21. Tätigkeitsbericht (1999)



4.5

Ausländerüberwachung - ein gesellschaftliches Pilotprojekt?

4.5.1

Überblick

Im unserem 17. Tätigkeitsbericht (Tz. 4.1.3) wurden datenschutzrechtliche Probleme in der Ausländer- und Asylverwaltung dargestellt. Schon damals war von der Asylcard oder von der zentralen Erfassung im Ausländerzentralregister zu berichten. Zum Ausländerzentralregister machte noch die alte Bundesregierung weitergehende Regelungsvorschläge: Statt die Nutzung dieses - aus verfassungsrechtlicher Sicht fragwürdigen - multifunktionalen Registers auf ausländerrechtliche Zwecke zu beschränken, war eine Ausweitung um eine sozialrechtliche Komponente geplant. Zudem sollte eine sogenannte Warndatei in Form einer reinen Verdachtsdatei eingerichtet werden, mit der Täuschungen bei der Visaerteilung und kriminelle Schleusertätigkeit verhindert werden sollten.

Eine Gesamtsicht der Erfassungsinstrumente in bezug auf Ausländerinnen und Ausländer ergibt, daß es sich hierbei um die am intensivsten durchleuchtete Bevölkerungsgruppe in Deutschland handelt. Es drängt sich immer wieder der Eindruck auf, als würden an dieser Gruppe neue Überwachungsinstrumente erprobt, die, wenn sie sich "bewährt" haben, auch gegenüber anderen Menschen eingesetzt werden.

4.5.2

Asylcard - zwischen Verwaltungseffizienz und Totalkontrolle

Nach jahrelangen Vorüberlegungen ist die Diskussion über die Einführung einer Asylcard in ein konkretes Stadium getreten. Die im Auftrag des Bundesministers des Innern erstellte Machbarkeitsstudie weist erhebliche Mängel auf.

Die vom Bundesministerium des Innern in Auftrag gegebene Machbarkeitsstudie zur Einführung einer Asylcard liegt nun vor. Zwar bemühen sich die Autoren dem Eindruck entgegenzutreten, mit der "Smart-Card" solle in erster Linie die Kontrolldichte bei Flüchtlingen erhöht werden. Zweck sei es vielmehr, die Aktualität und Richtigkeit der bestehenden Dateien sowie die Kommunikation zwischen den verschiedenen beteiligten Behörden zu verbessern. Tatsächlich würde aber mit dieser Chipkarte die Totalkontrolle der Flüchtlinge möglich. Die Asylcard soll nämlich nicht nur als Ausweis genutzt werden, sondern auch als Datenspeicher für die Kommunikation zwischen Ausländerbehörden, Sozialbehörden, Arbeits- und Meldeämtern, den Aufnahmeeinrichtungen und dem federführenden Bundesamt für die Anerkennung ausländischer Flüchtlinge (BAFl). Jeder dieser Behörden soll auf der Karte eine sogenannte zweckgebundene Anwendung reserviert werden, auf die auch andere Behörden zugreifen könnten, wenn der Betroffene seine Karte vorlegt. Für die eindeutige Identifizierung ist die elektronische Speicherung eines Fingerabdrucks vorgesehen. Um sich auszuweisen, sollen die Flüchtlinge die Karte ins Lesegerät stecken und zugleich einen bestimmten Finger auf ein Lesegerät legen, das diesen mit den auf der Karte gespeicherten Fingerlinien (Minuzien) vergleicht.

Die Studie setzt sich nur sehr unzureichend mit den Rahmenbedingungen und Konsequenzen des Karteneinsatzes auseinander.

  • Eine Vielzahl von Gesetzen, vom Asyl- über das Melde- bis zum Sozialrecht, müßten geändert werden.

  • Die Frage nach der Erforderlichkeit der vorgesehenen Datenabrufe von der Karte wird ungenügend beantwortet; Datenzugriffe sollen erlaubt werden, die zur Aufgabenerfüllung gar nicht nötig sind.

  • Die Polizei soll praktisch auf sämtliche Kartendaten zugreifen können.

  • Unzureichend sind auch die in der Studie vorgesehenen technischen und organisatorischen Vorkehrungen zur Verhinderung unzulässiger Zugriffe, zur Information der Betroffenen und zur Absicherung sogenannter Hintergrundsysteme.

  • Besonders gravierend erscheint uns die Anwendung "Aufenthaltssteuerung".

Es waren keine Vorkehrungen vorgesehen, um ein in Holland bereits praktiziertes Verfahren auszuschließen, bei dem die Flüchtlinge durch strenge Meldepflichten an sogenannte Meldesäulen einer fast totalen Aufenthaltskontrolle in der Art eines "Gefängnisses ohne Mauern" unterworfen werden. Es ist nicht auszuschließen, daß die Auftraggeber der Studie ähnliches im Sinn führen.

Wir haben deshalb dem Innenminister dringend von der Verwirklichung der Asylcardpläne abgeraten. Relativ unproblematisch wäre dagegen die Einführung eines fälschungssicheren, opto-elektronisch lesbaren, einfachen Flüchtlingsausweises ähnlich dem deutschen Personalausweis. Mit einem solchen, erheblich billigeren Mittel wären die größten Probleme der Identitätssicherung und der Verhinderung paralleler Verfahren lösbar. Die Entscheidung hierüber steht noch aus.

Was ist zu tun?
Die Pläne einer multifunktionalen Asylcard sollten zugunsten eines fälschungssicheren Flüchtlingsausweises fallengelassen werden.

4.5.3

EURODAC

Die Verantwortlichkeiten für die geplante europaweite Fingerabdruckdatei für ausländische Flüchtlinge EURODAC sind noch völlig unklar. Das gilt auch für die Datenschutzkontrolle.

Unter dem Kürzel "EURODAC" planen die Innenministerien der EU eine gemeinsame Fingerabdruckdatei einzurichten, um ausländische Flüchtlinge eindeutig zu identifizieren und um zu verhindern, daß unter einem anderen Namen in einem anderen EU-Mitgliedstaat ein zweiter Asylantrag gestellt wird. Mit dem EURODAC-Abkommen soll das Dubliner Übereinkommen umgesetzt werden, wonach innerhalb der EU für einen Asylantrag nur ein Staat zuständig sein soll. Statt wie bei anderen europäischen Dateien, z. B. dem Schengener Informationssystem oder bei Europol, eine eigene Verantwortlichkeit der europäischen Ebene zu begründen, soll bei EURODAC Datenverarbeitung im Auftrag der Mitgliedstaaten erfolgen. Dies wäre dann logisch, wenn die Mitgliedstaaten auch die ausschließliche Bestimmungsbefugnis über die gespeicherten Daten hätten. Dies ist aber nicht geplant. Vielmehr sollen automatisierte Abrufe möglich sein, ohne daß der dateneingebende Staat hierauf Einfluß nehmen könnte. Abfrage und Eingabe sollen automatisiert möglich sein, ohne daß die bei entsprechenden deutschen automatisierten Verfahren üblichen Sicherheitsstandards im Entwurf vorgesehen sind. Zudem sollen von mehr Personen als bisher in Deutschland Fingerabdrücke erfaßt werden, z. B. von Personen mit Aufenthaltsgenehmigung, bei denen regelmäßig keine Zweifel an der Identität bestehen. Die von deutscher Seite zusätzlich erhobene Forderung, auch andere als asylsuchende Ausländer zu erfassen, würde den Anwendungsbereich über das Dubliner Übereinkommen hinaus noch weiter aufblähen.

Besonders problematisch ist, daß keine Kontrolle der Datennutzung sichergestellt ist, wenn die Daten erst einmal abgefragt werden. So würde es leicht möglich, die Fingerabdrücke aus anderen EU-Staaten ohne weitere Voraussetzungen für die Strafverfolgung nutzbar zu machen. Dies böte sich geradezu an, da - obwohl für den eigentlichen Speicherzweck nicht erforderlich - sämtliche zehn Finger daktyloskopisch erfaßt werden. Damit verbunden wäre eine europaweite Stigmatisierung von Asylsuchenden als potentielle Straftäter. Wir haben vorgeschlagen, ein in der Kriminaltechnik nicht eingesetztes biometrisches Verfahren zur eindeutigen Identifizierung, z. B. über eine Erkennung der Iris oder der Augennetzhaut, zu verwenden. Das Risikopotential der EURODAC-Datei erhöht sich dadurch, daß selbst nach erfolgter Asylanerkennung keine Löschung geplant ist.

Zu kritisieren war schließlich die geplante Datenschutzaufsicht durch eine "Gemeinsame Kontrollinstanz". Hierdurch würde der Kompetenzwirrwarr bei der Datenschutzkontrolle auf europäischer Ebene weiter gefördert; außerdem entstünde die Gefahr von Kontrollücken mangels ausreichender Kompetenzen dieser Kontrollinstanz.

Was ist zu tun?
Der Entwurf des EURODAC-Abkommens muß vor Einleitung des Ratifikationsverfahrens umfassend überarbeitet werden.

4.5.4

Datenabgleich im Asylbewerberleistungsgesetz

Kurz vor der Bundestagswahl beseitigte der Bundesgesetzgeber im Schnelldurchgang noch einige "Datenschutzhindernisse" für die Verwaltung. Betroffen war davon vor allem das Asylbewerberleistungsgesetz.

Die Behörden, die Asylbewerbern Leistungen gewähren, seien, so die Argumentation des Bundesrates im Gesetzgebungsverfahren, oft nur schwer in der Lage, die Identität der Leistungsempfänger festzustellen. Konkrete Zahlen oder Belege hierfür wurden nicht vorgelegt. Von uns vorgeschlagene datenschutzfreundliche Lösungen, z. B. die Ausgabe fälschungssicherer Ausweispapiere, wurden im Gesetzgebungsverfahren erst gar nicht erörtert. Vielmehr nahm man die Problemlösung an den Betroffenen vor: durch einen Datenabgleich mit der Ausländerbehörde. Das Problem ist, daß dabei die Leistungsträger nicht nur über das erforderliche Maß hinaus Daten der Ausländerbehörden erhalten, sondern umgekehrt zugleich Informationen über den Leistungsbezug liefern, die die Ausländerbehörden nicht benötigen.

Nicht gelöst wurde das datenschutzrechtliche Hauptproblem des Asylbewerberleistungsgesetzes. Durch dessen Herauslösung aus dem Sozialleistungsrecht sind weder das Sozialgeheimnis noch die sozialrechtlichen Übermittlungsregelungen anwendbar. Es muß daher auf das allgemeine Datenschutzrecht zurückgegriffen werden, das auf die Sensibilität von Informationen über soziale Hilfen nicht zugeschnitten ist.

4.5.5

Verwaltungsvorschriften zum Ausländergesetz

Bund und Länder haben es in acht Jahren nicht geschafft, sich auf einheitliche Verwaltungsvorschriften zum Ausländergesetz zu verständigen. Noch sind 200 Positionen offen.

Als 1990 das derzeit gültige Ausländerrecht in Kraft trat, war von Anfang an klar, daß dessen teilweise äußerst unbestimmte Regelungen einer Konkretisierung in Verwaltungsvorschriften bedürfen. Diese liegen bis heute nicht vor. Bundesregierung und Bundesrat waren im Verlaufe von acht Jahren nicht dazu in der Lage, gemeinsam die notwendigen Verwaltungsvorschriften zum Ausländergesetz zu erlassen. Ein Unterausschuß des Bundesrates behandelte zuletzt knapp zweihundert Änderungsvorschläge zum Entwurf des Bundesinnenministeriums. Ob die neue Bundesregierung den Entwurf weiterverfolgt, ist noch nicht klar.

Aus Datenschutzsicht ist von zentraler Bedeutung, daß die wegen ihrer Unbestimmtheit und Weite verfassungsrechtlich problematischen Regelungen zur Datenverarbeitung vernünftig eingegrenzt werden. Wir haben deshalb noch einmal unsere Vorstellungen gegenüber dem Innenministerium vorgetragen:

  • Unterrichtung der Betroffenen bei der Datenerhebung bei Dritten zur Verbesserung der Transparenz,

  • Vermeidung von Interessenkonflikten bei der Umsetzung der Übermittlungspflicht von im Bildungs-, Gesundheits- und Sozialbereich tätigen öffentlich Bediensteten,

  • Klärung der Verantwortlichkeit bei Datenübermittlungen auf Ersuchen,

  • Annahme der Übermittlungspflicht nur bei der sachnächsten Stelle,

  • Beschränkung dieser Pflicht auf konkrete Ausweisungsfälle,

  • Berücksichtigung des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes bei Datenübermittlungen z. B. aus dem Sozialbereich,

  • Vermeidung der Offenbarung personenbezogener Daten von einladenden Personen.

Was ist zu tun?
Die Verwaltungsvorschriften sind nun endlich in einer den verfassungsrechtlichen Anforderungen genügenden Fassung in Kraft zu setzen.


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