4.3 Justizverwaltung
4.3.1 Neuregelung der verdeckten Ermittlungsmaßnahmen im Strafverfahren
Die Bundesregierung will die verdeckten Ermittlungsmaßnahmen in der Strafprozessordnung neu regeln. Das proklamierte begrüßenswerte Ziel, ein „harmonisches Gesamtsystem“ zu schaffen, wird mit dem bisher vorliegenden Referentenentwurf nicht erreicht. Vielmehr werden das Telekommunikationsgeheimnis und das Recht auf informationelle Selbstbestimmung weiter ausgehöhlt.
Die Neuregelung der verdeckten Ermittlungsmaßnahmen in der Strafprozessordnung (StPO) soll parallel zur Einführung der Vorratsdatenspeicherung erfolgen (Tz. 7.1). Es geht hierbei schwerpunktmäßig um die Überarbeitung der Eingriffsschwellen und der sonstigen Eingriffsvoraussetzungen, nicht nur bei der Telekommunikationsüberwachung. Diese soll in Zukunft weiterhin möglich sein, wenn der Verdacht einer in einem Anlasstatenkatalog genannten „schweren Straftat“ besteht. Aus diesem Katalog wurden bei der Überarbeitung nur solche Straftaten gestrichen, die in der Praxis ohnehin gar nicht oder kaum vorkommen, so etwa die Fahnenflucht. Zugleich sind die Erweiterungen beträchtlich, wie etwa die Aufnahme bestimmter Urkunden- oder Betrugsdelikte.
Unverhältnismäßig ist auch die Verbindungsdatenabfrage, die bereits bei jedem Verdacht einer mittels Telekommunikation begangenen Straftat möglich werden soll. Nach der Begründung soll die Abfrage dynamischer IP-Adressen zur Strafverfolgung sogar praktisch voraussetzungslos über das Telekommunikationsgesetz möglich sein.
Erlaubt wird die Überwachung unverdächtiger (!) Kontakt- und Begleitpersonen – sogar mit Wanzen und Richtmikrofonen.
Der Schutz des Kernbereichs privater Lebensgestaltung soll in Zukunft nur bei der akustischen Wohnraumüberwachung und der Telekommunikationsüberwachung gelten. Dies genügt nicht. Kernbereichsschützende Regelungen sind auch für weitere heimliche Maßnahmen verfassungsrechtlich zwingend, so etwa für das Abhören von Gesprächen außerhalb von Wohnungen, z. B. im Auto.
Die Schutzansprüche der Zeugnisverweigerungsberechtigten drohen durch weiche Abwägungsklauseln verwässert zu werden. Eine Differenzierung nach verschiedenen Klassen ist nicht nachvollziehbar und untergräbt einen wirksamen Grundrechtsschutz. Aus welchem Grund wird ein Arzt oder Rechtsanwalt weniger geschützt als ein Strafverteidiger oder Geistlicher? Nach welchen Regeln soll entschieden werden, ob ein Gespräch schutzwürdig ist oder nicht? Die dafür vorgesehene wortreiche Abwägungsklausel lässt jeden objektiv messbaren Maßstab vermissen.
Begründungspflichten für – auch gerichtliche – Überwachungsanordnungen und hinreichende Verwertungsverbote sollten klar geregelt werden. Für eine notwendige Evaluation sind umfassende Berichtspflichten zu allen heimlichen Maßnahmen vorzusehen.
Was ist zu tun?
Das Land Schleswig-Holstein sollte dem Entwurf im Bundesrat wegen verfassungsrechtlicher Bedenken nicht zustimmen. Der Bedarf für eine Verschärfung der Vorschriften wurde bisher nicht nachgewiesen.
4.3.2 Nicht eingeleitete Strafverfahren – dennoch gespeichert
Wird mangels Tatverdachts die Einleitung eines Verfahrens abgelehnt, so stellt sich die Frage, wie solche Vorgänge in MESTA – im Automationssystem der Staatsanwaltschaft – zu speichern sind.
Ein Betroffener war offensichtlich ohne Grundlage und mit Schädigungsabsicht angezeigt worden. Die Staatsanwaltschaft kam zu dem Ergebnis, dass kein Anfangsverdacht einer Straftat vorlag und sah demgemäß von der Einleitung eines Strafverfahrens ab. Dennoch wurde der Vorgang in MESTA gespeichert.
In einigen Fällen waren die Vorgänge nur teilweise mit einer eigenen Löschfrist für die Verwendung in zukünftigen Verfahren versehen. Klärungsbedürftig war, weshalb Daten aus Verfahren, bei denen nicht einmal ein Anfangsverdacht vorlag, für zukünftige Verfahren benötigt würden. Die Staatsanwaltschaft meinte, die Strafprozessordnung differenziere bei der Dokumentation nicht nach der Art der Verfahrensbeendigung. Dies ist für uns nicht einsichtig: Jede Datenspeicherung muss stets im Einzelfall erforderlich sein. Zudem mussten wir feststellen, dass Teillöschungen nicht durchgeführt worden waren. Dieser konkrete Mangel wurde nach Angaben der Generalstaatsanwaltschaft behoben. Generell bedarf die Ausgestaltung des Systems MESTA aber offensichtlich weiterer datenschutzrechtlicher Beobachtung, auch im Hinblick auf die Protokollierung der Verarbeitungsprozesse. Die Generalstaatsanwaltschaft signalisierte diesbezüglich Gesprächsbereitschaft.
Was ist zu tun?
Die Vergabe von Löschfristen, die technische Ausgestaltung der Löschungen und die Protokollierung in MESTA bedürfen einer vertieften Prüfung.
4.3.3 Kontrollbefugnis bei der Staatsanwaltschaft
Im Rahmen der unter Tz. 4.3.2 dargestellten Eingabe konnten wir unsere Kontrolle nicht vollständig durchführen. Es wurde uns keine vollständige Akteneinsicht gewährt. Dies haben wir formell beanstandet.
Im Wortlaut: § 39 Abs. 1 LDSG
Das Unabhängige Landeszentrum für Datenschutz überwacht die Einhaltung der Vorschriften über den Datenschutz bei den öffentlichen Stellen, auf die dieses Gesetz Anwendung findet. Die Gerichte und der Landesrechnungshof unterliegen seiner Kontrolle, soweit sie nicht in richterlicher Unabhängigkeit tätig werden.
Im Wortlaut: § 41 Abs. 1 LDSG
Die öffentlichen Stellen sind verpflichtet, das Unabhängige Landeszentrum für Datenschutz bei der Erfüllung seiner Aufgaben zu unterstützen. Ihm ist dabei insbesondere
1. Auskunft zu erteilen sowie Einsicht in Unterlagen und Dateien zu gewähren, die im Zusammenhang mit der Verarbeitung personenbezogener Daten stehen, besondere Amts- und Berufsgeheimnisse stehen dem nicht entgegen. …
Die Prüfung bei der betreffenden Staatsanwaltschaft fand in freundlicher Gesprächsatmosphäre statt. Man war sehr bemüht, uns mündlich Auskünfte zu erteilen. Die Einsicht in die Datei MESTA wurde uns gewährt, nicht jedoch die vollständige Einsicht in die zugrunde liegenden Vorgänge: Die Akten, die wir prüfen wollten, lagen auf dem Tisch; uns wurde auszugsweise daraus vorgelesen; einzelne Schriftstücke wurden uns vorgezeigt. Die vollständige Akteneinsicht wurde uns jedoch – offenbar aufgrund einer Anweisung des Generalstaatsanwalts – verweigert. Die ULD-Prüfer konnten also nicht uneingeschränkt die Akten durchsehen. So war uns z. B. unmöglich zu klären, ob sich aus den Akten eine Weitergabe an andere Stellen ergab. Wir waren insofern auf die uns gemachten mündlichen Angaben der geprüften Stelle angewiesen. Nur durch ein Durchblättern der Akten ist es aber möglich, etwaige weitere – möglicherweise übersehene – Eintragungen, Vermerke oder Ähnliches zu Datenübermittlungen oder -erhebungen zu finden.
Der Generalstaatsanwalt begründet seine Weisung damit, dass das ULD von vornherein keine datenschutzrechtliche Kontrolle der staatsanwaltschaftlichen Fachentscheidung über die Einleitung von Strafverfahren habe vornehmen wollen, sondern lediglich Einsicht in MESTA und die zugrunde liegenden Vorgänge erlangen wollte. Dann sei eine Akteneinsicht des ULD in Aktenteile untersagt, auf die es das Prüfrecht gerade nicht erstrecken wolle. Dies erforderten die berechtigten Datenschutzinteressen von Opfern und Geschädigten. Dem ULD sei nicht die Einsicht in die Bereiche, die Gegenstand der Kontrolle waren, verweigert worden. Soweit es um Datenübermittlungen gegangen sei, habe man dem ULD alle diesbezüglichen Eintragungen auf Nachfrage vorgelegt. Den ULD-Mitarbeitern war mitgeteilt worden, dass der Inhalt von Strafanzeigen und die Sachentscheidung selbst nicht zur Akteneinsicht freigegeben werde. Der Generalstaatsanwalt sieht also einen Teilbereich der Akten der Prüfkompetenz des ULD entzogen. Eine andere Sachlage hätte, so der Generalstaatsanwalt, vorgelegen, wenn das ULD erklärt hätte, es wolle sich anstelle einer vollständigen Akteneinsicht mit einem Durchblättern begnügen. Eine seriöse und unabhängige Datenschutzkontrolle setzt aber voraus, dass sich die Prüfer ein eigenes Bild machen und dazu sämtliche Unterlagen durchsehen können.
Selbstverständlich bewertet das ULD nicht die allein von der Staatsanwaltschaft zu beurteilende Entscheidung, ob ein strafrechtlicher Anfangsverdacht vorliegt oder nicht. Dies rechtfertigt aber nicht die Eingrenzung der Einsichtsbefugnisse des ULD in personenbezogene Daten. Das ULD kann vor der Kontrolle seinen Prüfauftrag mit Bindung gegen sich selbst auch nicht durch einen Verzicht auf die Einsicht in bestimmte Aktenteile begrenzen. Welche Akten im Einzelnen vom ULD gesichtet werden, steht im Ermessen der Prüfer vor Ort. Eine Vorabselbstbeschränkung wäre praktisch unsinnig. Die Entscheidung darüber, welcher Teil der Akten der Prüfkompetenz des ULD unterliegt, kann natürlich nicht bei der geprüften Stelle liegen. Das ULD hat die gesetzliche Pflicht, sich selbst ein Bild zu machen, ob ein datenschutzrechtlicher Bezug im Einzelfall vorliegt. Für die Staatsanwaltschaft sieht das Gesetz keine Sonderbehandlung vor. Daher haben wir die teilweise verweigerte Akteneinsicht formell beanstandet.
Was ist zu tun?
Die Staatsanwaltschaft muss dem ULD bei dessen Kontrollen vollständigen Einblick in Akten und Dateien gewähren. Dass dabei das ULD nur Fragestellungen mit datenschutzrechtlichem Bezug bewertet, ändert hieran nichts.
Zurück zum vorherigen Kapitel | Zum Inhaltsverzeichnis | Zum nächsten Kapitel |