18. Tätigkeitsbericht (1996)



4.4

Justizverwaltung

4.4.1

GAST: Abschluß einer unendlichen Geschichte

Endlich ist vom Landtag ein Gesetz für das staatsanwaltschaftliche System zur Geschäftsstellenautomation (GAST) verabschiedet worden, das wesentliche datenschutzrechtliche Verbesserungen bringt.

Nachdem wir über Jahre hinweg eine Rechtsgrundlage für das GAST-System der Staatsanwaltschaften angemahnt hatten und der Justizminister bis zum Frühjahr 1995 daran festhielt, GAST könne auf den sogenannten "Übergangsbonus" gestützt werden, für entsprechende bereichsspezifische Regelungen sei allein der Bundesgesetzgeber gefragt, brachte ein von der F.D.P. dem Landtag vorgelegter Gesetzesentwurf zu GAST Bewegung in die Diskussion. Außerdem hatte der Verwaltungsgerichtshof Kassel im Juni 1995 in einem Verfahren über Datenspeicherungen des Bundeskriminalamtes entschieden, daß der "Übergangsbonus" abgelaufen sei. Auch der Justizminister legte daraufhin den Entwurf eines "Gesetzes über die staatsanwaltschaftlichen Verfahrensregister (StARegG)" vor, das der Landtag inzwischen verabschiedet hat. An der Vorbereitung sowohl des F.D.P.-Entwurfs als auch des Regierungsentwurfs haben wir beratend mitgewirkt und daher bereits in diesem Stadium wichtige datenschutzrechtliche Gesichtspunkte einbringen können:

  • Zugriffsbeschränkungen
    Nach dem neuen Gesetz werden die bei den Staatsanwaltschaften anhängigen Verfahren bei der zuständigen Staatsanwaltschaft wie bisher grundsätzlich fünf Jahre lang automatisiert gespeichert. Der gegenseitige Zugriff der Staatsanwaltschaften auf Verfahrensdaten der jeweils anderen Staatsanwaltschaften ist jedoch, in Anlehnung an die Regelung für das bundesweite staatsanwaltschaftliche Informationssystem (SISY), auf zwei Jahre begrenzt. Hierin liegt ein deutlicher datenschutzrechtlicher Fortschritt. Es wäre kaum nachvollziehbar, daß auf Verfahrensdaten nach dem Willen des Bundesgesetzgebers, zum Beispiel der Staatsanwaltschaft Itzehoe, die Staatsanwaltschaft Hamburg nur innerhalb einer Zweijahresfrist, die Staatsanwaltschaft Flensburg jedoch über GAST noch fünf weitere Jahre zugreifen könnte.

  • Verkürzung der Speicherungsdauer
    Nach Ablauf der Speicherfrist dürfen Verfahrensdaten mit einem eingeschränkten Datenprofil nur noch streng zweckgebunden zur Vorgangsverwaltung aufbewahrt werden. Dies bedeutet, daß jedenfalls der automatisierte Datenbestand nicht mehr zum Zwecke der Strafverfolgung genutzt werden darf. Die für die Länge der Speicherungsdauer zu Zwecken der Vorgangsverwaltung einschlägigen, bundesweiten Aufbewahrungsbestimmungen der Justiz, die teilweise aus dem letzten Jahrhundert stammen und infolgedessen das Recht auf informationelle Selbstbestimmung nicht berücksichtigen, sind allerdings stark überarbeitungsbedürftig. Darauf haben wir den Justizminister seit Jahren hingewiesen. In der Gesetzesbegründung führte der Justizminister nun aus, daß "Schleswig-Holstein nachhaltig Bestrebungen unterstützt, die in den Aufbewahrungsbestimmungen festgeschriebenen Fristen zu verkürzen. Notfalls wird dieses Ziel ­ unter Aufgabe der Bundeseinheitlichkeit - lediglich auf Landesebene verwirklicht werden." Wir werden ihn in dieser Frage, die auch die Aufbewahrung der papierenen Verfahrensakten betrifft, beim Wort nehmen. Inzwischen zeichnet sich bereits eine länderübergreifende Verkürzung der Fristen für die Aufbewahrung von Strafakten auf zehn bis fünfzehn Jahre ab.

  • Daten von Opfern und Geschädigten
    In "Verfahren von besonderer Bedeutung" sieht das Gesetz eine Speicherung der Namen von Opfern oder Geschädigten vor, solange das Verfahren noch als Unbekanntsache geführt wird. Die Begründung des Justizministers hierfür lautet, daß es mit Hilfe des Namens des Opfers bzw. Geschädigten ermöglicht werden müsse, bei entsprechenden Anfragen etwa von Versicherungen schnell auf die zugehörige Verfahrensakte zugreifen und neuen Hinweisen zur Aufklärung der Tat rascher nachgehen zu können. Wir halten diese Begründung für die Speicherung von Opferdaten in GAST, die der F.D.P.-Entwurf im übrigen nicht vorsah, für nicht stichhaltig: Auch bei Ermittlungsverfahren, die bereits gegen einen bekannten Beschuldigten geführt werden, kann die Staatsanwaltschaft ja offenbar Anfragen auch ohne automatisierten Zugriff auf den Namen des Opfers beantworten, da sie mit der Angabe von Aktenzeichen, Tatort und -zeit etc. genügend Zuordnungsmöglichkeiten zu einem konkreten Verfahren hat. Es stimmt auch nicht, daß Opfer bzw. Geschädigte gerade bei schwerwiegenderen Straftaten damit einverstanden sind, in einem automatisierten System gespeichert zu sein. Allerdings ist nicht zu verkennen, daß das Gesetz die Gefahr einer mißbräuchlichen Nutzung von Opferdaten reduziert: Es erlaubt den Zugriff auf diese Daten nur dem zuständigen Staatsanwalt. Opferdaten sind also weder landesweit noch innerhalb einer Staatsanwaltschaft durch alle Dezernenten abrufbar. Im übrigen hat sich der Justizminister darauf festgelegt, den Katalog der "Verfahren von besonderer Bedeutung" einer kritischen Überprüfung zu unterziehen.




  • Datenverschlüsselung
    Das Gesetz sieht ferner einen wirksamen Schutz der in GAST gespeicherten Daten gegen den unbefugten Zugriff Dritter bei der Übermittlung vor. In dem Maße, wie Verfahren zur Verschlüsselung von Datenbeständen "Stand der Technik" und wirtschaftlich realisierbar werden, verstehen wir unter einem "wirksamen Schutz" auch diese Form des Datenschutzes durch Technik.

4.4.2

"Ähnlichenservice" zu Lasten Unbeteiligter

Ist die Schreibweise des Namens eines Beschuldigten nicht genau bekannt, so werden aus dem bundeseinheitlichen staatsanwaltschaftlichen Informationssystem (SISY) alle Erkenntnisse über Personen mitgeteilt, deren Namen eine ähnliche Schreibweise aufweisen. Der Empfänger hat die nicht relevanten Daten unverzüglich zu löschen.

Nachdem der Bundestag bereits die Rechtsgrundlagen für die Errichtung eines staatsanwaltschaftlichen Informationssystems auf Bundesebene geschaffen hatte, sind nunmehr die detaillierten Ausprägungen des Systems in Form einer Errichtungsanordnung festgelegt worden. Trotz heftiger

 

Proteste

 

der Datenschutzbeauftragten des Bundes und der Länder hat man einen sogenannten "Ähnlichenservice" vorgesehen. Ist die Schreibweise des Namens eines Beschuldigten nicht genau bekannt, so werden die gespeicherten Erkenntnisse über Personen mit Namen ähnlicher Schreibweise ebenfalls übermittelt. Dies begegnet datenschutzrechtlichen Bedenken, weil dadurch in erheblichem Umfang personenbezogene Informationen von Menschen übermittelt werden, die mit dem konkret anhängigen Ermittlungsverfahren, für das die Abfrage durchgeführt worden ist, nichts zu tun haben.

Wir haben aber immerhin erreicht, daß diese Daten dann nicht auch noch in der Akte verbleiben, bis deren Aufbewahrungsfrist abgelaufen ist. In der Errichtungsanordnung wurde vielmehr festgelegt, daß nach erfolgter Identifizierung eines Beschuldigten die ähnlichen, jedoch andere Personen betreffenden Daten zu vernichten sind. War eine Identifizierung nicht möglich, sind alle übermittelten Daten zu vernichten.

Was ist zu tun?
Die Staatsanwaltschaften sollten nicht erforderliche Daten, die sie im Rahmen des "Ähnlichenservice" aus SISY erhalten, umgehend löschen.

4.4.3

Verfahrensakten bei der Justiz nicht immer in besten Händen

In Prozeßakten enthaltene personenbezogene Daten sind häufig äußerst sensibel und müssen deshalb besonders gegen den Zugriff unbefugter Dritter geschützt werden.

Prozeßakten enthalten häufig auch äußerst intime Informationen. Sei es, daß in Strafverfahren das persönliche Umfeld Verdächtiger penibel ausgeleuchtet, in Familiensachen "schmutzige Wäsche" gewaschen wird oder in Zivil- oder Verwaltungsgerichtsstreitigkeiten medizinische Gutachten eingeholt werden. Sie geben in vielfältiger Weise Auskunft über persönliche Lebensverhältnisse von Menschen. Ihre Aufbewahrung wird jedoch der Sensibilität der darin enthaltenen Informationen nicht immer gerecht. Will man Presseberichten Glauben schenken, so stellt es keine Schwierigkeit dar, Verfahrensakten aus den Dienstgebäuden der Justiz zu entwenden.

Auf unsere Nachfrage beim Justizminister, wie Prozeßakten bei der Justiz aufbewahrt würden, wurde uns mitgeteilt, diese würden zwar "so gut wie immer" in verschließbaren Räumen, dort jedoch in der Regel in offenen Hängeregistratursystemen aufbewahrt.

Zwar haben unsere Bemühungen dazu geführt, daß Akten nicht mehr wie früher in offenen Regalen auf den Fluren zu finden sind, sondern zwischenzeitlich wenigstens in verschließbaren Räumen aufbewahrt werden. Dort sind sie jedoch nur in Ausnahmefällen (Verschlußsachen) besonders gesichert. Jeder, der zum Raum einer Geschäftsstelle Zutritt hat, kommt auch ungehindert an die Akten heran. Zwar bestehen Dienstanweisungen, die Räumlichkeiten auch beim kurzfristigen Verlassen zu verschließen. Diese Dienstanweisungen werden aber offenbar nicht durchgängig befolgt. Darüber hinaus haben das Reinigungspersonal und andere externe Dienstleister außerhalb der Geschäftszeiten mangels Aufsicht ungehinderten Zugriff auf die Akten, in der Regel stehen bei der Reinigung eines Flures sogar sämtliche Räume offen. Dieser Zustand kann auf Dauer nicht hingenommen werden. Justizakten müssen ihrem sensiblen Inhalt entsprechend in verschlossenen Behältnissen oder in besonders gesicherten Diensträumen gelagert werden (vgl. hierzu auch Tz. 4.5.1 und 4.10.1 ).


Kurz vor Fertigstellung des Berichts teilte der Justizminister ergänzend mit, er werde "im Rahmen der zur Verfügung stehenden Haushaltsmittel bestrebt sein, den Anteil verschließbarer Registraturschränke ... zu erhöhen". Außerdem werde er "dafür Sorge tragen, daß während der täglichen Reinigungsarbeiten jeweils nur die unmittelbar zu reinigenden Büroräume geöffnet werden. Damit soll vermieden werden, daß während der Reinigungsarbeiten ganze Zimmerfluchten offen stehen."

Was ist zu tun?
Der Justizminister sollte die Datensicherheit zügig bei allen Gerichten entsprechend unseren Vorschlägen verbessern.

4.4.4

Kleine Nachlässigkeiten mit großen Wirkungen

Nachlässigkeiten bei der Führung des Schuldnerverzeichnisses können für die Betroffenen verheerende Folgen haben. Die Gerichte haben deshalb bei Eintragungen und Auskünften höchste Sorgfalt zu beachten.

Eine Petentin benötigte zur Erweiterung ihres Geschäftsbetriebes ein Darlehen. An welche Bank sie sich jedoch auch wandte, niemand war bereit, ihr das Geld zu leihen. Nach vielen ausweichenden Begründungen erhielt sie schließlich von einem privaten Geldverleiher den tatsächlichen Grund für diese ungewöhnliche Zurückhaltung genannt: Eine Handelsauskunftei habe ihm mitgeteilt, sie habe im Jahre 1992 die eidesstattliche Versicherung abgegeben. Auch nachdem die Petentin den Nachweis erbracht hatte, daß die Schulden längst bezahlt und die Eintragungen in der Schuldnerliste des Vollstrekkungsgerichtes gelöscht waren, fand sich die private Auskunftei nicht bereit, die offensichtlich falschen Daten zu löschen. Sie berief sich auf eine telefonische Auskunft eines Amtsgerichts, das mitgeteilt habe, die Petentin sei dort immer noch im Schuldnerverzeichnis registriert.

Auch unsere Nachforschungen bestätigten dies. Die Petentin war tatsächlich von einem Amtsgericht zur Abgabe der eidesstattlichen Versicherung aufgefordert worden. Dieses hatte den Vorgang jedoch an das für den Wohnort der Petentin zuständige Gericht übersandt, damit dort in Amtshilfe die eidesstattliche Versicherung entgegengenommen werden konnte. Versehentlich trug das nur in Amtshilfe tätige Amtsgericht den Vorfall dann in die dort geführte Schuldnerliste ein. Obwohl beim Vollstreckungsgericht die Eintragung in der Schuldnerliste nach Begleichung der Schuld gelöscht wurde, blieb die Eintragung bei dem lediglich in Amtshilfe tätig gewordenen Gericht erhalten. Erst nach Aufforderung durch uns wurde die Angelegenheit bereinigt.

Diesen Vorfall haben wir zum Anlaß genommen, den Justizminister aufzufordern, auf eine sorgfältige Bearbeitung dieser Vorgänge bei allen Amtsgerichten im Lande Schleswig-Holstein hinzuwirken. Die Gerichte haben durch entsprechende organisatorische Vorkehrungen und erhöhte Aufmerksamkeit sicherzustellen, daß in einem so belastenden Bereich wie dem Schuldnerverzeichnis derart schwerwiegende Fehler in Zukunft ausgeschlossen werden.

Was ist zu tun?
Die Gerichte müssen beim Umgang mit dem Schulderverzeichnis so sorgfältig wie möglich verfahren.

4.4.5

Ist Post vom Gerichtsvollzieher stets "Verschlußsache"?

Steckt der Gerichtsvollzieher Benachrichtigungen in den Hausbriefkasten, so müssen sie in der Regel in einem Briefumschlag verschlossen sein.

Gerichtsvollzieher, die Schulnder nicht in der Wohnung angetroffen haben, hinterlassen eine Benachrichtigung, in der auf die Folgen künftiger ergebnisloser Vollstreckungsversuche hingewiesen wird. Ein Petent hatte ein solches Schriftstück in seinem Briefkasten als offene Karte vorgefunden. Seine daraufhin erhobene Beschwerde begründete er damit, daß sowohl seine minderjährigen Kinder als auch die für ihn tätige Raumpflegerin den Briefkasten leerten und somit von dem gegen ihn laufenden Zwangsvollstreckungsverfahren Kenntnis hätten erlangen können. Er vertrat die Ansicht, derartige Schriftstücke müßten in jedem Falle verschlossen sein.

In der Regel weiß der Gerichtsvollzieher nicht definitiv, wer Zugriff zum Briefkasten hat. Deshalb hat er die für den Betroffenen unter Umständen peinliche Preisgabe einer laufenden Zwangsvollstreckung durch Verwendung eines verschlossenen Briefumschlages zu vermeiden. Der notwendige Aufwand erscheint angesichts der schutzwürdigen Belange des Empfängers denkbar gering. Der Gerichtsvollzieher muß nur außer seinen Benachrichtigungen noch einige Briefumschläge mit sich führen. Wird das Benachrichtigungsformular geringfügig umgestaltet (Querformat statt Längsformat, so daß die Adresse in einem Umschlagfenster erscheint), so braucht nicht einmal die Adresse doppelt geschrieben zu werden.

Was ist zu tun?
Die Gerichtsvollzieher sollten unseren Verbesserungsvorschlag künftig beachten.


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