17. Tätigkeitsbericht (1995)



4.

Datenschutz in der Verwaltung

4.1

Allgemeine und innere Verwaltung

4.1.1

Personalwesen

4.1.1.1

Erste Beanstandungen wegen Verletzung des neuen Personalaktenrechts


Die gesetzlichen Vorgaben für das Personalaktenrecht sind auf eine neue Grundlage gestellt worden. Der praktische Umgang mit den Daten folgt jedoch weitgehend der alten Gewohnheit.

Der Umgang mit den Personaldaten der Beamten ist seit dem 01.01.1993 im Beamtenrechtsrahmengesetz präzise geregelt. Die vorgeschriebene Anpassung des Landesbeamtengesetzes befindet sich in Vorbereitung. Für Angestellte und Arbeiter sind die neuen Rechte entsprechend anzuwenden.

Bei der Umsetzung des neuen Rechts gibt es in der Praxis offensichtlich nicht unerhebliche Probleme und Defizite, was sich in Anfragen und Beschwerden niederschlägt.

  • Bei einer Stadt wurde eine Stelle nach einer internen Auslese neu besetzt. Den unterlegenen Bewerbern aus dem eigenen Haus wurden die für ihre Person entscheidenden Faktoren für die Nichtberücksichtigung mitgeteilt. Allerdings wurden die entsprechenden Schreiben den Betroffenen "auf dem Dienstweg", also über die zuständigen Fachamtsleiter, zugeleitet. Dieser Personenkreis verfügt über kein eigenes Zugangsrecht zu Personalakten. Die Bekanntgabe der Gründe verletzte deshalb die Vertraulichkeit der Personalakten.
  • Zwischen einem Mitarbeiter und seinem Fachamtsleiter war es zu einem Streit über die stellenplanmäßige Ausweisung seiner Planstelle sowie über die Zuordnung von Aufgaben durch den Geschäftsverteilungsplan gekommen. Die Stellungnahmen der Beteiligten, die für den Mitarbeiter nicht günstig waren, heftete das Personalamt in dessen Personalakte, obwohl sein Dienstverhältnis in keiner Weise berührt war. Da die Unterlagen keine "Personalaktendaten", sondern Organisationsfragen enthalten, durften sie nicht in die Personalakte aufgenommen werden. Die Stellungnahmen mußten folglich entfernt werden.
  • Einer Behörde war angezeigt worden, ein Beamter verstoße gegen das Nebentätigkeitsrecht. Nach umfangreichen Ermittlungen stellte sich dies schließlich als unzutreffend heraus. Der Vorgang betraf zunächst zweifelsfrei das Grundverhältnis des Beamten und war deshalb zu seiner Personalakte zu nehmen. Das Beamtenrechtsrahmengesetz schreibt jedoch vor, daß Behauptungen, falls sie sich als unbegründet oder falsch erwiesen haben, mit Zustimmung der Beamtin oder des Beamten unverzüglich aus der Personalakte zu entfernen und zu vernichten sind. Auf unsere Beanstandung hin wurde entsprechend verfahren.
  • Eine Beamtin hatte schriftlich darum gebeten, ihr die Gründe für die Abrundung einer bewilligten Beihilfe zu nennen. Auf dem Schreiben der Betroffenen wurden vom Personalamt folgende handschriftlichen Vermerke angebracht: "Der Laie staunt ..." sowie "Wer den Pfennig nicht ehrt...". Die auf dem Dokument enthaltenen unsachlichen Vermerke waren zur rechtmäßigen Aufgabenerfüllung des Dienstherrn nicht erforderlich. Sie waren, weil kein unmittelbarer innerer Zusammenhang dieses Dokuments zum Dienstverhältnis der Betroffenen festgestellt werden konnte, aus der Personalakte zu entfernen.

4.1.1.2

Wohin mit Arbeitszeitkarten?

Arbeitszeitkarten sind materieller Bestandteil der Personalakte und gehören in die Personalabteilung. Fachvorgesetzte können mit der Arbeitszeitkontrolle beauftragt werden.

Die Neuregelung der Personaldatenverarbeitung im Beamtenrecht wirkt sich auch auf den Umgang mit Arbeitszeitdaten aus. Durch das neue Recht sind alle Unterlagen unter besonderen Schutz gestellt worden, die mit dem Dienstverhältnis eines Beamten in einem unmittelbaren inneren Zusammenhang stehen (Personalaktendaten). Entsprechende Dokumente sind materieller Bestandteil der Personalakte.

Die Arbeitszeitkontrolle steht mit dem Dienstverhältnis in einem unmittelbaren inneren Zusammenhang. Die hierzu geführten Unterlagen gehören deshalb für die Dauer ihrer Speicherung zur Personalakte (ggf. Teilakte) und unterliegen hinsichtlich des Zugriffs den o.a. Beschränkungen.

Ist Fachvorgesetzten auch die Dienstaufsicht über ihre Mitarbeiter übertragen worden, benötigen sie auch Arbeitszeitdaten. Diese können ihnen deshalb z.B. zu Vorkontrollen, Abgleichen mit Dienstkalendern u.ä. zur Kenntnis gegeben werden.

4.1.1.3

Vergleichsmitteilungen zur Berechnung des Ortszuschlages überflüssig?

Für Vergleichsmitteilungen zur Berechnung des Ortszuschlages gibt es derzeit keine Rechtsgrundlage. Es bestehen auch Zweifel, ob derartige Mitteilungen überhaupt notwendig sind.

Nach dem Bundesbesoldungsgesetz wird bei verheirateten Mitarbeitern der im Ortszuschlag enthaltene Sozialzuschlag gekürzt, wenn beide im öffentlichen Dienst beschäftigt sind. Gleiches gilt auch für Beschäftigte bei privaten Stellen dann, wenn die Vergütungsstruktur der des öffentlichen Dienstes entspricht. In solchen Fällen der Anspruchskonkurrenz sollen nach den geltenden Verwaltungsvorschriften zum Bundesbesoldungsgesetz unverzüglich Vergleichsmitteilungen zwischen den beteiligten Arbeitgebern ausgetauscht werden. In einem konkreten Fall war auf dieser Grundlage die Eheschließung einer Landesbeamtin einem privaten Arbeitgeber mitgeteilt worden, obwohl der Ehegatte an seinem Arbeitsplatz über die Heirat aus persönlichen Gründen zunächst Stillschweigen bewahren wollte.

Das Landesdatenschutzgesetz läßt eine Datenverarbeitung nur zu, wenn entweder die Betroffenen eingewilligt haben oder dieses Gesetz oder eine andere Rechtsvorschrift sie erlaubt. Diese Voraussetzungen waren hier nicht erfüllt, da Verwaltungsvorschriften wegen fehlender Rechtsnormqualität nicht Befugnisgrundlage für Datenübermittlungen sein können. Zudem schreibt das Beamtenrechtsrahmengesetz für Auskünfte über Personalaktendaten an Dritte grundsätzlich die Einwilligung des Betroffenen vor.

Die geprüfte Stelle hat in Abstimmung mit dem Finanzminister des Landes zugesagt, die Versendung von Vergleichsmitteilungen ohne Einwilligung der Betroffenen künftig zu unterlassen. Vergleichsmitteilungen dürften ohnehin in den meisten Fällen überflüssig sein, da jeder Arbeitgeber für sich die Anspruchsvoraussetzungen für die Zahlung eines Sozialzuschlages zu prüfen hat. Der Betroffene hat dazu ggf. entsprechende Nachweise über die Besoldung bzw. Vergütung seines Ehegatten vorzulegen. Eine Notwendigkeit für zusätzliche Kontrollmaßnahmen ist in diesem Zusammenhang nicht zu erkennen.

4.1.1.4

Intime Informationen über Verwandte in Beihilfeanträgen - eine Chance wurde nicht genutzt

Wer Beihilfe für seine Angehörigen beantragt, kann aus den Arztrechnungen vertrauliche medizinische Daten entnehmen. Vor allem bei getrennt lebenden Ehepaaren stößt dies häufig auf Bedenken. Bei der bestehenden Rechtslage ist aber Abhilfe kaum möglich.

Mitarbeiter der öffentlichen Verwaltung erhalten Beihilfen zu Krankheitskosten. Mit ihren Anträgen und den eingereichten Unterlagen geben sie ihrem Dienstherrn Informationen über eigene Krankheiten und über solche berücksichtigungsfähiger Angehöriger. In Eingaben wurde das Problem aufgeworfen, ob bei einem derartigen Verfahrensablauf der beihilfeberechtigte Mitarbeiter nicht ohne Not in die Lage versetzt werde, auch in persönliche Tabubereiche seiner Angehörigen einzudringen. Es wurden etwa HIV-Untersuchungen, gynäkologische Beratungen bei Schwangerschaftsabbrüchen und Krankheitsdaten getrennt lebender Ehegatten oder volljähriger Kinder genannt, die von besonderer Sensibilität sind.

Das Problem ist, daß derzeit nur der Mitarbeiter selbst beihilfeberechtigt ist. Angehörige haben keine eigenen Ansprüche und müssen daher der Beihilfestelle die Grundlagen für Beihilfezahlungen immer über den Antrag des Berechtigten mitteilen. Deshalb kann die Tatsache ärztlicher Beratung, die Art der Krankheit und die Höhe der Kosten nur dann vertraulich gehalten werden, wenn der beihilfeberechtigte Mitarbeiter damit einverstanden ist und etwa durch Antragsformulare mit Blankounterschrift oder durch Bezugnahme auf getrennt eingereichte Unterlagen selbst auf eine Kenntnisnahme verzichtet. Das Einverständnis des Beihilfeberechtigten lag aber gerade in den Problemfällen, die in den Eingaben geschildert waren, nicht vor.

Eine bessere Lösung würde ein eigener Beihilfeanspruch für Familienangehörige bieten, der nach unserer Auffassung nicht grundsätzlich mit dem Dienstrecht oder gar den hergebrachten Grundsätzen des Berufsbeamtentums unvereinbar wäre. Entsprechende Änderungen der Beihilfevorschriften waren aber in zurückliegenden Bund-Länder-Beratungen und bei der Neugestaltung des Personalaktenrechts nicht durchsetzbar. Diskretion kann in diesem Bereich also bei der gegenwärtigen Rechtslage nur dann gewahrt werden, wenn alle Beteiligten dazu bereit sind. Angehörige könnten sich bei dieser Rechtslage regelrecht gezwungen sehen, auf Beihilfeleistungen zu verzichten, wollen sie Informationen über ärztliche Kontakte für sich behalten.

4.1.1.5

Verarbeitung von Bewerberdaten im Rahmen von internen Personalausleseverfahren

Ein unterlegener Bewerber hat nach der Rechtsprechung des OVG Schleswig-Holstein Anspruch auf Information über die Gründe der Bewerberauswahl.

Bei der datenschutzrechtlichen Prüfung von Personalausleseverfahren standen im Berichtsjahr meist Fragen nach der Erforderlichkeit einzelner Bewerberdaten im Vordergrund. Das Landesbeamtengesetz stellt dazu fest, daß die Auswahl der Bewerber nach Eignung, Befähigung und fachlicher Leistung ohne Rücksicht auf Geschlecht, Abstammung, Rasse, Glauben, religiöse oder politische Anschauung, Herkunft oder Beziehungen zu erfolgen hat. Entsprechende Verfahren müssen demnach auf der Grundlage objektiver und nachprüfbarer Kriterien durchgeführt werden.

Das Schleswig-Holsteinische Oberverwaltungsgericht hatte die Frage zu entscheiden, ob und in welchem Umfang für Bewerber im Rahmen einer internen Stellenbesetzung ein Informationsanspruch ggf. auch über Daten der Mitbewerber besteht. Das Gericht hat dazu ausgeführt (B.v. 16.04.93, 3 M 15/93), daß Mitbewerber einen Anspruch darauf haben, vor der Beförderung eines Kollegen über Auswahl und Verfahren informiert zu werden, um dann eine Rechtsverletzung prüfen und ggf. gegen die Auswahlentscheidung vorgehen zu können.

Weiter heißt es in dem Beschluß: "Zum Informationsanspruch gehört, daß dem abgelehnten Bewerber neben dem Ergebnis auch mitgeteilt wird, welche entscheidenden Wertungsfaktoren der Dienstherr zugrunde gelegt hat. Es muß deutlich werden, ob dem erfolgreichen Bewerber aus qualifikationsbezogenen Erwägungen oder unter Zugrundelegung eines oder mehrerer Hilfskriterien der Vorrang eingeräumt worden ist. Wenn dem abgewiesenen Bewerber nur der Name des ausgewählten Bewerbers mitgeteilt wird, kann er nicht effektiv prüfen, ob sein Anspruch auf rechtsfehlerfreie Bescheidung seines Gesuchs unter Beachtung des Leistungsprinzips verletzt wurde".

Wir halten diesen Informationsanspruch auch unter datenschutzrechtlichen Gesichtspunkten für vertretbar. Der Schutz des Persönlichkeitsrechts findet seine Grenzen, soweit dabei in Rechte Dritter eingegriffen wird. Dies ist bei der Bewerberauslese durchweg der Fall. In einer solchen Konkurrenzsituation muß ein Bewerber - jedenfalls soweit es zur Rechtswahrung durch den Konkurrenten erforderlich ist - hinnehmen, daß auch ihn betreffende Personaldaten im Rahmen des Auswahlverfahrens an seine Konkurrenten übermittelt werden.

4.1.2

Öffentliche Sicherheit

4.1.2.1

Immer neue Befugnisse für die Polizei - wo bleibt die Sicherheitsdividende?

In den letzten Jahren sind der Polizei immer neue Möglichkeiten eröffnet worden, bei der Verfolgung von Straftaten Daten zu erheben und zu verarbeiten. Vor der Prüfung, ob hierdurch bessere Erfolge in der Kriminalitätsbekämpfung erreicht wurden, will die Polizei sich offenbar drücken.

Neue Verbrechensformen erfordern neue Aufklärungsrezepte - zweifellos. Warum aber müssen sich diese hauptsächlich darauf konzentrieren, die ohnehin gefährdete Privatsphäre des Bürgers noch weiter zu beschränken? Dies sei für eine wirksame Bekämpfung und vorbeugende Verhinderung von Straftaten insbesondere im Bereich der Rauschgift-und organisierten Kriminalität nun einmal unumgänglich, wird argumentiert. In den letzten Jahren sind Schritt für Schritt neue gesetzliche Eingriffsbefugnisse beschlossen worden, z. B. für

  • den Einsatz verdeckter Ermittler,

  • den erweiterten Einsatz technischer Mittel (Abhörgeräte, Videokameras, Peilsender usw.),

  • die Verpflichtung der Banken zur Meldung größerer Bargeldtransaktionen,

  • die Übermittlung von Erkenntnissen der Geheimdienste an die Polizei,

  • den gezielten Einsatz des Bundesnachrichtendienstes bei der Überwachung drahtloser Fernmeldeverbindungen,

  • die Rasterfahndung.

Angesichts der Schwere dieser neuen Eingriffsbefugnisse sollte man entsprechende Erfolgsmeldungen bei der Aufklärung erwarten dürfen. Die Innenminister der Länder haben auf Drängen der Datenschutzbeauftragten bereits vor einiger Zeit beschlossen, im Rahmen einer kritischen Erfolgskontrolle zu überprüfen, ob die neu gewährten Eingriffsbefugnisse den gewünschten Erfolg gezeigt haben.

Da die versprochenen Bilanzen auf sich warten ließen, haben wir beim Innenminister nachgefragt. Außer der Betonung, bei diesen Befugnissen handele es sich um "unverzichtbare Instrumente zur Verbrechensbekämpfung" haben wir jedoch zu unserem Erstaunen zunächst erfahren, daß der durch den Einsatz dieser Mittel erzielte Erfolg nicht meßbar bzw. nicht kontrollierbar sei. Zur Begründung wurde u.a. angeführt, einheitliche Kriterien, nach denen sich ein Erfolg beurteilen ließe, existierten nicht.

Nunmehr haben die Innenminister beschlossen zu überlegen, wie man den "Erfolg" näher definieren könne und welche Kriterien hierzu aufzustellen seien. Diese nicht besonders schnelle Gangart spiegelt die Schwierigkeiten der Sicherheitsbehörden wider, über Erfolge Rechenschaft ablegen zu müssen. Dies ist sicherlich zunächst mit Arbeit verbunden und mit dem Zwang, sich über Maßstäbe und Verfahren einigen zu müssen. Aber wäre die Wahrung unserer Grundrechte dies nicht wert?

Doch genau hier "liegt der Hase im Pfeffer". Zwar wollen das Bundeskriminalamt (BKA) sowie einige Länder eine "Rechtstatsachensammelstelle" gegründet, von der die entsprechende Arbeit geleistet werden könnte. Doch träfe die Arbeitsbelastung, die durch das Ausweiten nach einem Erhebungsraster und die Anlieferung entstünde, weitgehend die Länder. Aus Beschlußempfehlungen der vorbereitenden Projektgruppe aus dem vergangenen Jahr wird deutlich, daß dies, aber auch ganz andere Motive, wohl dazu führen werden, daß die Rechtstatsachen mit einer bestimmten Zielrichtung ausgewertet werden sollen. Es heißt dort u.a. wörtlich:

"Vorschlag:

Auf eine systematische Erhebung des Erfolges ... wird verzichtet.

Begründung:

Die mangelnde Konkretisierbarkeit des Erfolges bei Maßnahmen der genannten Art könnte unter bestimmten Bedingungen auch zu rechtspolitisch unerwünschten Konsequenzen führen (so könnten beispielsweise fehlende "Erfolge" bei Telefonüberwachungsmaßnahmen (TÜ) dazu führen, die hinsichtlich TÜ hinsichtlich bestimmter Katalogtatbestände als solche in Frage zu stellen). Darüber hinaus würde die anlaßbezogene Überprüfung der genannten besonderen polizeilichen Ermittlungsmaßnahmen auf konkrete, unmittelbar auf sie zu stützende Erfolge hin, zu einem erheblichen Arbeitsaufwand besonders in den Ländern führen, der außer Verhältnis zum Erfolg stünde. Die Projektgruppe empfiehlt daher, auf diese Position im Erhebungsraster zu verzichten."

Derselbe Vorschlag, nämlich kein repräsentatives Material auf Bundesebene zu sammeln, wird aus ähnlichen Gründen auch hinsichtlich der anderen Eingriffsermächtigungen gemacht. Die traurige Quintessenz des ganzen ist also, daß man sich derzeit auf keine tatsächliche Erfolgskontrolle und damit wohl auch nicht auf die Einrichtung einer zentralen Sammelstelle auf Bundesebene einigen kann.

Die Initiatoren wollen jedoch auf das argumentativ wertvolle Instrument einer zentralen "Fallsammlung" nicht verzichten. Sie haben nämlich erkannt, daß die Bürger nicht mehr bereit sind, immer neue und immer weiterreichende Eingriffe in ihre Privatsphäre widerspruchslos hinzunehmen. Um dennoch auch in Zukunft Forderungen nach weiteren Eingriffsbefugnissen stellen zu könne, soll jetzt eine "Bund/Länder-Fallsammlung" eingerichtet und dort nur noch gezielt entsprechendes Material gesammelt werden.

So heißt es in den Bereichten der Projektgruppe weiter:

"Auf eine systematische Erhebung und Mitteilung der sich bei Duchführung der unter I. 1 bis 4 aufgeführten Maßnahmen ergebenden tatsächlichen und rechtlichen Schwierigkeiten wird verzichtet. Die Meldungen sollten sich daher auf die anlaßbezogene Darstellung echter Problemfälle beschränken, mit denen entsprechende rechtspolitische Forderungen gestellt und untermauert werden können."

Damit ist die Katze aus dem Sack. Wer bisher noch nicht so recht verstanden hat bzw. es nicht glauben mag, in welchem Ausmaß hier zum Zwecke der Beeinflussung der öffentlichen Meinung einseitig Material gesammelt wreden soll, dem wird es durch die Vorschlagsbegründungen in beiden Berichten nochmals verdeutlicht. Dort heißt es wörtlich:

"Die Informationserhebung sollte sich dabei an folgendem Raster orientieren:

  • Darstellung der Schwachstellen (z.B. Fehlen von Rechtsgrundlagen für polizeiliche Eingriffe, Schwierigkeiten bei der Durchführung polizeilicher Maßnahmen oder der Anwendung rechtlicher Vorschriften)

  • Beschreibung des Bedarfs (etwa nach Beibehaltung bisheriger Regelungen, nach Ergänzung bestehender bzw. Schaffung neuer gesetzlicher Bestimmungen)

  • Begründung des Bedarfs

  • Darstellung der Konsequenzen einer Nichtregelung

  • Vorschläge für die rechtspolitische Umsetzung

  • Darstellung spektakulärer Erfolgsfälle zur Bestätigung rechtspolitischer Auffassungen

Die Erhebung und Darstellung sollte umfassend sein und sich auf wenige echte (gewichtige) Problemfälle zum zweifelsfreien Aufzeigen der Grenzen polizeilicher Möglichkeiten beziehen."

Demnach müssen wir also befürchten, künfig auf der Basis von einigen wenigen, jedoch plakativen Einzelfällen mit "rechtspolitischen Reforminitiativen" konfrontiert zu werden. Dies ergibt sich auch aus der abschließenden Begründung zu dem Vorschlag der Projektgruppe, eine Bund/Länder-Fallgsammlung einzurichten:

"Rechtspolitische Forderungen aus der polizeilichen Praxis sind mit gewichtigen eindeutigen Fallbeispielen zu belegen. Die Erfahrung zeigt, daß ohne derartige Rechtstatsachen Bedürfnisse z.B. nach Einführung neuer gesetzlicher Ermächtigungen strafprozessualer Art oder der Ergänzung/Verbesserung von gesetzlichen Straftatbeständen politisch praktisch nicht durchsetzbar sind. Wird kein einschlägiges Fallmaterial präsentiert, besteht deshalb schon von seiten der verantwortlichen Ressorts auf Ministeriumsebene i.d.R. auch keine Bereitschaft, rechtliche Verbesserungsvorschläge aufzugreifen und umzusetzen.

Der Einrichtung einer Bund/Länder-Fallsammlung - die es bisher für diesen Bereich nicht gibt - bei der Rechtstatsachensammelstelle kommt daher eine außerordentlich große Bedeutung zu. Bei voller Akzeptanz in Bund und Ländern und funktionierendem Meldedienst kann sie zu einem respektablen Unterstützungsinstrument für diejenigen Stellen/Gremien werden, die für das Aufgreifen und Umsetzen von rechtspolitisch ergeblichen Verbesserungsvorschlägen aus dem Polizeibereich zuständig sind."

Es zeigt sich hier überdeutlich, daß manche Sicherheitsbehörden einmal erhaltene Befugnisse hüten wie einen kostbaren Schatz und sich mit allen Mitteln dagegen sträuben, sie einer ehrlichen (Selbst-)Prüfung zu unterziehen. Erfreulicherweise teilt der Innenmninister meine Bedenken gegen die Vorgehensweise der Projektgruppe. Er hat den Beschlußvorschlag des Bundeskriminalamtes abgelehnt, weil auch nach seiner Auffassung die dort verwendete Argumentation den Verdacht erweckt, als sei man an einer objektiven Darstellung nicht interessiert. Wir werden den Innenminister bei seinem Bemühen unterstützen, in den Gremien der Innenministerkonferenz auf eine sachgerechte Behandlung des Themas hinzuwirken.

4.1.2.2

Europol

Europol soll für weite Kriminalitätsbereiche zuständig sein. Die Definition der von den Datensammlungen Betroffenen ist vage. Die ausschließliche Verantwortung der erhebenden Stelle für die Weiterverarbeitung der Daten ist nicht sichergestellt.

Die Notwendigkeit einer polizeilichen Zusammenarbeit über Staatsgrenzen hinweg ist in den letzten Jahren viel diskutiert und auf europäischer Ebene bis hin zu entsprechenden Vertragsentwürfen konkretisiert worden. Unter der Bezeichnung "Europol" soll eine supranationale Polizeibehörde entstehen, die auch über eigene Datenbestände verfügen wird. Die Unterzeichnerstaaten beabsichtigen, Europol alle personenbezogenen Informationen zur Verfügung zu stellen, von denen sie annehmen, daß sie auch für die anderen Polizeibehörden von Interesse sein könnten.

Während der erste Vertragsentwurf sich noch vergleichsweise akzeptabel darstellte (es sollten nur die Daten von Personen an Europol übermittelt werden, von denen angenommen wird, daß sie im Bereich des internationalen Rauschgifthandels und der organisierten Kriminalität tätig sind), ist der Bereich der strafbaren Handlungen, mit denen sich Europol beschäftigen soll, in den nachfolgenden Entwürfen drastisch ausgeweitet worden. Nach dem letzten Stand wird Europol "zunächst" bei der Verhütung und Bekämpfung

  • des illegalen Drogenhandels,

  • der Nuklearkriminalität,

  • des illegalen Handels mit Waffen, Munition und Sprengstoffen,

  • des illegalen Technologietransfers,

  • des Menschenhandels und der illegalen Einschleusung,

  • der Ausbeutung der Prostitution,

  • des Raubes und der Erpressung (insbesondere Schutzgelderpressung),

  • der Umweltkriminalität,

  • der Kraftfahrzeugkriminalität (insbesondere Verschiebung in andere Staaten sowie Diebstahl von Transportgütern),

  • des illegalen Handels mit Kunstgegenständen und Antiquitäten (insbesondere im Zusammenhang mit Einbruch, Diebstahl und Hehlerei) sowie

  • der mit diesen Kriminalitätsformen verbundenen illegalen Geldwäschehandlungen

tätig. Eine Erweiterung dieser Bereiche ist jederzeit durch einstimmigen Ratsbeschluß möglich.

Gespeichert werden sollen zudem nicht nur personenbezogene Informationen über Täter oder Tatverdächtige, sondern auch Daten von

  • Personen, die bei einer künftigen Strafverfolgung als Zeugen in Betracht kommen,

  • Personen, bei denen Anhaltspunkte bestehen, daß sie Opfer einer künftigen Straftat werden können,

  • Kontakt- und Begleitpersonen sowie

  • Hinweisgebern und sonstigen Auskunftspersonen.

Datenschutzrechtlich ist insbesondere die Speicherung von Informationen zu den beiden letztgenannten Personenkreisen zu kritisieren. Sie sind so vage umschrieben, daß bereits jeder Betroffene, der aus Sicht der Polizei irgendwo im Umfeld eines Verdächtigen auftaucht, europaweit gespeichert werden kann.

Die Datenschutzbeauftragten des Bundes und der Länder wenden sich auch einhellig dagegen, daß Europol diese Daten in eigener Zuständigkeit verwalten soll. Bisher ist in der Bundesrepublik jedes Bundesland für die von ihm in länderübergreifende Systeme eingegespeicherten Daten selbst verantwortlich. Schnitte man nunmehr z.B. die Möglichkeit ab, einmal an Europol übermittelte Daten umgehend wieder zu löschen, wenn die Verdachtsmomente hinfällig geworden sind, so würde dies die Verantwortungen verwischen und die Rechte der Betroffenen entscheidend einschränken.

Hinzu kommt, daß nach den bisherigen Plänen Rechtsschutz gegen eine unberechtigte Datenverarbeitung nur beim Europäischen Gerichtshof in Luxemburg und nicht bei den deutschen Gerichten möglich sein soll. Darüber hinaus könnte Europol selbständig entscheiden, ob und in welchen Fällen Daten an andere Polizeibehörden der Mitgliedsländer übermittelt werden. Bei dem zu erwartenden Umfang des Informationsaustausches wäre es den Bürgern dann so gut wie unmöglich zu erkennen, wo überall Daten über sie gespeichert sind.

Wenn, wie geplant, die Befugnis geschaffen wird, Informationen auch an Geheimdienste weiterzugeben, ist die Gefahrt, daß ein europaweiter, undurchschaubarer Datendschungel entsteht, nicht von der Hand zu weisen.

4.1.2.3

KpS-Richtlinien in Kraft

In den vergangenen Jahren ist versucht worden, eine Präzisierung der Regelungen zu erreichen, nach denen die Polizei personenbezogene Daten speichern darf. Nunmehr sind die "Richtlinien für die Führung kriminalpolizeilicher personenbezogener Sammlungen (KpS-Richtlinien)" in Kraft gesetzt worden.

Die neuen Richtlinien regeln eine Reihe bisher noch offen gebliebener Punkte aus den in den vergangenen Jahren durchgeführten Kontrollen der polizeilichen Datenverarbeitung:

  • Definiert werden erstmalig die Zwecke, zu denen Datensammlungen angelegt werden sollen.
  • Für jede Aktensammlung, die diesen Zwecken dienen soll, ist eine Errichtungsanordnung vorgeschrieben, die entweder vom Leiter des Landeskriminalamtes oder vom jeweiligen Behördenleiter getroffen werden muß. Damit ist ausgeschlossen, daß einzelne Kommissariate oder Sachbearbeiter nach Belieben personenbezogene Informationen über Betroffene in "besonderen Dateien" speichern.
  • Der Zusammenhang zwischen dem Ausgang des Ermittlungsverfahrens und der Speicherungsdauer wird näher festgelegt. Die aktenführende Dienststelle wird verpflichtet, sich nach dem Ausgang des Ermittlungsverfahrens zu erkundigen, soweit dieser noch nicht bekannt ist. Wird das Verfahren durch die Justiz nicht innerhalb von zwei Jahren abgeschlossen, so ist jährlich zu prüfen, ob die Daten noch benötigt werden. Ist der Tatverdacht entfallen, sind die dazugehörigen Unterlagen auszusondern.
  • Ein Negativkatalog legt fest, daß keine personenbezogenen Unterlagen angelegt werden dürfen bei:
    • Kleinkriminalität von Erwachsenen,
    • Ermittlungsverfahren, bei denen die Richtlinien zur Förderung der Diversion bei jugendlichen und heranwachsenden Beschuldigten zur Anwendung gelangten,
    • Taten von Kindern, die das 12. Lebensjahr noch nicht vollendet haben, es sei denn, daß sie unter Anleitung oder Duldung strafrechtlich verantwortlicher Personen an den Taten beteiligt gewesen sind,
    • Verkehrsdelikten, es sei denn, daß sich aus speziellen Gründen ein Anlaß zur Speicherung ergibt,
    • Ordnungswidrigkeiten.

Wesentliche vereinfacht wird der Umgang mit Auskunftsanträgen Betroffener. Für deren Bearbeitung ist zentral das Landeskriminalamt zuständig, das anhand der polizeilichen Erkenntnisdatei die entsprechenden Akten zusammenzieht und dem Antragsteller so eine umfassende Auskunft geben kann.

Insgesamt kann man mit den neuen Richtlinien, an deren Erarbeitung wir mitgewirkt haben, unter datenschutzrechtlichen Gesichtspunkten zufrieden sein. Sie können einen Beitrag zu mehr Rechtssicherheit und damit auch zur größeren Offenheit zwischen Bürger und Polizei leisten.

4.1.2.4

Mangelhafte Kontrollierbarkeit von PED-Abfragen

Für eine wirksame datenschutzrechtliche Kontrolle hat sich die bisherige Aufbewahrungsfrist der Protokolldaten über Abfragen der PED (Polizeiliche Erkenntnisdatei) als zu kurz erwiesen.

Immer wieder wenden sich Petenten an uns mit dem Verdacht, über sie seien rechtswidrig Informationen aus der PED abgerufen und verbreitet worden. So meldete sich z.B. ein Kommunalpolitiker, nachdem ihn sein Kontrahent mit Kenntnissen konfrontiert hatte, die seiner Ansicht nach nur aus den polizeilichen Dateien stammen konnten. Im Prinzip können derartige Zweifelsfragen durch Auswertung der Protokolle, die über jede Abfrage der PED aufgezeichnet werden, geklärt werden. Die Protokolldaten werden jedoch bereits nach 50 Tagen vernichtet.

In den von uns zu überprüfenden Fällen hat diese kurze Frist oft zur Folge gehabt, daß nicht geklärt werden konnte, ob zu den Personalien des Petenten Daten aus dem Polizeisystem abgerufen worden waren. Betroffene werden mit Informationen, von denen sie annehmen müssen, daß sie aus dem polizeilichen Datenverarbeitungssystem stammen, häufig erst geraume Zeit nach einer eventuell erfolgten Abfrage konfrontiert. Manchmal ergeben sich Anhaltspunkte für eine möglicherweise rechtswidrige Recherche nur durch Zufall, so daß gar kein bestimmter Zeitpunkt genannt werden kann. Aus diesen Gründen haben wir uns dafür eingesetzt, die Aufbewahrungsfrist für die Protokolldaten auf sechs Monate auszudehnen. Dabei gehen wir davon aus, daß es auch im Interesse der Polizei liegt, möglichst alle auftretenden Zweifelsfälle klären zu können.

4.1.2.5

COMPAS

Die EDV-Unterstützung bei der Bearbeitung von Massensachen in den Polizeirevieren wird vom Innenminister weiter vorangetrieben. Bislang liegt uns jedoch noch kein schriftliches verbindliches Konzept vor.

Bereits im letzten Tätigkeitsbericht (16. TB, Tz. 4.1.3.3) hatten wir über dieses derzeit größte Automatisierungsvorhaben des Innenministers berichtet. Die von uns für eine einzelne Pilotinstallation aufgestellten Forderungen wurden zwar weitgehend erfüllt. Eine abschließende datenschutzrechtliche Beurteilung und Beratung ist derzeit jedoch noch nicht möglich, da der Innenminister Projektierungsarbeit bisher kein einheitliches Konzept mit verbindlichen, schriftlichen Soll-Vorgaben vorgelegt hat. Dies wird u.a. damit begründet, daß im Verlaufe der Projektierung und insbesondere Programmierung der einzelnen Verfahrensschritte so viele Änderungen gegenüber ursprünglichen Vorstellungen notwendig seien, daß eine vorherige Festschreibung keinen Sinn ergebe. Eine schriftliche Verfahrensdokumentation werde fast zeitgleich mit dem Programm fertiggestellt und stimme dann auch mit diesem überein. Änderungen, insbesondere auch datenschutzrechtliche Änderungswünsche, könnten dann immer noch eingearbeitet werden.

Diese Vorgehensweise weicht von der herkömmlichen in starkem Maße ab und erschwert die abschließende datenschutzrechtliche Beurteilung eines derartigen Projektes erheblich. Hier wird insbesondere darauf zu achten sein, daß keine Fakten geschaffen und spätere Änderungserfordernisse mit dem Hinweis auf erhebliche Kosten zurückgewiesen werden.

4.1.3

Ausländerverwaltung

4.1.3.1

Kein Zwang zur Selbstbezichtigung für Asylbewerber

Das Grundrecht auf Asyl erfordert eine faire und sachgerechte Verfahrensgestaltung. Die von Asylbewerbern vorgetragenen Verfolgungsgründe dürfen grundsätzlich nicht gegen sie zum Zwecke der Strafverfolgung verwendet werden.

Im Zuge der Begründung seines Asylantrages hatte ein Asylbewerber vor dem Verwaltungsgericht auch über politische Aktivitäten außerhalb seines ihm zugewiesenen Aufenthaltsortes berichtet, da er glaubte, nur auf diese Weise sein Asylbegehren schlüssig vortragen zu können. Der entsprechende Schriftsatz an das Gericht war in Durchschrift auch der zuständigen Ausländerbehörde als Verfahrensbeteiligter zugeleitet worden. Diese unterrichtete daraufhin die Staatsanwaltschaft, um ein Strafverfahren wegen Verletzung der Aufenthaltsbestimmung gegen den Asylbewerber einzuleiten. Dieser beschwerte sich gegen die nach seiner Auffassung unzulässige Datenübermittlung.

Aus dem strafprozessualen und auch verfassungsrechtlich verankerten Grundsatz, daß niemand gezwungen werden darf, sich selbst einer Straftat zu bezichtigen und damit zu seiner Überführung beizutragen, hat das Bundesverfassungsgericht (BVerfG) ein strafprozessuales Verwertungsverbot für die Fälle abgeleitet, in denen Betroffene aufgrund bestehender Auskunftspflichten in anderen Verfahren zur Offenbarung eigener Straftaten gezwungen sind. Die Voraussetzungen für ein solches Verwertungsverbot liegen nach unserer Auffassung in dem dargestellten Fall vor.

Der Bundesgerichtshof (BGH) hat zwar in einem vermeintlich ähnlichen Fall, in dem es um die Darlegung der rechtswidrigen Modalitäten der Einreise eines Asylbewerbers ging, festgestellt, daß dessen Mitwirkungspflicht nach dem Asylverfahrensgesetz schließlich nicht mit Sanktionen belegt sei und eine Aussageverweigerung deshalb nur zu einem erhöhten Beweisrisiko führe, welches nicht die Annahme eines Verwertungsverbots rechtfertige. Er ließ jedoch gleichzeitig die Frage unbeantwortet, ob etwas anderes gilt, wenn dem Betroffenen gewichtige oder gar existentielle Nachteile drohen. Eine andere Sichtweise ist nach Auffassung des Gerichts z.B. dann geboten, wenn die Verweigerung der Angaben stets und zwangsläufig zur Folge hat, daß der Antragsteller seinen Anspruch auf Anerkennung des Asylrechts nicht verwirklichen kann.

Der entscheidende Unterschied zu dem hier zu beurteilenden Fall bestand aber gerade darin, daß die Darlegung der Einreisemodalitäten tatsächlich nur geringen Einfluß auf den Ausgang des Asylverfahrens hatte. Für den Petenten, der sich an uns gewandt hatte, mußte es in seinem Verfahren jedoch darauf ankommen, möglichst alle entscheidungserheblichen Fakten zur Beurteilung der Gefahr politischer Verfolgung vorzutragen. Werden von Asylbewerbern bei der heutigen Entscheidungspraxis nicht alle Möglichkeiten zur schlüssigen Darstellung der Verfolgungsgefahr genutzt, riskieren sie die Ablehnung ihres Asylantrags.

Zudem berücksichtigt das Urteil des BGH nicht ausreichend die maßgebliche Verfassungslage. Das BVerfG hat in einem Beschluß ausdrücklich dargelegt, daß "von der gefestigten Rechtsprechung des BVerfG auszugehen ist, nach der Grundrechtschutz weitgehend auch durch die Gestaltung des Verfahrens zu bewirken ist, und daß die Grundrechte demgemäß nicht nur das gesamte materielle, sondern ebenso das Verfahrensrecht beeinflussen, soweit dieses für einen effektiven Grundrechtsschutz von Bedeutung ist. Da die wirksame Durchsetzung der materiellen Asylrechtsverbürgung eine dafür geeignete Verfahrensregelung voraussetzt, ist auch hier das Verfahrensrecht von verfassungsrechtlicher Relevanz." An dieser Auffassung hat das BVerfG seitdem festgehalten.

Demgemäß muß die Gestaltung des Asylverfahrens sachgerecht auf eine möglichst effektive Grundrechtswahrnehmung gerichtet sein. Bei der Ausgestaltung der Verfahrensgrundsätze muß folglich die Situation des Asylbewerbers berücksichtigt werden, der unter Umständen zum Verlassen Deutschlands gezwungen wird und damit besonders schwerwiegende und nicht korrigierbare Folgen hinnehmen muß. Er hat deshalb ein schützenswertes Interesse, im Asylverfahren seine politische Verfolgung auch unter vollständiger Darlegung der entscheidungserheblichen Sachverhalte nachweisen zu können. Wegen dieser weitreichenden Folgen gebietet das Grundrecht auf Asyl gerade solche verfahrensrechtlichen Vorkehrungen, die der Gefahr unanfechtbarer Fehlurteile entgegenwirken.

Eine Beschränkung der Möglichkeit, im Rahmen der Anhörung alle entscheidungserheblichen Sachverhalte vorzutragen, ohne sich gleichzeitig einer strafrechtlichen Verfolgung auszusetzen, würde demnach grundsätzlich Art. 16 a Grundgesetz widersprechen. Schranken dürften allenfalls dann bestehen, wenn im Einzelfall das öffentliche Interesse an einer Strafverfolgung, etwa wenn es sich um besonders schwerwiegende Straftaten handelt, gegenüber der Gewährleistung des Grundrechts auf Asyl überwiegt.

Nach alledem hielten wir ein Verwertungsverbot für die in dem Asylverfahren durch eigene Angaben des Betroffenen bekannt gewordenen Umstände einer strafbaren Handlung für gegeben. Auch wiederholte Verstöße gegen Aufenthaltsbeschränkungen sind nur als verhältnismäßig geringfügige Straftat zu werten. Bei einmaligem Verstoß erfolgt nur eine Ahndung als Ordnungswidrigkeit. Wir haben uns gegenüber der betroffenen Kreisverwaltung deshalb auf den Standpunkt gestellt, daß die Angaben des Asylbewerbers nicht gegen ihn selbst verwendet werden dürfen.

4.1.3.2

Übermittlung von Asylbewerberdaten an die Telekom

Meldebehörden dürfen den Aufenthaltsstatus von Ausländern nicht an die Telekom übermitteln.

Ein Ausländer hatte bei der Telekom einen Antrag auf Einrichtung eines Fernsprechanschlusses gestellt. Statt des gewünschten Telefons erhielt er jedoch zunächst die Aufforderung, eine Sicherheitsleistung von 1.000 DM zu erbringen, weil bei Asylbewerbern grundsätzlich "die Gefahr von Entgeltsausfällen" drohe. Auf Nachfrage erfuhr der Betroffene, daß die Telekom generell bei Personen mit ausländischem Namen versucht, deren Aufenthaltsstatus bei der zuständigen Wohnsitzgemeinde zu ermitteln. Im konkreten Fall hatte die betroffene Amtsverwaltung tatsächlich eine entsprechende Auskunft erteilt.

Für derartige Datenübermittlungen ist weder im Landesmeldegesetz noch im Asylverfahrensgesetz eine Rechtsgrundlage enthalten. Das Verhalten der Meldebehörde war damit als Verstoß gegen geltendes Datenschutzrecht zu beanstanden.

4.1.3.3

Ausländerzentralregister - nach dem Gesetz nun die Verordnung

Das Ausländerzentralregistergesetz erweitert die Funktionen des Registers über das Maß dessen hinaus, was gegenüber deutschen Staatsangehörigen als verfassungsrechtlich vertretbar angesehen würde. Der Entwurf einer Durchführungsverordnung konkretisiert diese Nutzungsmöglichkeiten nicht in der datenschutzrechtlich gebotenen restriktiven Weise.

Bereits im 14. Tätigkeitsbericht (14. TB, S. 31 f.) haben wir die Vorstellungen zu einem Ausländerzentralregistergesetz kritisiert und dabei auf die Gefahren hingewiesen, die mit einem umfangreichen multifunktionalen Online-Auskunftssystem verbunden sind. Auch die Konferenz der Datenschutzbeauftragten des Bundes und der Länder hat datenschutzrechtliche Bedenken gegen das Gesetz erhoben. Es ist dennoch praktisch unverändert verabschiedet worden. Dadurch wird das Ausländerzentralregister u.a. als umfassendes Melde-, Fahndungs-, Personenstands- und Aktensuchsystem gesetzlich festgeschrieben, während die vergleichbaren Funktionen für deutsche Staatsangehörige von unterschiedlichen, zum Teil länderspezifischen Registern erfüllt und durch vielfältige spezialgesetzliche Vorschriften geregelt werden.

In unserer Stellungnahme zum Entwurf der Durchführungsverordnung haben wir vorgeschlagen, die zu weit formulierten Vorschriften des Gesetzes zu detaillieren.

Dies sollte insbesondere

  • durch Stärkung der Mitverantwortung der Stellen, die dem Register Daten übermitteln,

  • durch strenge Zulassungsvoraussetzungen für die Einrichtung automatisierter Abrufverfahren und

  • durch Einschränkung der Voraussetzungen für sogenannte Gruppenauskünfte, die praktisch einer Art Rasterfahndung gleichkommen,

geschehen.

So sollten z.B.

  • im Register nur bestandskräftige Entscheidungen in Ausländerangelegenheiten gespeichert werden oder zumindest auf die Vorläufigkeit solcher Entscheidungen hingewiesen werden; anderenfalls besteht die Gefahr erheblicher Fehlinterpretationen zu Lasten der Betroffenen;
  • Berichtigungen nur mit Beteiligung der für die ursprünglich erhobenen Daten verantwortlichen Verwaltungsstellen vorgenommen werden; die Übereinstimmung des Informationsbestandes im Register mit den Informationen in den einzelnen Verwaltungsvorgängen muß sichergestellt werden;
  • fernmündliche Datenübermittlungen, insbesondere Auskünfte, wegen der damit verbundenen Risiken, die anfragende Stelle nicht eindeutig identifizieren und die Übermittlungsbefugnis nicht wirklich prüfen zu können, generell nicht zulässig sein;
  • die Zulassung zum automatisierten Abrufverfahren besonders kritisch geprüft werden; das Gesetz fordert die Berücksichtigung schutzwürdiger Interessen der Betroffenen und damit eine Rechtsgüterabwägung; die Nachrichtendienste sollten gar nicht zugelassen werden;
  • die "Gruppenauskunft" auf konkrete Straftatbestände beschränkt und konkretisiert werden, daß die Voraussetzungen der Strafprozeßordnung für Rasterfahndungsmaßnahmen zugrunde zu legen sind.

Der Bundesinnenminister hat unsere Vorschläge bisher nicht berücksichtigt. Es bleibt zu hoffen, daß Schleswig-Holstein im Bundesrat unsere Vorschläge unterstützt.

4.1.3.4

Asylcard

Nach Banken und Versicherungen entdeckt auch die Verwaltung die intelligente Chipkarte für sich. Bei den Asylbewerbern soll eine Smartcard erprobt werden, auf der umfangreiche Daten gespeichert sind.

Neben der Beratung einer Durchführungsverordnung zum Ausländerzentralregistergesetz werden inzwischen auch schon Fragen der Harmonisierung, Rationalisierung und Verbesserung des Asylverfahrens diskutiert. Dort wird die Meinung vertreten, eine größtmögliche Verfahrensoptimierung durch Einführung einer sogenannten Asylcard erreichen zu können. Dabei hat man ein intelligentes Identifikationspapier mit integriertem Prozessorchip im Sinn, das neben Lichtbild und biometrischen Daten des Fingerabdrucks auch wesentliche Verfahrensdaten eines Asylbewerbers enthalten soll. Die Karte soll unter anderem der Identifizierung des Trägers, der Kontrolle von Aufenthalt und Zutritt sowie des Empfangs von Sach- und Unterstützungsleistungen dienen. Gespeichert werden sollen auch Arbeitserlaubnisse und weitere, noch festzulegende Informationen.

In einer ersten Stellungnahme gegenüber dem Innenminister haben wir erhebliche Vorbehalte geltend gemacht. Abgesehen von einer Fülle technischer und verfahrensmäßiger Probleme stellt sich in erster Linie die Frage der verfassungsrechtlichen Zulässigkeit. Das Bundesverfassungsgericht hat die automatisierte Herstellung von Persönlichkeitsprofilen für unzulässig erklärt.

Der Grundsatz der Zweckbindung steht einer Nutzung personenbezogener Daten für beliebige Zwecke, so wie eine multifunktionale Chipkarte sie ermöglicht, entgegen.

Unsere Kritik an der unterschiedslosen erkennungsdienstlichen Behandlung aller Asylbewerber und Bürgerkriegsflüchtlinge (vgl. 15. TB, Tz. 4.1.3.5) werden verstärkt durch die jetzt vorgesehene Speicherung des Fingerabdrucks in der Asylcard.

Auch eine Reihe weiterer grundlegender Bedenken spricht gegen die Einführung der Asylcard (vgl. auch Tzn. 4.8.1 und 7.2). Wir haben den Innenminister gebeten, unsere Hinweise bei den weiteren Beratungen zu unterstützen.


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