19. Tätigkeitsbericht (1997)
4.2 |
Polizei |
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4.2.1 |
Prüfung beim Staatsschutz |
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Schneller als der Polizei erlaubt speicherte der Staatsschutz personenbezogene Daten. Nach einer datenschutzrechtlichen Querschnittsprüfung sind umfangreiche Bereinigungsaktionen im Gange.
Eine systematische Kontrolle im Dezernat für Staatsschutzdelikte des Landeskriminalamtes (LKA) hat gezeigt, daß es in diesem Bereich polizeilicher Datenverarbeitung noch erhebliche Umsetzungsdefizite
des 1992 neugefaßten Landesverwaltungsgesetzes (LVwG) gibt. So kam stellenweise eine Auslegung der Vorschriften zutage, die sich weder mit dem Wortlaut der Normen noch mit dem Willen des Gesetzgebers in Einklang bringen läßt. Anders als der Verfassungsschutz nach dem Landesverfassungsschutzgesetz besitzt der polizeiliche Staatsschutz keine Vorfeldkompetenz
zur Beobachtung politisch motivierter Gruppierungen oder Bestrebungen, die sich gegen die freiheitlich demokratische Grundordnung oder die Sicherheit des Bundes oder eines Landes richten. Seine Aufgabe ist dieselbe wie die der übrigen Polizei: Straftaten aufklären und konkrete Gefahren abwehren.
Wir haben deshalb eine Reihe von Beanstandungen ausgesprochen und auf die strikte Aufgabentrennung zwischen Polizei
und Verfassungsschutz hingewiesen. Im einzelnen war folgendes zu kritisieren: Personenakten und Kartei "Innere Sicherheit"
Im Bereich "Innere Sicherheit" werden Informationen über Staatsschutzdelikte in Personenakten und in der dazugehörigen Kartei "Innere Sicherheit" gespeichert. Für die Einordnung als ein Staatsschutzdelikt reicht der politische Bezug einer Straftat allein noch nicht aus. Vielmehr setzt dies ein besonderes Gewicht der Tat und eine Gefährdung von Rechtsgütern der freiheitlich demokratischen Grundordnung voraus.
Auch für diese Datenbestände müssen die Regelungen, wie sie im Landesverwaltungsgesetz (§ 189), in den KpS-Richtlinien und in der KA-Regelung festgeschrieben sind, Anwendung finden. Dementsprechend dürfen sie nur die für eine Prognose über die Wahrscheinlichkeit künftiger Straftaten wesentlichen Informationen enthalten. Die von uns geprüften 56 Personenakten standen fast durchgehend nicht im Einklang mit diesen Anforderungen.
Beispiele:
Datenspeicherungen wegen vermuteter künftiger Straftaten
Hierbei geht es um die Möglichkeit, wegen eines vermuteten künftigen Verbrechens oder möglichen gewerbs- oder gewohnheitsmäßigen Vergehens, Daten über die hieran möglicherweise beteiligten Personen eigens zu erheben. Nach dem Landesverwaltungsgesetz (§ 179 Abs. 2) müssen in jedem Einzelfall Tatsachen vorliegen. Allgemeine Erfahrungssätze ohne Bezug zum jeweiligen Geschehen sind nicht ausreichend.
Die Speicherpraxis des Staatsschutzdezernates ging bislang in vielen Fällen an den präzisen Kriterien dieser Vorschrift vorbei. Sie wurde vielmehr als "Auffangnorm" benutzt, wenn sonstige Rechtsgrundlagen für Speicherungen nicht vorlagen. Insbesondere traf dies bei Daten über die Mitgliedschaft und die Aktivitäten von Personen in politischen bzw. extremistischen Vereinigungen und Bestrebungen zu. Da es sich hierbei um eine dem Verfassungsschutz zugewiesene Vorfeldarbeit handelte, die der Gesetzgeber der Polizei gerade nicht eröffnen wollte, war diese Datenverarbeitungspraxis zu beanstanden.
Beispiele:
In erheblichem Umfang wurden auch Daten über die persönlichen
Lebensumstände über die Teilnahme an nicht verbotenen Versammlungen, Veranstaltungen, Aufrufen, Telefonaktionen der Medien sowie über die bei bestimmten Ereignissen festgestellten Kraftfahrzeuge in Personenakten gespeichert.
Beispiele:
Daten über dritte Personen
In den Personenakten fanden sich zudem eine Vielzahl von Daten über dritte Personen, die zu der in der Akte gespeicherten Person bzw. dem dort festgehaltenen Ereignis in Beziehung standen (z.B. als Familienangehörige, Halter der von den gespeicherten Personen mitgenutzten Kraftfahrzeuge, Vermieter, Begleitpersonen, Hinweisgeber, Mittäter, aber auch als Personen, die sich zufällig im Umfeld der gespeicherten Person aufgehalten haben).
Dies kann sachlich nur gerechtfertigt sein, wenn es für die Bewertung der gespeicherten "Hauptperson" und des Sachverhaltes unerläßlich ist. In vielen Fällen wurden diese Grundsätze nicht beachtet.
Beispiele:
Die gesetzlich angeordneten Prüffristen für Personenakten wurden vielfach nicht korrekt festgesetzt:
In der Datei APIS werden "klassische" Staatsschutzdelikte, wie Hochverrat, verbotene Parteibetätigung, Sabotage, aber auch andere Delikte wie Sachbeschädigungen, Körperverletzungen oder Beleidigungen bundesweit erfaßt, wenn beim Täter eine extremistische Motivation erkennbar wird.
In Schleswig-Holstein sieht die Errichtungsanordnung des Innenministers vor, daß stets zu prüfen ist, ob eine Speicherung in dieser bundesweiten Datei verhältnismäßig ist. Bei der Erfassung "anderer Straftaten" mit politischer Motivation ist stets die Schwere und die überörtliche Bedeutung der Tat ausschlaggebend.
Eine stichprobenhafte Überprüfung der Speicherungspraxis zeigte einen weitgehend korrekten Umgang mit diesen personenbezogenen Daten. Auf unsere Anregung werden künftig alle in APIS eingestellten Vorgänge auch in der jeweiligen Personenakte dokumentiert. Lichtbildkartei
Im Zeitpunkt der Prüfung umfaßte die Lichtbildkartei Fotos von insgesamt 320 Personen. Das Material datierte zu einem großen Teil bis in die 70er bzw. 80er Jahre zurück. In den betreffenden Personenakten war das Vorhandensein von Lichtbildern nicht vermerkt, so daß bei ihrer Vernichtung die Lichtbilder unzulässigerweise gespeichert bleiben.
Ein weiterer häufig anzutreffender Dokumentationsmangel
dieser Lichtbildkartei war, daß eine hinreichende Beschriftung der einzelnen Lichtbilder und Negative selbst nicht existierte. So enthielt ein Lichtbildumschlag 51 Reproduktionen eines Lichtbildes, die gänzlich unbeschriftet waren. Gefunden wurden auch Lichtbilder, obwohl in der Personenakte ausdrücklich vermerkt war: "Fotos zur Person nicht vorhanden."
Bei einer derartigen Dokumentation war es dann keine besondere Überraschung, als wir zu einer Person Lichtbilder aus einer erkennungsdienstlichen Behandlung vorfanden, obwohl das Landeskriminalamt im Rahmen einer Eingabe dieser Person zuvor schriftlich bestätigt hatte, es liege kein erkennungsdienstliches Material mehr in Schleswig-Holstein vor. Datenspeicherungen über gefährdete Personen
Daten über gefährdete Personen, aber auch über Personen, von denen Gefährdungen ausgehen können (Gefährder), werden in Gefährdeten- und Gefährderakten sowie einer speziellen Datei vorgehalten.
Auffällig war, daß zwischen dieser Datei und der Aktensammlung keine Kongruenz bestand, so daß keine Datensammlung für sich vollständige Auskunft über den jeweiligen Datenbestand dieser Personengruppen geben konnte. Darüber hinaus war der Aktenbestand stark veraltet, weil wegen mangelnder Prüffristenüberwachung
bislang keine Aktualisierung erfolgte.
Die Speicherung von Daten in einer Gefährdetenakte ist zudem nur nach vorheriger Aufklärung des Betroffenen und mit seiner schriftlichen Einwilligung zulässig, sofern nicht eine unmittelbare, konkrete Gefahr vorliegt. Bei einer Vielzahl der Gefährdetenakten fehlte diese schriftliche Einwilligungserklärung.
Außerdem befanden sich in den Akten in beträchtlichem Umfang Daten über dritte Personen, die bei der Überprüfung möglicherweise gefährdungsrelevanter Sachverhalte einmal festgestellt worden waren. Offensichtlich wurde für diesen Personenkreis keine ordentliche Datenpflege mit regelmäßigen Prüfungen hinsichtlich der Erforderlichkeit ihrer Weiterspeicherungen durchgeführt.
Beispiele:
Nach geltender Rechtslage besitzt nur der Leiter der Justizvollzugsanstalt
(bei Untersuchungshaft nur ein Haftrichter) die Kompetenz, eine Überwachung der Besuche und des Schriftwechsels mit Gefangenen anzuordnen. Er kann sich bei der Überwachung der Amtshilfe durch die Polizei bedienen.
Die Prüfung zeigte, daß die Praxis der Polizei dem allerdings nicht entsprach. Die Besuchsüberwachung
wurde nämlich eigenständig von der Polizei
durchgeführt, ohne daß weitere Entscheidungen durch den Anstaltsleiter der Justizvollzugsanstalt (JVA) getroffen wurden. Das vom anwesenden Polizeibeamten aufgrund seiner Notizen gefertigte Besuchsprotokoll verblieb beim Landeskriminalamt und wurde zeitgleich an die JVA und an andere polizeiliche Dienststellen gesandt. Eine vorherige Sichtung und Relevanzprüfung im Hinblick auf den eigentlichen Überwachungszweck durch den Leiter der JVA fand offensichtlich nicht statt.
Die Besuchsprotokolle enthielten in vielen Fällen Informationen, deren Erforderlichkeit im Hinblick auf den Zweck der Datenerhebung nicht nachvollziehbar war.
Entgegen der anläßlich einer früheren Prüfung (vgl. 16. TB, Tz. 4.3.3) gegebenen Zusicherung des Justizministeriums, wonach "die Weitergabe von Kopien von Briefen an das Kriminalpolizeiamt gemäß ausdrücklicher Weisung seit vielen Jahren, insbesondere seit Inkrafttreten datenschutzrechtlicher Bestimmungen in Schleswig-Holstein, nicht mehr praktiziert" werde, fanden sich in den polizeilichen Unterlagen zur Häftlingsüberwachung mehrere Kopien von Briefen an Häftlinge, die von der JVA an das Landeskriminalamt weitergegeben worden sind, das wiederum Kopien an das Bundeskriminalamt und den Polizeipräsidenten eines anderen Bundeslandes übermittelte.
Unter anderem fanden wir Briefe, in denen höchstpersönliche Angaben enthalten waren, beispielsweise einen 19seitigen Brief, der einen Abriß über die Kindheit des Absenders, seinen politischen Werdegang, aber auch seine sexuelle Orientierung wiedergab. Wir haben ihre Vernichtung verlangt. Da diesen Briefen Anhaltspunkte für Straftaten nicht zu entnehmen waren, stellte ihre Weitergabe und Speicherung in den polizeilichen Unterlagen nämlich einen unzulässigen, tiefen Eingriff in das Persönlichkeitsrecht des Absenders dar.
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4.2.2 |
Prüfung einer Polizeiinspektion |
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Bei der Prüfung einer Polizeidienststelle erwies sich einmal mehr die Art und Weise der Führung der Kriminalakten als wesentlicher Kritikpunkt.
Bei einer datenschutzrechtlichen Querschnittsprüfung in einer Polizeiinspektion konnten wir Qualitätsunterschiede bei der Erhebung und Verarbeitung personenbezogener Daten in den einzelnen Organisationseinheiten feststellen:
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4.2.3 |
INPOL-Neu: mit dem Rasenmäher durch die Landespolizeigesetze?
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Der Bund will das polizeiliche Informationssystem INPOL neu gestalten. Die bisher vorliegende Konzeption und der Entwurf des BKA-Gesetzes führen zu einer verfassungsrechtlich bedenklichen Verschiebung von Zuständigkeiten weg von den Ländern hin zum Bund.
Das Bundesministerium des Innern plant, das wichtigste System der polizeilichen Informationsverarbeitung, INPOL, mit dem Bund und Länder gemeinsam arbeiten, neu zu gestalten. Neben einer technischen Neukonzeption sind vor allem umfangreiche Ausweitungen der Speicherbefugnisse vorgesehen. Diese sollen rechtlich durch eine Neufassung des Bundeskriminalamtgesetzes abgesichert werden. Die dort vorgesehenen Regelungen zur Behandlung der Daten, die von den Polizeien der Länder angeliefert werden, und die weiteren Vorstellungen im Rahmen von INPOL-Neu sind unserer Ansicht nach nicht mit dem Grundgesetz vereinbar. Nach der verfassungsmäßigen Kompetenzverteilung liegt die Gesetzgebungsbefugnis zur Gefahrenabwehr grundsätzlich bei den Ländern. Die Gesetzgebung des Bundes darf lediglich den Bereich der Zusammenarbeit des Bundes und der Länder in Angelegenheiten der Kriminalpolizei regeln.
Die im BKA-Gesetzentwurf vorgesehenen Regelungen gehen jedoch weit darüber hinaus. Sie legen fest, welche Daten die Länder in das INPOL-System einstellen müssen. Dies wären wesentlich mehr als derzeit nach dem schleswig-holsteinischen Polizeigesetz zulässig. So ist z.B. vorgesehen, die Daten Dritter zu speichern, die Personen, die einer Straftat verdächtig sind, lediglich begleitet haben oder mit diesen zufällig in Kontakt standen. Davon wäre eine große Anzahl Unverdächtiger betroffen.
Problematisch ist außerdem die Frage, wann die gespeicherten Daten gelöscht werden müssen. Es ist vorgesehen, daß im Regelfall nach zehn Jahren geprüft wird, ob eine Speicherung noch aufrechterhalten werden muß. Das schleswig-holsteinische Landesrecht sieht hier eine deutlich kürzere Prüffrist von fünf Jahren vor. Nach unserer Auffassung kann die Zehnjahresfrist nur als Höchstgrenze gelten, d.h., eine kürzere Prüffrist und die darauf folgende Löschung nach Landesrecht muß den am INPOL-Verbund angeschlossenen Polizeibehörden unbenommen bleiben, weil die Stelle für die eingespeicherten Daten verantwortlich ist, von der die Daten ursprünglich stammen.
Das Innenministerium des Landes Schleswig-Holstein hat sich allerdings bislang auf den Standpunkt gestellt, die Zulässigkeit der Speicherung von Daten im INPOL-Verbundsystem werde sich allein nach den Vorgaben des künftigen BKA-Gesetzes richten. Auch die Prüf- und Löschungsfristen müßten allein den Regelungen des Bundesgesetzes entnommen werden. Diese Auffassung würde nach unserer Ansicht zu Speicherungen führen, die nach dem Polizeirecht des Landes Schleswig-Holstein nicht zulässig sind.
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4.2.4 |
COMPAS
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Eingehende Beratungen haben zu weiteren wesentlichen datenschutzrechtlichen und technischen Verbesserungen beim Projekt COMPAS geführt.
Waren in der Konzeption des "computergestützten polizeilichen Arbeitsplatzsystems" COMPAS zunächst eine Reihe von datenschutzrechtlichen Schwachpunkten erkennbar, so ist der Innenminister unseren Änderungs- oder Klarstellungsvorschlägen (vgl. 18. TB, Tz. 4.2.8) zwischenzeitlich weitgehend gefolgt.
Beispiele:
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4.2.5 |
POLDOK
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Der Innenminister hat den Erlaß zum POLDOK-Meldedienst trotz unserer datenschutzrechtlichen Kritik in Kraft gesetzt. Er trägt weder datenschutzrechtlichen Belangen Rechnung, noch genügt er offenbar den Anforderungen der polizeilichen Praxis.
Zum neuen POLDOK-Meldedienst erreichten uns Anfragen von irritierten Polizeibeamten. Sie konnten nicht verstehen, aus welchem Grunde die Personendaten der Beschuldigten dort durch ein Aktenzeichen ersetzt werden, während gleichzeitig die Opferdaten gespeichert bleiben sollen. Die Recherche nach Opfern und Geschädigten komme extrem selten vor. Allerdings erschwere es die alltägliche Arbeit erheblich, daß jetzt nicht mehr nach den Beschuldigten mit Namen, sondern umständlich über das Aktenzeichen und dann mit diesem in POLDOK der dazugehörige Datensatz gesucht werden müsse.
Der Erlaß ist auch aus datenschutzrechtlichen Gründen zu kritisieren:
Wir haben die Polizeibeamten darauf hingewiesen, daß die im Erlaß festgeschriebene Verfahrensweise nicht auf unsere Einflußnahme zurückgeht. Unserer Auffassung nach wäre es vielmehr datenschutzrechtlich nicht zu beanstanden, wenn die Personendaten von Beschuldigten für den rechtlich zulässigen Zeitraum speichert blieben. Die dauerhafte Speicherung der Opferdaten ist für uns ebenso unakzeptabel wie offenbar für einige Polizeipraktiker unverständlich.
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