22. Tätigkeitsbericht (2000)



4.4

Ausländerverwaltung

4.4.1

Überblick

Der Regierungswechsel auf Bundesebene hat zunächst keine grundlegende Änderung der Erfassungsinstrumente im Ausländerbereich gebracht. Trotz schwerwiegender datenschutzrechtlicher Einwände wird das Projekt einer AsylCard (vgl. 21. TB, Tz. 4.5.2) vom Bundesinnenministerium zäh weiterverfolgt. Auf dessen Anfrage hin meinte die Innenministerkonferenz wie auch das Innenministerium des Landes, die Einsatzmöglichkeiten einer Chipkarte im Asylverfahren sollten weiterverfolgt werden. Es wurde uns aber zugesichert, dass unsere im letzten Jahr dargestellten Bedenken berücksichtigt würden. Vorgeschlagen wurde ein Pilotversuch auf freiwilliger Basis. Schleswig-Holstein will sich hieran nicht beteiligen.

Sachdienlich war in diesem Zusammenhang ein Beschluss des Schleswig-Holsteinischen Oberverwaltungsgerichtes (OVG), in dem festgestellt wird, dass es sich bei einem Texteintrag "Abschiebungshindernis selbst zu vertreten” in einer Duldungsbescheinigung um eine unzulässige Datenübermittlung handelt. Diese Praxis basierte auf einem Erlass des Innenministeriums. Das OVG begründet seinen Beschluss damit, dass ein Ausländer verpflichtet ist, diese Duldungsbescheinigung bei unterschiedlichen Anlässen vorzulegen. Ohne Notwendigkeit gelange so eine für den Betroffenen negative behördliche Bewertung zur Kenntnis Dritter. Das Innenministerium reagierte prompt: Es nahm seinen Erlass zurück. Stattdessen stellt die Ausländerbehörde eine Bescheinigung zur Vorlage beim Sozialamt und beim Arbeitsamt aus, wenn das Abschiebungshindernis nicht zu vertreten ist. Mit dieser OVG-Entscheidung ist klargestellt, dass sich Ausländerbehörden die Kenntnisnahme von Informationen, die sie in - bei verschiedenen Anlässen zwangsläufig vorzulegenden - Ausweisen aufnehmen, als Übermittlungen zurechnen lassen müssen. Die Ausländerbehörden sind in Umsetzung des Prinzips der Datensparsamkeit verpflichtet, nur die Daten in einen Ausweis, eine Bescheinigung oder eine Chipkarte aufzunehmen, die rechtmäßig übermittelt werden dürfen.

Hinsichtlich des aus Datenschutzsicht heftig kritisierten Ausländerzentralregisters (vgl. 21. TB, Tz. 4.5.1; 17. TB, Tz. 4.1.3.3) haben sich bisher keine Verbesserungen ergeben. Gegen das Registergesetz im Jahr 1995 eingelegte Verfassungsbeschwerden sind bis heute nicht entschieden. Statt das Gesetz auf die verfassungsrechtlich akzeptablen Kernaufgaben - die Koordination auf den Austausch von aufenthaltsrechtlich relevanten Informationen - zurückzuführen, ist weiterhin eine Erweiterung durch eine sog. Warndatei und die Einbeziehung der Sozialleistungsverwaltung in der Diskussion.

4.4.2

Scheinehen-Überprüfung nicht korrekt

Bei der Überprüfung, ob eine eheliche Lebensgemeinschaft besteht, ist im Interesse des Schutzes der Intim- und Privatsphäre äußerste Zurückhaltung geboten. Kontrollen ergaben, dass dies bei der Überprüfung von Ausländern durch die Stadt Kiel bislang nicht hinreichend beachtet wurde.

"Scheinehen im Visier - schwere Vorwürfe an Ausländerbehörde”. Mit dieser Zeitungsüberschrift wurde die Ausländerbehörde wegen ihrer Ermittlungen zur Überprüfung ehelicher Lebensgemeinschaften angegriffen. Worum ging es?

Im Ausländerrecht hängt die Erteilung einer Aufenthaltsgenehmigung oft davon ab, dass eine eheliche Lebensgemeinschaft besteht. Es genügt nicht, formal mit einer oder einem deutschen Staatsangehörigen verheiratet zu sein, um ein Aufenthaltsrecht zu erhalten; die Partner müssen auch zusammenleben. Offensichtlich heiraten immer wieder Menschen nur, um an die begehrte Aufenthaltsgenehmigung zu kommen. Um dies festzustellen, beauftragt das Ausländeramt den Ermittlungsdienst der Stadt Kiel mit Außenprüfungen in der Wohnung der Betroffenen. Im Jahr 1999 gab es über zweihundert solcher Ermittlungsersuchen. In ca. 10 % der Fälle verdichtete sich dabei der Verdacht einer "Scheinehe”. Bei vielen der Überprüften verursachte aber die Prüfung ihrer Ehe Angst und Unbehagen, wird doch dadurch die Ehrlichkeit von Gefühlen infrage gestellt und tief in die Privatsphäre eingedrungen. Sie konnten den Eindruck gewinnen, ihre binationale Ehe sei gesellschaftlich unerwünscht, ja trage gar den Hauch des Kriminellen in sich.

Unsere Querschnittskontrolle bei der Ausländerbehörde ergab denn auch, dass bei den amtlichen Ermittlungen einiges im Argen lag: Schon nichtige Anlässe führten zu einer Überprüfung. Dem eingeschalteten Ermittlungsdienst wurde, ohne dass hierfür eine Notwendigkeit bestand, die gesamte Ausländerakte mitgegeben. Die Dokumentation der Gründe für die Ermittlung sowie der Ermittlungsergebnisse waren unzureichend. Ohne Not wurden Dritte - Nachbarn, Postbote, Hausmeister - befragt und dadurch zumindest indirekt über den "Scheinehenverdacht” in Kenntnis gesetzt. Die Betroffenen selbst erfuhren oft von der Überprüfung und der Befragung Dritter nichts, sodass sie unbegründete Verdächtigungen nicht ausräumen konnten.

In unserem Prüfbericht machten wir der Ausländerbehörde zahlreiche Vorschläge zur Verbesserung des Verfahrens. Die Stadt Kiel erklärte sich sofort bereit, diesen Vorschlägen zu entsprechen. Danach soll künftig eine genauere Prüfung erfolgen, ob der Ermittlungsdienst überhaupt eingeschaltet werden soll. Die Kriterien für die Annahme eines "Scheinehenverdachtes” wurden bereinigt. So ist z. B. die Inhaftierung des deutschen Ehegatten, die unzulässige Einreise des Ausländers oder gar eine anonyme Denunziation nicht mehr ausreichendes Indiz für eine "Scheinehe” und damit Auslöser von Ermittlungen. Der Ermittlungsdienst erhält ein präzise begründetes Ermittlungsersuchen und nicht mehr die gesamte Ausländerakte. Er muss zunächst versuchen, bei den Betroffenen selbst die Frage des Bestehens einer Lebensgemeinschaft zu klären, bevor Dritte befragt werden dürfen. Der Vorgang wird künftig in der Ausländerakte nachvollziehbar dokumentiert; die Betroffenen werden benachrichtigt. Die nunmehr geltenden Anweisungen sind geeignet, künftig die Beeinträchtigung der Intim- und Privatsphäre auf ein erforderliches Minimum zu reduzieren.

Was ist zu tun?
Die neuen Anweisungen der Ausländerbehörde sind umzusetzen. Zugleich werden wir versuchen, auch auf Landesebene ein einheitliches datenschutzfreundliches Verfahren bei der "Scheinehenermittlung” zu erreichen.

4.4.3

Datenübermittlung Sozialamt - Ausländerbehörde

Sozialbehörden dürfen den Ausländerbehörden nicht routinemäßig alle Fälle von Sozialhilfebezug übermitteln. Neu entwickelte Kriterien sollen den Informationsfluss steuern.

Die Ausländerbehörde der Landeshauptstadt Kiel vertrat die Ansicht, das 1990 erlassene Ausländergesetz verpflichte Sozialbehörden in jedem Fall zur Mitteilung des Bezugs von Sozialhilfe - das Sozialamt war ganz anderer Ansicht. Zu Recht: In jedem Einzelfall muss eine Prüfung durchgeführt werden, ob durch Sozialhilfebezug ein Ausweisungsgrund entstanden ist. Unsere Aufforderung an die Ausländerbehörde, aus ausländerrechtlicher Sicht Fallgruppen zu benennen, blieb lange Zeit unbeantwortet.

Wir sahen uns daher selbst veranlasst, darauf hinzuweisen, wann eine Übermittlung zulässig ist und wann nicht:

  • Bei einem gesicherten Aufenhaltsstatus ist eine Datenübermittlung nicht zulässig.

  • Eine durch die Übermittlung ausgelöste ausländerrechtliche Maßnahme darf eine vorrangige sozialrechtliche Zielsetzung nicht vereiteln, so wie dies bei Hilfen in besonderen Lebenslagen oft der Fall wäre.

  • Den Umstand der Darlehensgewährung oder medizinische Angaben halten wir nicht für übermittlungsfähig.

  • Bei Übermittlungsersuchen muss die Anfrage präzise begründet werden, insbesondere, weshalb auf eine Datenerhebung beim Betroffenen verzichtet werden soll.

  • Eine Übermittlung durch das Sozialamt von sich aus erfolgt beim Vorliegen von Ausweisungsgründen im konkreten Einzelfall. Solche Gründe können längerfristige Obdachlosigkeit und Sozialhilfebezug sein. Dabei darf es sich aber nicht um kurzfristigen Hilfebezug handeln.

  • Nicht die Antragstellung, sondern erst nach positiver Entscheidung über den Sozialhilfeantrag darf übermittelt werden.

  • Mitgeteilt werden dürfen dann die Personalien sowie die erforderlichen Daten über Art und Umfang der Leistung.



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