftlichen Entscheidung
der Staatsanwaltschaft erkennbar sein. Diese ist der Polizeidienststelle
zu übersenden und dort in der Kriminalakte des Betroffenen
abzulegen. Gleiches gilt für die Prüfung der Wirksamkeit
der Einwilligung, wenn sich aus dem konkreten Verfahrensablauf oder
aus Umständen in der Person des Betroffenen Zweifel ergeben
haben. Die Generalstaatsanwaltschaft hat unsere datenschutzrechtlichen
Bedenken aufgegriffen. Nach ihrer Auffassung obliegt die Darstellung
der Voraussetzungen der Negativprognose der Polizei. In einem Rundschreiben
wurde den Staatsanwaltschaften ein einheitlicher Verfahrensablauf
vorgegeben. Danach prüft die jeweilige Staatsanwaltschaft,
ob die Vermerke der Polizei zur Negativprognose und zur wirksamen
Einwilligung ausreichend sind und die Entscheidung der Polizei rechtfertigen.
Tritt sie nach eigener Prüfung dem Ergebnis bei, werden die
Akten mit einem Zustimmungsvermerk an die Polizei zurückgesandt.
Ist die Begründung der Polizei nicht ausreichend, sendet sie
die Akten mit einem Hinweis auf die unzureichende Begründung
zurück. Nur in Ausnahmefällen - z. B. bei Eilbedürftigkeit
- kann die Staatsanwaltschaft ergänzende eigene Erwägungen
anstellen.
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4.2.3 |
Erster DNA-Massentest in Schleswig-Holstein
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Im Jahr 2002 fand in Schleswig-Holstein der erste DNA-Massentest
statt. Obwohl das Vorgehen der Polizeibehörden in diesem Einzelfall
nicht zu beanstanden war, müssen derartige Massentests die
Ultima Ratio der strafprozessualen Ermittlungen bleiben. Im Mai 2000 wurde in einem Hochhausblock einer schleswig-holsteinischen
Kleinstadt ein älteres Ehepaar getötet. Ein Tatverdächtiger
konnte trotz intensiver Ermittlungen nicht gefunden werden. Auch
eine DNA-Täterspur war zunächst
nicht zu isolieren. Erst Ende 2001 gelang es, an einem von dem Täter
benutzten Tuch DNA einer männlichen
Person festzustellen und nach acht Merkmalen aufzuschlüsseln.
Von der Polizei und der Staatsanwaltschaft wurde entschieden, eine
DNA-Reihenuntersuchung durchzuführen.
Insgesamt wurden knapp 900 Personen zum Zwecke der Speichelprobenentnahme
erfasst und durch eine Priorisierung den Gruppen A, B und C je nach
Tatnähe zugeordnet. Die Beschaffung der Speichelproben
erfolgte dezentral über 123 polizeiliche Dienststellen, deren
Mitarbeiter die Betroffenen ohne vorherige Benachrichtigung persönlich
aufsuchten. Der Zweck der Reihenuntersuchung wurde erläutert.
Nach Unterzeichnung eines Einwilligungsformulares wurde die Speichelprobe
abgenommen und über die ermittelnde Dienststelle an das Landeskriminalamt
übersandt. Nach Ermittlung des Täters, der der Gruppe
A zugehörte, durch Abgleich mit der Tatortspur wurde die molekulargenetische
Untersuchung der übrigen Speichelproben eingestellt. Die Speichelproben
sollen bis zur rechtskräftigen Verurteilung der Trefferperson
bei der ermittelnden Dienststelle aufbewahrt werden. Im vorliegenden Fall stellte sich die DNA-Reihenuntersuchung
als Ultima Ratio der polizeilichen Ermittlungen dar, nachdem
eineinhalb Jahre lang sämtliche Ermittlungsansätze ergebnislos
ausgeschöpft worden waren. Es handelte sich um ein schweres,
nicht anders aufklärbares Verbrechen, dessen Täter potenziell
auch für weitere Personen gefährlich blieb, und es gab
eine Fahndungshypothese, die zumindest einen Ansatz
für eine räumlich-sachliche Eingrenzung des Kreises der
Probanden bot. Unabhängig von der Frage, unter welchen Voraussetzungen
DNA-Reihenuntersuchungen ohne ausdrückliche
gesetzliche Grundlage überhaupt zulässig sind, war das
Vorgehen der Polizei in diesem Fall nicht zu beanstanden. Gleichwohl
müssen gerade angesichts der Tatsache, dass Grundlagen für
DNA-Reihenuntersuchungen derzeit in
der StPO nicht vorhanden sind, rechtsstaatliche Mindestanforderungen
definiert werden. Es wäre rechtsstaatlich bedenklich, wenn
unabhängig von der Schwere der aufzuklärenden Tat und
den sonstigen herkömmlichen Ermittlungsmöglichkeiten
immer häufiger vom Instrument des Massengentests Gebrauch gemacht
würde. Die Aufforderung an unverdächtige Personen, sich
selbst zu entlasten, darf sich nicht zu einem Standardfall der Strafermittlungen
abschleifen. Das Positionspapier des ULD zur Durchführung molekulargenetischer
Reihenuntersuchungen findet sich auf der Homepage des ULD:
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4.2.4 |
Rasterfahndung
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Die schleswig-holsteinische Polizei hat sich nach den Terroranschlägen
des 11. September 2001 an der bundesweit koordinierten Rasterfahndung
beteiligt. Ungeklärt ist nach wie vor die Rolle des Bundeskriminalamtes,
weil es für präventive Rasterfahndungen nicht zuständig
ist. Nach den Terroranschlägen des 11. September 2001 schuf der
Schleswig-holsteinische Landtag im Oktober 2001 eine Rechtsgrundlage
für präventiv-polizeiliche Rasterfahndungsmaßnahmen
(vgl. 24. TB, Tz. 4.2.2).
Ziel der bundesweiten Rasterfahndung war und ist es, insbesondere
anhand von Eigenschaften, die auf die Attentäter des 11. September
2001 zutrafen, bundesweit eine Personengruppe aus verschiedenen
Datenbeständen herauszufiltern, bei der weitere polizeiliche
Ermittlungen zur Abklärung von Schläfern
im Netzwerk der Al-Kaida ansetzen sollen. Das LKA hat die Rasterfahndung bislang im Großen und Ganzen
rechtlich korrekt durchgeführt. Insbesondere die Datenerhebungen
im Rahmen der Einzelfallermittlungen erfolgten in einem Umfang,
der den Verhältnismäßigkeitsgrundsatz wahrte. An
einer für die Gesamtbewertung der Rasterfahndung entscheidenden
Weichenstellung war die Vorgehensweise der Landespolizei jedoch
problematisch: Die Anschlussermittlungen sind zu einem wesentlich
breiteren Personenkreis als zulässig durchgeführt worden.
Bei den Personen, für die sich keine Treffer aus den Abgleichen
beim BKA mit der Verbunddatei Schläfer ergeben
haben, hätten Anschlussermittlungen nicht durchgeführt
werden dürfen, da die Voraussetzungen des hier mangels Vorliegens
einer spezifischen Regelung allein in Betracht kommende §
179 Abs. 2 a LVwG nicht erfüllt waren. Denn die Tatsache,
dass jemand ein bestimmtes Lebensalter hat, aus einem bestimmten
Land kommt und islamischen Glaubens ist, spricht noch nicht dafür,
dass er auch schwere Straftaten begehen möchte. Falls der Gesetzgeber
sich im Rahmen der Evaluierung des Gesetzes zur Einführung
des automatisierten Datenabgleichs (das Ende 2005 außer Kraft
tritt) für eine Beibehaltung des Instruments der Rasterfahndung
im Polizeirecht entscheiden sollte, muss die Frage geregelt werden,
in welchen Trefferfällen nach einer Rasterfahndung konventionelle
Ausschlussermittlungen durchgeführt werden dürfen. Zum anderen ist der automatisierte Abgleich schleswig-holsteinischer
Daten beim BKA mit den dort vorgehaltenen Abgleichsdateien
nach unserer Auffassung der Kern der eigentlichen Rasterfahndung
und nicht als reine Informationsanreicherung anzusehen.
Hierfür hat das BKA keine Befugnisgrundlage, und seine Vorgehensweise
ist im Ergebnis auch nicht von den richterlichen Beschlüssen
des Amtsgerichts Kiel gedeckt. Denn diese umfassen nur einen Abgleich
mit bereits vorhandenen polizeiinternen Daten (Informationssystem
des BKA), nicht aber die Beschaffung von Informationen über
Dateien aus polizeiexternen Quellen. Die Verarbeitung der schleswig-holsteinischen
Daten beim BKA im Rahmen der Rasterfahndung kann nur im Auftrag
und nach Weisung Schleswig-Holsteins geschehen, mit der Folge,
dass die Abgleichs- und sonstigen Verarbeitungsvorgänge beim
BKA den materiell- und formellrechtlichen Voraussetzungen des schleswig-holsteinischen
Polizeirechts unterliegen. Wie verdreht die Situation inzwischen ist, zeigt sich bei der
datenschutzrechtlichen Kontrolle des Vorgehens des BKA: Während
uns vom schleswig-holsteinischen Innenministerium mitgeteilt worden
ist, dass die Daten auch nach Übermittlung an das BKA weiterhin
der Sachherrschaft der schleswig-holsteinischen Polizei und unserer
Kontrollbefugnis unterworfen bleiben, worüber Konsens zwischen
dem BKA und den Ländern bestehe, will das BKA davon nichts
wissen. Eine Kontrolle des Umgangs des BKA mit den schleswig-holsteinischen
Daten durch uns wird vom BKA aus grundsätzlichen Erwägungen
der föderalen Kompetenzverteilung verweigert.
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4.2.5 |
Einsatzleitstellensystem Lübeck wird nachgebessert
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Nach intensiven Erörterungen soll das Einsatzleitsystem
der Polizeiinspektion Lübeck nachträglich technisch so
umgerüstet werden, dass es den datenschutzrechtlichen Vorschriften
entspricht. Einziges Hindernis für die Umsetzung der datenschutzgerechten
Lösung ist die immer noch ausstehende Entscheidung hinsichtlich
der Freigabe der erforderlichen finanziellen Mittel. Da das neue System der Einsatzleitstelle der Polizeiinspektion
Lübeck über Speicher- und Recherchemöglichkeiten
verfügt, die in dieser Form deutlich über den datenschutzrechtlich
zulässigen Rahmen hinausgehen, müssen die technischen
Funktionalitäten an die rechtlichen Voraussetzungen angepasst
werden (vgl. 24. TB, Tz. 4.2.4). Die Polizeiinspektion Lübeck hat auf der Grundlage unserer
Kritik Lösungen erarbeitet, nach denen nur Daten von tatverdächtigen
oder störenden Personen, deren Taten die Anfertigung
von Merkblättern für die Kriminalakte rechtfertigen, für
den Zeitraum von sechs Monaten für Zwecke der Eigensicherung
bei der Wahrnehmung von Einsätzen abrufbar vorgehalten werden.
Darüber hinaus sollen bei besonderen Deliktsgruppen,
welche unterhalb der Kriminalaktenrelevanz einzustufen sind, im
Rahmen einer Erinnerungsfunktion die Daten für
die Dauer von vier Wochen auswertbar sein. Durch die Implementierung entsprechender technischer Tools
soll sichergestellt werden, dass lediglich die als erforderlich
angesehenen und gesetzlich zugelassenen personenbezogenen Daten
für die Dauer des zulässigen Zeitraumes recherchiert werden
können. Eine systemseitige Protokollierung der Abfragen sowie
des Abfragenden gewährleisten die nachträgliche Überprüfbarkeit
im Rahmen von Kontrollen.
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4.2.6 |
Neues Vorgangsbearbeitungssystem bei der Landespolizei installiert (COMPAS-Nachfolger) |
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Zum Jahresende 2002 ist die Polizei mit 1500 vernetzten Computern
ausgestattet worden, die auch den Zugriff auf das bundesweite Fahndungs-
und Informationssystem INPOL-neu ermöglichen sollen. Eine Vorabkontrolle
wurde bislang nicht durchgeführt. Das polizeiliche Vorgangsbearbeitungssystem @RTUS eröffnet
für die polizeiliche Arbeit völlig neue Möglichkeiten,
z. B. die Nutzung der Office-Anwendung aus dem Landessystemkonzept.
Daneben sollen E-Mail und Intranet zur Anwendung gelangen. Damit
beinhaltet @RTUS im Zusammenhang mit seiner Einbettung in das Landessystemkonzept
ein deutliches Mehr gegenüber dem COMPAS-Vorgangsbearbeitungssystem. Unverständlich bleibt, warum die Inbetriebnahme der 1500
PC ohne rechtzeitige Erfüllung der rechtlichen Vorgaben so
schnell erfolgen musste. Versäumnisse, die bei der Einführung
der Vorgängersoftware (COMPAS) und von weiteren 1000 unvernetzten
PC zutage getreten sind, sollten sich jetzt nicht wiederholen. Gerade
in Bezug auf die Verzahnung mit dem Landessystemkonzept muss sich
die Landespolizei fragen lassen, was technisch zwischen den einzelnen
Systemen machbar und was im Einzelfall zur jeweiligen Aufgabenerfüllung
erforderlich ist.
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4.2.7 |
Auskunft der klinischen Ambulanz an die Polizei
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Die Frage der Polizei, ob sich eine von ihr gesuchte Person
zur ambulanten Behandlung im Klinikum aufhält, darf vom Klinikpersonal
nicht beantwortet werden. Eine Zuwiderhandlung verstößt
gegen die ärztliche Schweigepflicht. Eine Bürgerin schilderte uns folgenden Vorfall: Sie sei anlässlich
ihrer Vorstellung in der Ambulanz des Klinikums wegen einer nicht
bezahlten Geldstrafe von der Polizei verhaftet worden. Ihr Aufenthalt
sei der Polizei zuvor durch das Klinikpersonal mitgeteilt worden.
Anschließend sei sie erkennungsdienstlich behandelt
worden. Unsere Nachfragen bei der Polizei und dem Klinikum bestätigten
den Sachverhalt: Tatsächlich war zwischen dem Klinikpersonal
und der Polizei ein Telefonat geführt und der Polizei mitgeteilt
worden, dass die Petentin sich im Krankenhausbereich aufhielt. Wir haben die Klinikleitung davon in Kenntnis gesetzt, dass das
Vorgehen des Klinikpersonals einen Verstoß gegen die ärztliche
Schweigepflicht darstellt. Nach der Rechtsprechung erstreckt
sich die Vertrauensbeziehung zwischen Arzt und Patient auch auf
die Anbahnung eines Beratungs- und Behandlungsverhältnisses.
Weder der Arzt noch seine Hilfspersonen dürfen die Identität
und die Tatsache der Behandlung einer Person Dritten offenbaren.
Dies gilt auch dann, wenn die Polizei nach der Person sucht. Auch
wer einer Straftat verdächtig ist oder aus anderen Gründen
von der Polizei gesucht wird, muss einen Arzt aufsuchen können,
ohne dabei befürchten zu müssen, sich selbst der Strafverfolgung
auszuliefern. Dieser Grundsatz gilt nicht schrankenlos. Bei stationärer
Aufnahme gibt das Melderecht der Polizei einen Auskunftsanspruch.
Außerdem kann eine Mitteilung an die Polizei in Betracht kommen,
wenn der Arzt konkrete Anhaltspunkte dafür hat, dass der Patient
weitere schwere Straftaten begehen wird und keine anderen Möglichkeiten
zur Gefahrenabwehr bestehen. Diese Ausnahme kam hier jedoch
nicht zum Tragen. Die Beschäftigten der Ambulanz wurden von
der Klinikleitung noch einmal ausdrücklich auf die bestehende
Rechtslage hingewiesen. |
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