4.3 Justizverwaltung
4.3.1 Veröffentlichung von Gerichtsurteilen
Im Berichtszeitraum erreichte uns eine Beschwerde einer Bürgerin gegen die Veröffentlichung der Gerichtsentscheidung aus ihrem Verfahren. Die Bürgerin hatte Sorge, dass Leser der Entscheidung sie identifizieren und aus der Entscheidung weitere Informationen über sie erfahren könnten. Das Gericht entfernte daraufhin die Angaben zum Arbeitgeber und zu Vereinen, in denen die Bürgerin tätig war, aus der Entscheidung.
Die Beschwerde hat das Gericht zum Anlass genommen, Fragen des Datenschutzes bei der Veröffentlichung von Gerichtsentscheidungen grundsätzlich mit uns zu erörtern. Auf dieser Grundlage beabsichtigt das Gericht, seine internen Regelungen für die Veröffentlichung von Entscheidungen zu überarbeiten.
Die rechtlichen Grundlagen für die Veröffentlichung von Gerichtsentscheidungen und die erforderliche Wahrung der Persönlichkeitsrechte ergeben sich aus dem Verfassungsrecht. Sowohl die Publikation von veröffentlichungswürdigen Gerichtsentscheidungen als auch der Schutz der Persönlichkeitsrechte natürlicher Personen genießen Verfassungsrang. Beide Verfassungspositionen müssen jeweils im Einzelfall in einen gerechten Ausgleich gebracht werden. Nach der Rechtsprechung wird dies in der Regel in der Weise gelöst, dass die zu veröffentlichenden Entscheidungen hinsichtlich persönlicher Angaben und Umstände zu anonymisieren sind. Dabei ist der von der Rechtsprechung verwandte Begriff der „Anonymisierung“ nicht als Anonymisierung im Sinne des Datenschutzrechts zu verstehen. Die Datenschutz-Grundverordnung enthält zwar keine Legaldefinition für die Anonymisierung, geht jedoch davon aus, dass es anonyme (und auch anonymisierte) Informationen gibt. Für diese sollen nach Erwägungsgrund 26 die Grundsätze des Datenschutzes nicht gelten. Dementsprechend beschreibt Erwägungsgrund 26 anonyme Informationen als „Informationen, die sich nicht auf eine identifizierte oder identifizierbare natürliche Person beziehen, oder personenbezogene Daten, die in einer Weise anonymisiert worden sind, dass die betroffene Person nicht oder nicht mehr identifiziert werden kann“. Für eine Vielzahl von Gerichtsverfahren wird eine Anonymisierung im Sinne der DSGVO nicht erreichbar sein. Es gibt häufig einen Kreis von Personen – etwa Zeugen oder Sachverständige aus dem Gerichtsverfahren, Saalöffentlichkeit, soweit eine mündliche Verhandlung stattgefunden hat, Personen mit Insiderwissen aus den am Verfahren beteiligten Organisationen wie Behörden oder Unternehmen –, für die der Sachverhalt und die Entscheidungsgründe Rückschlüsse auf die betroffenen Personen ermöglichen. Es handelt sich daher nicht um eine Anonymisierung, sondern um die Herstellung einer herausgabefähigen Fassung, die den Persönlichkeitsrechten der betroffenen Personen Rechnung trägt.
Die Rechtsprechung deutscher Gerichte gibt einige Hinweise darauf, wie eine herausgabefähige Fassung herzustellen ist. So reicht es nach einem Beschluss des VGH Baden-Württemberg im Regelfall aus, im Rubrum die Angaben über die Parteien und ihre Vertreter vollständig zu löschen und im Sachverhalt sowie in den Entscheidungsgründen die Namen aller Personen und Orte bis auf die Anfangsbuchstaben zu entfernen. Sofern dies in Einzelfällen nicht zu einer ausreichenden Unkenntlichmachung der betroffenen Personen führt, ist unter Abwägung des Informationsinteresses der Öffentlichkeit und der Persönlichkeitsrechte der betroffenen Personen eine weitere Bearbeitung erforderlich. Für die Einzelfallbearbeitung können kaum allgemeingültige Kriterien aufgestellt werden. Hier wird stets eine Abwägung unter Berücksichtigung aller Umstände des Einzelfalls erforderlich sein. Wichtig ist daher, dass die Richterin oder der Richter aus dem zugrunde liegenden Verfahren in den Veröffentlichungsprozess eingebunden wird. Die Beurteilung, ob die Standardbearbeitung ausreicht, um Rückschlüsse auf die Personen ausreichend zu verhindern oder zu erschweren, und ob gegebenenfalls weitere Angaben entfernt werden müssen, ist komplex und erfordert Kenntnisse über den zugrunde liegenden Sachverhalt und die Parteien des Rechtsstreits. Hier ist sicherlich die entscheidende Richterin oder der entscheidende Richter am besten in der Lage, eine Einschätzung vorzunehmen.
In Ausnahmefällen kann die Abwägung auch zu dem Ergebnis führen, dass eine Veröffentlichung zum Schutz der Persönlichkeitsrechte ganz unterbleiben muss. Dies ist z. B. der Fall, wenn die Entscheidung einer Person zugeordnet werden kann, sensible personenbezogene Daten für das Verständnis der Entscheidung zwingend erforderlich sind und daher nicht entfernt werden können und das öffentliche Interesse an der Entscheidung die Persönlichkeitsrechte der betroffenen Personen nicht überwiegt.
Was ist zu tun?
Vor der Veröffentlichung von
Gerichtsentscheidungen sind diese so zu bearbeiten, dass die betroffenen
Personen unkenntlich gemacht werden.
4.3.2 Veröffentlichung von Daten aus den Insolvenzbekanntmachungen auf privaten Webseiten
Im Berichtszeitraum hat das ULD zahlreiche Beschwerden von betroffenen Personen erhalten, die bei einer Internetrecherche meist mit großem Schrecken festgestellt haben, dass Informationen über ihr häufig lange zurückliegendes Insolvenzverfahren frei zugänglich im Internet veröffentlicht waren. Die Webseiten mit den Insolvenzveröffentlichungen wurden regelmäßig vom außereuropäischen Ausland betrieben. Anbieterinformationen enthielten diese Webseiten nicht. Für die betroffenen Personen ist diese Veröffentlichung meist mehr als nur ärgerlich. Das Insolvenzverfahren lag in fast allen Fällen viele Jahre zurück. Die Personen hatten sich zwischenzeitlich eine neue Existenz aufgebaut; einige hatten einen neuen Arbeitgeber oder einen neuen Lebenspartner, der von der früheren Insolvenz keine Kenntnis hatte. Die plötzliche Veröffentlichung des alten Verfahrens hat viele Betroffene in eine verzweifelte Lage gebracht.
Als Datenschutzaufsichtsbehörde für schleswig-holsteinische Unternehmen und öffentliche Stellen haben wir keine Möglichkeit, gegen die Veröffentlichung selbst vorzugehen. Die Webseiten sind stets außerhalb der EU registriert, und Angaben über den Betreiber waren in keinem der Fälle vorhanden.
Für betroffene Personen besteht jedoch die Möglichkeit, zumindest die Löschung der Einträge aus Suchmaschinen zu entfernen. Hierzu kann sich jede betroffene Person direkt an Suchmaschinenbetreiber wenden und die Löschung von bestimmten Einträgen beantragen. Hierüber lassen sich zumindest die Treffer bei Suchmaschinen entfernen, auch wenn die Webseite weiterhin online ist.
Wichtig ist jedoch vor allem ein ausreichender Schutz der Insolvenzdaten an der ursprünglichen Quelle ihrer ersten Veröffentlichung. Das Insolvenzgesetz sieht eine Veröffentlichung von Insolvenzdaten im Internet vor. Die Veröffentlichung erfolgt in dem von der nordrhein-westfälischen Justiz zentral betriebenen Justizportal. Auch wenn der Zeitraum der unbeschränkten Veröffentlichung sehr kurz ist, besteht in dieser Zeitspanne für Dritte die Möglichkeit, die Daten zu kopieren und für eigene Zwecke zu speichern. So können die im amtlichen Justizportal längst gelöschten Insolvenzdaten auch Jahre später noch im Internet an anderen Stellen wieder auftauchen.
4.3.3 Videodolmetschen
Im Justizvollzug müssen Gespräche mit Gefangenen oftmals kurzfristig geführt werden. Nicht nur bei akuten gesundheitlichen Beschwerden eines Gefangenen, sondern z. B. auch bei Neuzugängen in der Untersuchungshaft, um etwa besondere Rahmenbedingungen für die Unterbringung zu erfahren. Für solche Situationen hat das Justizministerium die Einführung eines Videodolmetschdienstes geplant und uns hierzu um Beratung gebeten. Ein solcher Dienst wird von einem Unternehmen angeboten, das hierfür mit einer Vielzahl von Dolmetschern zusammenarbeitet.
Bei der Inanspruchnahme dieses Dienstes handelt es sich um eine Datenverarbeitung im Auftrag. Dies hat zur Folge, dass die Justizvollzugsanstalt für die Datenverarbeitung auch beim Dienstleister verantwortlich ist. Es war daher durch die auftraggebende Justiz durch entsprechende Weisungen sicherzustellen, dass datenschutzrechtliche Vorgaben beim Auftragnehmer durch ausreichende technische und organisatorische Maßnahmen gewährleistet werden.
Risiken für die Rechte und Freiheiten der betroffenen Personen liegen zum einen in der Person der Dolmetscher selbst, d. h. in ihrer Fachkunde und Zuverlässigkeit. Zum anderen liegen sie in der Art und Weise der Erbringung der Übersetzungsleistung. Diese wird über Internetverbindungen, vermittelt durch den Dienstleister, erbracht. Die Dolmetscher arbeiten dabei entweder in den Räumen des Dienstleisters oder an einem privaten Arbeitsplatz. Hierdurch entstehen zum einen Risiken auf dem Übertragungsweg der Daten für einen Zugriff durch Unbefugte oder einen Zugriff durch den Dienstleister. Zum anderen entstehen, insbesondere wenn Dolmetscher an einem Heimarbeitsplatz arbeiten, Risiken für die Vertraulichkeit der Daten. Sie können durch Dolmetscher aufgezeichnet werden. Außerdem können sie anderen im Raum oder Nebenräumen anwesenden Personen bekannt gegeben werden. Hierdurch können Schäden für die Persönlichkeitsrechte der betroffenen Personen entstehen. Es können aber auch weiter gehende Schäden an anderen Rechten entstehen, wenn die Daten beispielsweise an Nachrichtendienste oder an Personen und Institutionen weitergegeben werden, von denen die betroffenen Personen verfolgt werden.
Wir haben dem Justizministerium daher empfohlen, insbesondere Folgendes zu beachten:
- Die Identität des Dolmetschers muss für den Auftraggeber prüfbar und sichergestellt sein.
- Der Dolmetscher muss über die erforderliche Fachkunde und Zuverlässigkeit verfügen. Diese muss für den Auftraggeber prüfbar sein. Es muss möglich sein, Dolmetscher abzulehnen, die diese Voraussetzungen nicht erfüllen.
- Es muss sichergestellt und prüfbar sein, dass der Dolmetscher die Übersetzung persönlich und nicht im Beisein Dritter erbringt.
- Die Datensicherheit muss beim Dolmetscher sichergestellt sein, z. B. muss gewährleistet sein, dass Daten nicht kopiert oder an Dritte weitergegeben werden.
Was ist zu tun?
Dienstleistungen des
Videodolmetschens mit Dolmetschern, die von einer Zentrale vermittelt werden
und ihre Leistungen über eine Videoverbindung erbringen, dürfen nur eingesetzt
werden, wenn die Sicherheit der Daten vertraglich und durch technische und
organisatorische Maßnahmen beim Anbieter und beim Dolmetscher gewährleistet
ist.
4.3.4 Nachgehakt – mehr Transparenz bei Funkzellenabfragen
Im letzten Tätigkeitsbericht haben wir anlässlich der Prüfung von nicht individualisierten Funkzellenabfragen in Strafverfahren (35. TB, Tz. 4.3.1) ein Verfahren skizziert, das zu mehr Transparenz für die von dieser Maßnahme Betroffenen führt (36. TB, Tz. 4.3.7).Es geht um Folgendes: Die Polizei kann auf Basis von § 100g Abs. 2 Satz 2 StPO nicht individualisierte Funkzellenabfragen durchführen. Dabei werden von Mobilfunkanbietern alle Verkehrsdatensätze abgefragt, die an einem Ort in einem von der Ermittlungsbehörde festgelegten Zeitraum erzeugt worden sind.
Abbildung: Kombination von Benachrichtigung und Informations-SMS
Solche Verkehrsdaten fallen bei Telefonaten, SMS oder Datenverbindungen zum Internet an. Typisch für Funkzellenabfragen ist, dass oft zahlreiche Personen erfasst und deren Verkehrsdaten anschließend für die Dauer des Ermittlungsverfahrens und in vielen Fällen auch darüber hinaus gespeichert werden. Werden diese Personen nicht namentlich identifiziert, müssen sie über die Maßnahme nicht benachrichtigt werden. Das ist unbefriedigend, weil es sich um einen Grundrechtseingriff handelt. In der Diskussion hat sich herausgestellt, dass viele Personen gerne darüber informiert wären. Einen technischen Lösungsansatz für mehr Transparenz für die Betroffenen hat das ULD im Innen- und Rechtsausschuss des Schleswig-Holsteinischen Landtages und im 36. Tätigkeitsbericht vorgestellt und als freiwillige Maßnahme empfohlen.
Seitdem gibt es eine neue Entwicklung: Das Land Berlin hat ein eigenes Funkzellenabfragen-Transparenz-System (FTS) entwickelt, das allen Interessierten zur Verfügung steht. Es basiert auf einer Information per SMS für vorher registrierte Mobilfunknummern und ähnelt unserem Vorschlag. Dem Vernehmen nach können auf Anfrage andere Bundesländer bei der Senatsverwaltung für Justiz, Verbraucherschutz und Antidiskriminierung in Berlin Unterstützung erhalten, um die FTS-Lösung ebenfalls – z. B. in eigenen Landesinstanzen – nutzen zu können. Damit könnte also auch Schleswig-Holstein mit wenig Aufwand die Transparenz für Betroffene von Funkzellenabfragen im eigenen Bundesland erhöhen.
Der Prüfbericht des ULD ist veröffentlicht unter:
http://www.landtag.ltsh.de/infothek/wahl18/umdrucke/5000/umdruck-18-5038.pdf [Extern]
Der Bericht „Möglichkeiten für verbesserte Transparenz bei Funkzellenabfragen“ ist veröffentlicht unter:
http://www.landtag.ltsh.de/infothek/wahl18/umdrucke/7500/umdruck-18-7553.pdf [Extern]
Was ist zu
tun?
Das
Land sollte prüfen, ob Interessierten als transparenzfördernde Maßnahme die
Möglichkeit gegeben werden soll, sich informieren zu lassen, wenn sie von
Funkzellenabfragen in Schleswig-Holstein betroffen sind. Der Aufwand dafür ist
nicht hoch, weil auf die Erfahrungen und Ausarbeitungen des Landes Berlin
zurückgegriffen werden kann.
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