16. Tätigkeitsbericht (1994)



4.7

Gesundheitswesen

4.7.1

Datenschutz bei der Beratung vor Schwangerschaftsabbruch

Schwangere Frauen müssen sich vor einem Schwangerschaftsabbruch beraten lassen, wenn sie sich nicht strafbar machen wollen. Sie haben einen Anspruch, daß dabei ihre Anonymität gewahrt bleibt.

Im Mai 1993 hat das Bundesverfassungsgericht die vom Bundestag beschlossene Änderung des Abtreibungsrechts für verfassungswidrig erklärt. Bis zur Vorlage eines neuen Gesetzes wurde eine Übergangsregelung in Kraft gesetzt, in der die zwischenzeitlich geltenden Voraussetzungen für einen Schwangerschaftsabbruch festgelegt sind. Danach muß die betroffene Frau u.a. eine auf ihren Namen ausgestellte Bescheinigung darüber vorlegen, daß sie sich in einer anerkannten Beratungsstelle über die Problematik einer Abtreibung hat beraten lassen. Der beratenden Person gegenüber braucht sie jedoch ihren Namen nicht zu nennen.

Die Umsetzung dieser Vorgaben stößt nun in der Praxis auf folgende Schwierigkeit: Einerseits haben die Beratungsstellen die Anonymität der Beratung sicherzustellen, andererseits müssen sie darüber jedoch eine mit dem Namen der Frau versehene Bescheinigung ausstellen.

Um für die Übergangszeit zu einem praxis- und datenschutzgerechten Verfahren beizutragen, haben wir folgende Vorschläge gemacht:

  • In der Beratungsstelle sind deutliche schriftliche Hinweise darauf zu geben, daß sich Frauen anonym beraten lassen können.
  • Der Beraterin oder dem Berater braucht zu keinem Zeitpunkt der Name genannt zu werden.
  • Die beratende Person vergibt eine Beratungsnummer für das Protokoll und die spätere Bescheinigung.
  • Wird über das Gespräch zum Schwangerschaftsabbruch hinaus konkrete Hilfestellung gewünscht, muß eine andere Person als die Beraterin oder der Berater tätig werden.

Alle beteiligten Personen sind untereinander und Dritten gegenüber zur Verschwiegenheit verpflichtet und dürfen insbesondere den Namen der Unterstützung suchenden Frau nicht weitergeben.

Diese Vorstellungen haben wir der Sozialministerin im Laufe des Jahres 1993 übersandt. Wie uns mitgeteilt wurde, haben dort inzwischen alle Ressorts Zustimmung bekundet. Unsere Vorschläge sollen in das Konzept für die Beratungsstellen übernommen werden.

4.7.2

Offenbarung von Daten im berufsgerichtlichen Ermittlungsverfahren

Das Sozialdatengeheimnis erlaubt es nicht, Patientendaten für Zwecke eines berufsgerichtlichen Ermittlungsverfahrens zu offenbaren. Gericht bestätigt die Rechtsauffassung des Landesbeauftragten.

Das Sozialgeheimnis soll sicherstellen, daß die gesetzlichen Krankenkassen Informationen über Versicherte nicht unbefugt an Dritte weitergeben. Nur wenn im Gesetz geregelte Ausnahmetatbestände vorliegen, dürfen Sozialdaten offenbart werden.

An dieser hohen Barriere scheiterte der Untersuchungsführer für die Berufsgerichtsbarkeit der Heilberufe, als er im Rahmen eines berufsgerichtlichen Ermittlungsverfahrens gegen Apotheker von einer gesetzlichen Krankenkasse verlangte, ihm die Namen und Adressen aller in einem bestimmten Ort wohnhaften Patienten mitzuteilen, soweit sie bei dort praktizierenden Ärzten in Behandlung waren.

Zwar dürfen im Rahmen der Amtshilfe Namen, Geburtsdaten, Anschrift und Arbeitgeber übermittelt werden, wenn schutzwürdige Belange des Betroffenen nicht beeinträchtigt sind. Hier wäre über diese Daten hinaus zusätzlich aber auch die Behandlung durch einen bestimmten Arzt mit offenbart worden. Weitere Daten sind Ermittlungsbehörden jedoch nur dann bekannt zu geben, wenn der Beschuldigte im Verdacht steht, eine Straftat begangen zu haben. Dies war jedoch nicht der Fall. Nach entsprechender Beratung durch uns lehnte die Krankenkasse deshalb eine Auskunftserteilung ab.

Dennoch verlangte die Kammer weiterhin die Herausgabe der Daten und zog mit dem Argument vor Gericht, die Mißachtung der standesrechtlichen Vorschriften sei in diesem Falle so schwerwiegend, daß sie der Verletzung von Strafvorschriften gleichkäme. Das Gericht war jedoch wie wir der Ansicht, zur Herausgabe der Daten genüge es nicht, daß lediglich zu klären sei, ob ein Beschuldigter gegen die standesrechtlichen Vorschriften der für ihn geltenden Berufsordnung verstoßen habe. Die Klage der Kammer wurde in erster Instanz abgewiesen. Das Berufungsverfahren ist noch nicht abgeschlossen.

4.7.3

Aufklärung der Leukämiefälle in der Elbmarsch

Auch wenn die Untersuchung von Leukämiekrankheiten in der Umgebung von Kernkraftwerken wichtige Anliegen verfolgt, dürfen dabei Patientendaten nur unter Einhaltung der gesetzlichen Bestimmungen verarbeitet werden.

Im Zusammenhang mit den Untersuchungen zur Aufklärung des Leukämieclusters in der Elbmarsch ist das Bremer Institut für Präventionsforschung und Sozialmedizin (BIPS) von den Expertenkommissionen in Niedersachsen und in Schleswig-Holstein mit der Durchführung einer retrospektiven Inzidenzerhebung in den Landkreisen Harburg, Lüneburg und Herzogtum Lauenburg beauftragt. Die Studie soll eine Totalerhebung der Diagnosen Leukämien, maligne Lymphome und multiple Myelome bei Kindern und Erwachsenen für den Zeitraum 1984 bis 1991 umfassen.

Die Datenerhebung erfolgt aus:

  • den Krankenakten der Kliniken in den Landkreisen Harburg, Lüneburg sowie im Kreis Herzogtum Lauenburg, sofern diese über Abteilungen für Innere Medizin, Pädiatrie oder Onkologie bzw. Hämatologie verfügen;
  • den Krankenakten der entsprechenden Abteilungen der Universitätsklinik Hamburg-Eppendorf und einiger ausgewählter weiterer Hamburger Kliniken sowie der Medizinischen Hochschule Hannover;
  • den Patientenkarteien aller niedergelassenen Ärzte für Allgemeinmedizin, Internisten und Pädiater in den drei Landkreisen;

  • den Todesbescheinigungen der Gesundheitsämter der Landkreise;
  • den Akten und Karteien von Pathologischen Instituten und Abteilungen, die Kliniken und niedergelassene Ärzte im Untersuchungsgebiet betreuen.

Für die Erfassung der einzelnen Fälle wird ein Erhebungsbogen eingesetzt, der die notwendigen Angaben zur Person des Patienten wie Geburtsdatum, Geschlecht, Beruf, die genaue Diagnose sowie Angaben zum Tod enthält. Die abgebende Stelle bekommt eine Durchschrift des Erhebungsbogens, auf der auch der Name des Patienten eingetragen wird. Eine weitere Durchschrift ist für das Gesundheitsamt bestimmt. Diese sollte nach der Konzeption des Bremer Instituts die Wohnanschrift des Patienten enthalten. Das Gesundheitsamt sollte die Wohnanschrift dann für das Institut in eine Angabe der genauen Lage mit Hilfe eines Koordinatensystems (Gauß-Krüger-Koordinaten) umwandeln, um Doppelmeldungen auszuschließen.

Dieses Verfahren erschien uns datenschutzrechtlich nicht vertretbar, weil in Einzelfällen der Personenbezug hergestellt werden könnte. Die Auswertung der Krankengeschichten in den Kliniken soll nach den Zielvorstellungen des Instituts von Mitarbeitern des Krankenhauses durchgeführt werden. Dagegen ist nichts einzuwenden, wenn man davon ausgehen kann, daß die erhobenen Daten, die dann an das Institut weitergegeben werden, ausreichend anonymisiert sind.

Die Patientenkarteien der niedergelassenen Ärzte -für die der Innenminister des Landes Schleswig-Holstein als Datenschutzaufsichtsbehörde zuständig ist - sollen von den Ärzten selbst bzw. ihren Mitarbeitern ausgewertet werden, die dann die ausgefüllten, aber anonymisierten Erhebungsbogen den Mitarbeitern des BIPS übergeben.

Auch die Auswertung der Daten und Karteien der Pathologischen Institute ist zulässig, wenn sie durch eigene Mitarbeiter geschieht. Die Weitergabe der ausgewerteten Daten jedoch nur dann, wenn diese ausreichend anonymisiert sind. Bei der ursprünglichen Konzeption des Instituts war davon auszugehen, daß dies nicht der Fall gewesen wäre, da die relativ präzisen Angaben auf dem Fragebogen im Zusammenhang mit der Gauß-Krüger-Koordinate die Herstellung des Personenbezuges möglich gemacht hätte.

Da dies für das Institut nicht akzeptabel war, haben wir folgenden Lösungsvorschlag unterbreitet:

  • Die Krankenhäuser, Ärzte und Pathologischen Institute stellen alle relevanten Leukämiefälle zusammen. Die "Adressen" dieser Fälle (ausschließlich Straße, Hausnummer, Wohnort) werden zusammen mit den Identifizierungsnummern an das Gesundheitsamt als Clearingstelle gegeben.
  • Gemeinsam mit dem zuständigen Katasteramt wird die Belegenheit der Anschrift auf der Grundlage der Gauß-Krüger-Koordinate festgestellt. Dabei muß sichergestellt werden, daß nur ein solcher Feinheitsgrad der Koordinaten gewählt wird, der es nicht zuläßt, daß die geographische Belegenheit in der Zusammenschau mit den anderen später hinzukommenden Daten des Falles die Identifizierung einzelner natürlicher Personen ermöglicht. Dies könnte z.B. bei einzeln gelegenen Gehöften der Fall sein. In diesen Fällen ist eine Zusammenfassung von mehreren Anschriften unter einer Grobkoordinate bzw. die Bildung von Planquadraten anzustreben.
  • Wenn dies nicht möglich ist, ist die Adresse über das Gesundheitsamt an die Datenquelle mit der Bitte zurückzugeben, die Einwilligung des betroffenen Patienten einzuholen.
  • Gibt der Patient seine Einwilligung nicht, darf der Fall nur ohne Koordinate ausgewertet werden.

Die Auswertung der Todesbescheinigungen des Gesundheitsamtes durch eigene Mitarbeiter des Amtes ist zulässig. Die Weitergabe der Daten ebenfalls, soweit es sich um anonymisierte Daten handelt. Sind die Daten nicht ausreichend anonymisiert, kommt nur eine Genehmigung zur Nutzung der Daten für Forschungszwecke nach dem Landesdatenschutzgesetz bei überwiegendem öffentlichen Interesse in Betracht. Diese Genehmigung hat das Ministerium erteilt, so daß das BIPS trotz der schwierigen datenschutzrechtlichen Probleme in die Lage versetzt worden ist, den fraglichen Leukämiefällen in dem gewünschten Umfange nachzugehen.

4.7.4

Datenschutzrechtliche Kontrolle von Krankenakten

Patienten haben auch unabhängig vom Datenschutzrecht Anspruch auf Einblick in ihre Krankenakte. Das sog. Patientengeheimnis steht der Kontrolle durch den Datenschutzbeauftragten nur dann entgegen, wenn der Patient ausdrücklich widersprochen hat.

Wenn Patienten wissen wollen, was über sie in ihrer Krankenakte steht, kommt es immer wieder zu Meinungsverschiedenheiten mit Ärzten und Krankenhäusern. Dabei hat die Rechtsprechung längst ein Informationsrecht des Patienten unabhängig vom Datenschutzrecht entwickelt. Obwohl auch das nunmehr seit 1991 geltende Datenschutzgesetz keine Ausnahmevorschriften für Krankenakten enthält, wird von manchem Arzt immer noch die unzutreffende Ansicht vertreten, er allein habe frei darüber zu entscheiden, wem welcher Zugang eröffnet wird.

So verweigerte eine Fachklinik für Psychiatrie, Neurologie und Rehabilitation einem dort Untergebrachten die Einsichtnahme in seine Krankenakte. Nachdem sich der Petent Anfang 1993 an uns gewandt hatte, hörten wir auf unsere Aufforderung, dieses Verhalten zu begründen, zunächst drei Monate nichts. Auf mehrere Nachfragen sowie nach Übersendung einer Abschrift der ersten Anfrage teilte die Fachklinik lapidar mit, der Betroffene könne die Akten unter ärztlicher Aufsicht einsehen, allerdings nicht "Angaben von Dritten und Wertungen". Eine Begründung für diese Beschränkung wurde wiederum nicht gegeben.

Daraufhin bat uns der Petent, zu überprüfen, ob die teilweise Verweigerung der Akteneinsicht rechtmäßig sei. Auf die Möglichkeit, sich an uns zu wenden, hätte die Klinik von sich aus hinweisen müssen. Als wir die Unterlagen sichten wollten, schrieb uns die Fachklinik im Juli 1993 wörtlich: "Eine Überprüfung durch ... kommt nicht in Betracht und erst recht nicht - stellvertretend für ihn - durch den Landesbeauftragten für den Datenschutz".

Hinweise auf unsere im Gesetz unzweideutig verankerte umfassende Kontrollkompetenz fruchteten nichts. Auch nachdem die Sozialministerin als Fachaufsichtsbehörde die Klinik förmlich angewiesen hatte, die Akten vorzulegen, weigerte sich der leitende Abteilungsarzt weiterhin. Es bedurfte erst des Erscheinens des zuständigen Referenten der Sozialministerin vor Ort, bis man uns die Akten im Januar 1994 endlich vorlegte - allerdings nicht, ohne zuvor Aktenteile mit ausdrücklichem Hinweis auf die bevorstehende Kontrolle geschwärzt zu haben.

Dieses Vorgehen haben wir förmlich beanstandet.

Das Datenschutzgesetz kennt kein "Ärzteprivileg". Für die öffentlich-rechtlichen Krankenanstalten gelten vielmehr dieselben gesetzlichen Verpflichtungen wie für alle anderen Landesbehörden auch:

  • Grundsätzlich ist jedem Bürger kostenlos Auskunft darüber zu erteilen, was die datenverarbeitende Stelle über ihn gespeichert hat.
  • Die öffentlichen Stellen sind verpflichtet, dem Datenschutzbeauftragten Auskunft zu erteilen und Einsicht in alle Unterlagen und Akten zu gewähren, die im Zusammenhang mit der Verarbeitung personenbezogener Daten stehen. Der Gesetzgeber hat sogar ausdrücklich bestimmt, daß "besondere Amts- und Berufsgeheimnisse dem nicht entgegenstehen".

Damit ist klargestellt, daß auch die ärztliche Schweigepflicht einer Kontrolle nicht entgegengehalten werden kann. Gelegentlich meinen allerdings Mediziner, sie besäßen ein generelles persönliches Auskunftsverweigerungsrecht gegenüber jedermann. Diese irrige Ansicht wird durch den volkstümlichen Begriff "Arztgeheimnis" unterstützt. Richtig muß es jedoch "Patientengeheimnis" heißen. Geschützt werden soll nämlich nicht pimär der Arzt, sondern der Patient.

Nur in Ausnahmefällen kann dem Patienten eine Auskunft verwehrt werden, nämlich wenn entweder einer der im Gesetz abschließend geregelten Tatbestände vorliegt oder es aus therapeutischen Gründen erforderlich ist. Gerade für den Bereich der Psychiatrie hat die Rechtsprechung derartige Einschränkungen zugelassen.

Dies gilt jedoch nicht, wenn der Datenschutzbeauftragte, noch dazu wie hier ausdrücklich auf Bitten des Petenten hin, dessen Krankenakte einsieht. In solchen Fällen prüfen wir den gesamten Akteninhalt, teilen jedoch dem Petenten nur dasjenige mit, was er auch selbst durch eigene Akteneinsicht erfahren dürfte.


Zurück zum vorherigen Kapitel Zum Inhaltsverzeichnis Zum nächsten Kapitel