19. Tätigkeitsbericht (1997)



5.

Datenschutz bei den Gerichten

5.1

Wenn es im Arbeitsgerichtsprozeß zur Sache geht

Selbst an einem Rechtsstreit gar nicht beteiligte Personen müssen gelegentlich in Kauf nehmen, daß Informationen über sie im Prozeß verwendet werden. In solchen Fällen besteht allerdings die Möglichkeit, die Öffentlichkeit von der mündlichen Verhandlung auszuschließen.

Eine Petentin wandte sich an uns, weil ihr Arbeitgeber plante, wegen wirtschaftlicher Schwierigkeiten seines Betriebes eine Arbeitnehmerin zu entlassen. Nach den Vorschriften des Kündigungsschutzgesetzes hatte er dabei eine sogenannte "soziale Auswahl" zu treffen. Durch diese soll festgestellt werden, welche Arbeitnehmer aus sozialen Gründen am stärksten auf den Arbeitsplatz angewiesen sind und bei welchen eine Kündigung eher zumutbar erscheint. Nachdem die Auswahl des Arbeitgebers anhand dieser Kriterien auf eine bestimmte Beschäftigte gefallen und ihr gekündigt worden war, erhob diese Kündigungsschutzklage. Vor dem Arbeitsgericht mußte der Arbeitgeber nun darlegen, warum er gerade dieser Arbeitnehmerin, nicht aber den anderen und auch nicht der Petentin gekündigt hatte. Dazu führte er die Gründe aus, die die Nichtgekündigten aus seiner Sicht besonders schutzwürdig erscheinen ließen. Zu diesem Zweck legte er gegenüber dem Arbeitsgericht schriftlich verschiedene Details über seine Arbeitnehmerinnen dar. Über die Petentin fanden sich in dem Schriftsatz Details über ihre wirtschaftlich problematische Lage, die sie als beschämend empfand. Zu allem Überfluß wurde sie in dem Schriftsatz auch noch als Zeugin für diese Tatsachen benannt, sie mußte daher in dem Kündigungsschutzverfahren, das grundsätzlich öffentlich stattfindet, auftreten. Dabei hätte die Gefahr bestanden, daß die wirtschaftliche Situation der Petentin in der gesamten Belegschaft bekannt würde.

Aus unserer Sicht konnte die Informationsweitergabe durch den Arbeitgeber nicht beanstandet werden. Die Vorschriften des Kündigungsschutzgesetzes verpflichten ihn, entsprechende Angaben in das Gerichtsverfahren einzuführen. Auch ist es ihm unbenommen, seine Arbeitnehmer als Zeugen in dem Verfahren zu benennen. Allerdings besteht für das Gericht die Möglichkeit, bei der Vernehmung von Zeugen über derartige private Angelegenheiten nach dem Gerichtsverfassungsgesetz (GVG) die Öffentlichkeit auszuschließen.

Die Gerichte unterliegen, soweit sie im Rahmen der Rechtsprechung tätig werden, wegen der verfassungsrechtlich garantierten richterlichen Unabhängigkeit keiner Kontrolle. Daher konnten wir den Richter nur im Namen der Petentin dezent auf das Problem aufmerksam machen.

Was ist zu tun?
Die Gerichte sollten von der Möglichkeit des Ausschlusses der Öffentlichkeit von der Verhandlung Gebrauch machen, sobald sich abzeichnet, daß besonders sensible personenbezogene Informationen zur Sprache kommen.

5.2

Strafurteil als Makel fürs Leben?

Trotz der Tilgungsbestimmungen im Bundeszentralregistergesetz werden alte Urteile immer wieder zum Nachteil der Betroffenen verwandt.

Ein wesentlicher Aspekt unseres Strafrechtssystems ist der Resozialisierungsgedanke. Nach der Strafvollstreckung soll der frühere Straftäter wieder in die Gesellschaft eingegliedert werden. Damit ihm eine länger zurückliegende Verurteilung nicht auf ewig anhängt, sehen die Vorschriften des Bundeszentralregistergesetzes vor, daß er sich nach Ablauf einer bestimmten Zeit - abhängig von der Höhe der Strafe - als unbestraft bezeichnen darf. Die Straftat und die Verurteilung dürfen dem Betroffenen dann "im Rechtsverkehr" nicht mehr vorgehalten oder zu seinem Nachteil verwertet werden.

Leider kommt es immer wieder zu Verstößen gegen diese Vorschriften. Dies mußte ein Petent erleben, in dessen Wohnung eingebrochen worden war und der nun gegen seine Hausratsversicherung auf Auszahlung der Versicherungssumme klagte. Nachdem er in der ersten Instanz gewonnen hatte, sah er sich in der zweiten Instanz vor dem OLG Schleswig plötzlich mit der Kopie eines über zehn Jahre alten Strafurteils konfrontiert, das der Rechtsanwalt der Versicherung in das Verfahren eingeführt hatte. Mit dem Hinweis auf die frühere Verurteilung wollte er bei dem Gericht offensichtlich den Eindruck hervorrufen, einer Person, die bereits strafrechtlich aufgefallen war, könne die Schilderung eines Einbruchs nicht geglaubt werden, und es müsse ein Versicherungsbetrug vorliegen.

Es ist nicht unsere Aufgabe, die Qualität einer solchen Argumentation in einem Zivilprozeß zu bewerten. Allerdings wurden die Vorschriften des Bundeszentralregistergesetzes verletzt. Da die Vorstrafe im Bundeszentralregister inzwischen getilgt war, durfte sie dem Petenten nämlich nicht mehr vorgehalten werden. Leider bleiben die Strafurteile auch nach der Tilgung im Bundeszentralregister in Papierform im Gewahrsam staatlicher Stellen. Nach den Aufbewahrungsbestimmungen für die Justiz lagern sie im Regelfall dreißig Jahre bei der Staatsanwaltschaft. Die Datenschutzbeauftragten haben immer wieder darauf hingewiesen, daß aus dieser zu langen Aufbewahrungsdauer Gefährdungen erwachsen. Für den Rechtsanwalt war es offensichtlich kein Problem, sich das über zehn Jahre alte Strafurteil in Kopie zu besorgen. Bisher konnte trotz Einschaltung der für die datenschutzrechtliche Kontrolle des Anwalts zuständigen Abteilung im Innenministerium noch nicht geklärt werden, auf welchem Wege das Urteil zu dem Anwalt gelangte.

Was ist zu tun?
Strafurteile sollten aus den Unterlagen entfernt werden, wenn die Tilgungsfrist abgelaufen ist.


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