Kernpunkte:
- Bundesdatenschutzgesetz
- Social Media
- Europäische Datenschutz-Grundverordnung
2 Datenschutz − national und global
Während auf Landesebene die Diskussion um Datenschutz und Informationsfreiheit – manchmal schwerfällig – vorankommt, erleben wir auf nationaler Ebene fast nur – manchmal geschwätzige – Untätigkeit, ja Lähmung. So positiv die schwarz-gelbe Koalition mit Absichtserklärungen startete (32. TB, Tz. 2.2), so folgenlos sind diese geblieben. Nicht einmal Ansätze zur überfälligen grundsätzlichen Überarbeitung des Bundesdatenschutzgesetzes sind erkennbar; auch in den Spezialbereichen Internetdatenschutz (Tz. 2.1) und Beschäftigtendatenschutz (Tz. 2.4) war es schwer, ernsthafte Bestrebungen zu sachorientierten Lösungen zu erkennen. Das ursprünglich unterstützungswürdige Projekt einer Stiftung Datenschutz wurde sehenden Auges an die Wand gefahren.
Die tendenziell eher zu begrüßenden Aktivitäten der Europäischen Union (EU) (Tz. 2.5) können für diesen Sachverhalt keine Rechtfertigung sein. Bis ein neuer normativer Rahmen für den Datenschutz in Europa in Kraft getreten ist, können die bestehenden Defizite nur schwerlich hingenommen werden. Zugleich bestünde mit einer vorbildlichen deutschen Gesetzesinitiative die Chance, die europäische Diskussion konstruktiv voranzubringen. Ein Warten bliebe in den Bereichen ohne Gewinn, wo bisher in Europa keine Gesetzgebungsaktivitäten geplant sind, also in den Bereichen Telekommunikation, Beschäftigtendatenverarbeitung sowie beim Projekt einer Stiftung Datenschutz.
2.1 Internetgesetzgebung
Auf Bitte des Schleswig-Holsteinischen Landtags hat das ULD auf einen Antrag zu einer Bundesratsinitiative Stellung genommen, deren Ziel die „Stärkung der Freiheit und der Privatsphäre im Internet“ ist.
Unsere Informationsgesellschaft ist vom stationär wie mobil nutzbaren interaktiven Internet geprägt. Dieses Netz weist vier technikspezifische Eigenschaften auf, die gravierende Konsequenzen für die Datenschutzregulierung haben:
- Die Virtualität des Netzes schafft neben der analogen eine digitale Realität, die mit der analogen in einem engen gestaltbaren Wechselspiel steht. Wegen der Auswirkungen dieser digitalen Realität auf das Persönlichkeitsrecht des Menschen kann und muss ordnend bzw. regulierend eingegriffen werden.
- Das Netz ist universell und konvergent. Dadurch werden im analogen Raum bestehende Grenzziehungen zwischen Lebens- und Medienwelten, also etwa zwischen privat und öffentlich, Konsument und Produzent, Information und Einwirkung, eingeebnet.
- Die Globalität des Netzes erschwert eine Lokalisierung informationstechnischer Sachverhalte, die Zuordnung von Verantwortung hierfür und staatliche Interventionen.
- Das Netz ist gekennzeichnet durch den paradox erscheinenden Widerspruch von Intransparenz der Datenverarbeitung bzw. Anonymität und absoluter Kontrollierbarkeit der Nutzenden.
Die hieraus zu ziehenden Konsequenzen für die Datenschutzgesetzgebung werden seit den 90er-Jahren diskutiert. Seit der Jahrtausendwende gibt es hierzu konkrete Vorschläge:
2001 wurde von Prof. Alexander Roßnagel, Prof. Andreas Pfitzmann und Prof. Hansjürgen Garstka das vom Bundesinnenministerium in Auftrag gegebene Gutachten „Modernisierung des Datenschutzrechts“ vorgelegt.
Die Konferenz der Datenschutzbeauftragten des Bundes und der Länder veröffentlichte im März 2010 den ausführlichen Katalog „Ein modernes Datenschutzrecht für das 21. Jahrhundert“ (33. TB, Tz. 2.1). Das ULD präsentierte im Oktober 2010 konkrete Formulierungen zur Änderung des Internetdatenschutzes im BDSG.
https://www.datenschutzzentrum.de/internet/gesetzentwurf.html
Ein Regulierungsvorschlag des Bundesinnenministeriums vom Dezember 2010, bekannt geworden unter dem Begriff „rote Linien“, war nicht problemadäquat. Demgegenüber unterbreitete das Bundesland Hessen im März 2011 einen Gesetzentwurf, bei dem einige Regelungsdefizite beim Internetdatenschutz durch eine Änderung des Telemediengesetzes beseitigt werden sollten. Damit wäre auch die überfällige Umsetzung der von der EU vorgegebenen Cookie-Regelung angegangen worden (Tz. 7.3). Trotz positiver Behandlung im Bundesrat wurde diese Initiative vom Bundestag nicht weiterverfolgt.
Die aktuellste, äußerst wertvolle Initiative kam vom 69. Deutschen Juristentag im September 2012, wo unter dem Titel „Persönlichkeitsschutz im Internet – Anforderungen und Grenzen einer Regulierung“ durch ein ausführliches Hauptgutachten von Prof. Gerald Spindler sowie eine Vielzahl von hoch qualifizierten Diskussionsbeiträgen versucht wurde, dem Gesetzgeber die Hand zu führen – wieder ohne erkennbare politische Resonanz.
Dies hinderte das ULD nicht, anlässlich eines Antrags im Landtag Schleswig-Holstein erneut ausführlich und unter Hinzuziehung der aktuellen Entwicklungen in der Diskussion, in der Praxis sowie in der Rechtsprechung auf die nötigen und möglichen Regelungen hinzuweisen (Landtag Schleswig-Holstein Umdruck 18/553). Dabei geht es um Neujustierungen und Vorschläge in folgenden datenschutzrechtlich zentralen Bereichen:
- Verantwortlichkeit,
- Anwendbarkeit des Rechts und Aufsichtszuständigkeit,
- Verhältnis des Datenschutzes zu den Grundrechten auf Informations-, Presse- und Meinungsfreiheit,
- Zweckbindung in Hinblick auf Person, Lebensbereich und Rolle,
- Betroffenenrechte (Datenlöschung, Auskunft, Portabilität) und Transparenz,
- Einwilligung aus rechtlicher sowie technischer Sicht,
- Beschwerdemanagement und Sanktionen.
https://www.datenschutzzentrum.de/internet/20121219-stellungnahme-freiheit-internet.html
Wegen der anstehenden Bundestagswahl ist nicht damit zu rechnen, dass kurzfristig den bestehenden Regelungsmängeln auf Bundesebene abgeholfen werden wird.
Was ist zu tun?
Die laufenden Diskussionen – auch in den Ländern und im Landtag von Schleswig-Holstein – sollten dazu beitragen, dass tatsächlich umgehend nach der Bundestagswahl begonnen wird, beim Internetdatenschutz die Regelungsdefizite abzubauen.
2.2 Datenschutz bei Social Media
Die Begeisterung für das Web 2.0 scheint ungebrochen. Die Hoffnungen sind groß: an Jugendliche heranzukommen, die eigene Technikaffinität und Modernität der ganzen Welt unter Beweis stellen zu können, neue kommunikative Werbe- und Vertriebswege zu eröffnen – und all das zu geringen Kosten, mit geringem Aufwand und zumeist mit wenig Datenschutz.
Öffentliche und private Stellen nutzen oft wegen der technischen Möglichkeiten mit ungetrübter
Faszination Facebook, Twitter, Google & Co. Doch nun kommen die Datenschutzbeauftragten, hinterfragen die Technik und teilen mit, dass die Nutzung vieler Social-Media-Angebote mit der Gesetzmäßigkeit der Verwaltung bzw. mit den gesetzlichen Pflichten von Unternehmen nicht in Einklang zu bringen ist. Bei der Nutzung der Social-Media-Angebote ergeben sich einige zentrale, zumeist nicht befriedigend beantwortete Datenschutzfragestellungen:
- Übernimmt die Stelle in Deutschland die ihr zukommende datenschutzrechtliche Verantwortung?
- Sind die Einwilligungen und allgemeinen Geschäftsbedingungen, etwa in Form von Terms of Use und Privacy Policies, mit den rechtlichen Vorgaben vereinbar, mit den Anforderungen an Kleingedrucktes, an Datensparsamkeit und an verbindliche Willenserklärungen der Nutzenden?
- Ist die Inanspruchnahme der Betroffenenrechte, etwa auf Auskunft und Datenlöschung, technisch und organisatorisch umgesetzt?
- Wo und wie erfolgt die Datenverarbeitung – das Setzen und Nutzen von Cookies, die Auswertung für Werbezwecke, die Nutzungsanalyse, der Zugriff Dritter einschließlich ausländischer Sicherheitsbehörden – und ist diese rechtskonform?
- Können die Bürgerinnen und Bürger die Dienste anonym oder unter Pseudonym nutzen?
Ansatzpunkt der Fragen waren zunächst die Fanpages und Social Plugins von Facebook, die sich bei öffentlichen und privaten Stellen großen Zuspruchs erfreuen (Tz. 1.5, 7.1.1). Das ULD kam diesbezüglich jeweils zu klaren Antworten: Nein. Die weitere öffentliche Diskussion bestätigte dieses Ergebnis und zeigte, dass die Antworten bei Google+ und anderen Social-Media-Anbietern oft nicht besser ausfallen.
Dies führte dazu, dass einige Stellen auf die Nutzung kritikwürdiger Angebote verzichteten. Andere Stellen versuchten, die kritisierten Aspekte aufzugreifen und zu korrigieren. So wurden für die Nutzenden auf den Seiten Warnhinweise oder Doppelklick-Lösungen bei Social Plugins wie den „Gefällt mir“- und „+1“-Buttons eingeführt nach dem Motto: „Sie nutzen diese Seite auf eigene Gefahr.“ Dies kann nicht wirklich befriedigen: Warnhinweise machen rechtswidriges Handeln nicht rechtmäßig. Verlinkte Inhalte werden z. B. von Facebook vollständig erfasst, gespeichert und ebenso wie originäre Inhalte der Fanpages in die automatisierte personenbezogene Reichweitenanalyse einbezogen. Selbst die Einbindung von Inhalten von Websites in ein sogenanntes Page Tab, auch IFrame-Einbindung genannt, unterliegt einer – auf die Anzeige des Page Tabs beschränkten – Reichweitenanalyse.
Social Media können von privaten und öffentlichen Stellen genutzt werden, selbst in sensiblen Bereichen. Voraussetzung dafür ist aber, dass die Stellen rechtlich wie faktisch, also technisch-organisatorisch, die Verantwortung übernehmen und dass vor der Inbetriebnahme erfolgreich eine qualifizierte Prüfung erfolgt. Das gibt es nicht zum Nulltarif, sondern verlangt IT-Qualität und Kompetenz bei Entwicklern, Entscheidern, Anwendern und Nutzern.
Statt die billigsten Angebote ungeprüft zu übernehmen, die sämtliche Inhalts- und Kommunikationsdaten sowohl der Werbenutzung als auch ausländischer Sicherheitsbehörden auf dem Tablett servieren, müssen datenschutzkonforme technische Lösungen entwickelt, implementiert und betrieben werden. Zum Betrieb gehören knappe und klare Regeln für Anwender und Nutzer, in denen die Verantwortlichkeiten sowie die Rechte und Pflichten benannt werden, und Privacy-by-Default-Einstellungen.
Es gibt keinen Grund, Social Media insgesamt abzulehnen; diese können eine massive Bereicherung für Information und Kommunikation sein. Wichtig ist ein bewusster, verantwortungsvoller Umgang hiermit. So kann die Verbreitung von Nachrichten über Twitter eine sinnvolle Ergänzung – aber eben nur eine Ergänzung – zur eigenen Webpräsenz und Öffentlichkeitsarbeit sein. Statt der Einbindung von Google oder Bing als Daten fressende Suchmaschinen gibt es brauchbare, als datenschutzkonform zertifizierte, kostenfreie Alternativen wie Ixquick und Startpage (Tz. 9.3.5).
Hier besteht ein Markt für IT-Dienstleister. Technische Lösungen, die nicht auf ausländischen Servern laufen, sondern selbst verantwortet und administriert werden können, sind – teilweise als Open Source – auf dem Markt verfügbar. Bisher konnten sich datenschutzfreundlichere Alternativlösungen wie Diaspora, Friendica oder Identica nicht durchsetzen, weil alle meinen, zu den Billigangeboten, bei denen schon die Massen der Nutzenden sind, gäbe es keine Alternative.
Facebook & Co. verkommen immer mehr zu reinen Werbeplattformen, die zu promoten es keinen Anlass gibt. Soziale Netzwerke, die diesen Namen zu Recht tragen und die zugleich auch noch das Gütesiegel der Akzeptanz der Datenschutzbehörden vorweisen können, haben ein – bisher ungenutztes – Potenzial, gerade in Deutschland, wo informationelle Selbstbestimmung und Rechtsstaatlichkeit kulturell anerkannte Werte sind.
Gefordert sind auch die politischen Akteure und Gremien auf Landes- und auf Bundesebene: Statt sich als wirksame Werbeplattform von Anbietern aus Übersee, deren soziales Engagement sich durch Steuervermeidung und Datenschutzignoranz auszeichnet, gebrauchen zu lassen, könnten und sollten das Know-how und die Infrastruktur in Deutschland genutzt werden. Hieran fehlt es nicht; woran es fehlt, ist ein wenig Geld und vor allem der politische Wille.
Was ist zu tun?
Die eigene Erforschung, Entwicklung und Implementierung dezentraler, selbst verantwortbarer und datensparsamer Social Media sollte gefördert und vorangetrieben werden.
2.3 Stiftung Datenschutz
Bei der Einrichtung der Stiftung Datenschutz wurden die Datenschutzbeauftragten des Bundes und der Länder nicht beteiligt. Das Ergebnis ist der Verzicht der Datenschutzbeauftragten auf die Entsendung von Vertretern in den Stiftungsbeirat.
Eines der großen Datenschutzprojekte der aktuellen Bundesregierung sollte die Stiftung Datenschutz werden, die Audit- und Gütesiegelverfahren durchführen, vergleichende Datenschutztests vornehmen, Bildungsangebote bereitstellen und Forschungsprojekte koordinieren sollte. Anders als andere Landesdatenschutzbeauftragte reagierte das ULD von Anfang an positiv auf die Idee; wir boten unsere Unterstützung und insbesondere das Einbringen unserer langjährigen Erfahrungen in den Bereichen an, die genau das Tätigkeitsfeld der künftigen Stiftung sein sollten (33. TB, Tz. 2.3). Auch die Konferenz der Datenschutzbeauftragten des Bundes und der Länder erklärte sich zur konstruktiven Zusammenarbeit mit dem federführenden Bundesinnenministerium bereit. Dieses zeigte jedoch an einer Zusammenarbeit keinerlei Interesse.
Was sich schon abzeichnete, wurde dann wahr: Alle Energie wurde darauf gelenkt, einen bürokratischen Apparat zu schaffen, nicht handlungsfähige Arbeitsstrukturen: „Um das Stiftungsvermögen dauerhaft zu erhalten, sollten die Personal- und Sachkosten gering gehalten werden“, so die Bundesregierung. Groß wird dagegen ein Beirat mit über 30 Mitgliedern sein, wovon gemäß der
Satzung etwa die Hälfte von der Wirtschaft gestellt werden soll, weitere Mitglieder von Bundestagsfraktionen und der Verwaltung. Die Datenschutzbehörden sollten insgesamt drei Mitglieder benennen können. Ein Verwaltungsrat soll von der Bundesregierung beschickt und vom Bundesinnenministerium dominiert werden. Ein Konzept wurde nicht vorgelegt, geschweige denn ein konkreter Plan, wie die Zertifizierung – also die ursprüngliche Hauptaufgabe – durchgeführt werden soll. Damit sind praktisch alle Erwartungen an die Stiftung unerfüllt geblieben: Kompetenz, Unabhängigkeit, Transparenz. Für eine enge Zusammenarbeit zwischen Stiftung und Datenschutzbeauftragten, bei der die Arbeit nicht auf Letztere abgewälzt wird, gibt es keine Anzeichen.
Angesichts dieses Resultats beschloss die Konferenz der Datenschutzbeauftragten des Bundes und der Länder im November 2012, von der Möglichkeit, Vertreter in den Stiftungsbeirat zu entsenden, keinen Gebrauch zu machen. Diesem Vorbild folgten einige benennungsberechtigte Stellen aus der politischen Opposition und aus den Bereichen Gewerkschaften und Verbraucherschutz. Die Konferenz wie auch das ULD sind weiterhin zu einer Unterstützung und Beratung bereit. Voraussetzung hierfür ist aber, dass damit ein Vorteil für den Datenschutz erkennbar wird. Einrichtungen, die entgegen den rechtlichen Anforderungen insbesondere Wirtschaftsunternehmen datenschutzrechtliche Persilscheine ausstellen, gibt es im kommerziellen Bereich schon mehr als genug.
Was ist zu tun?
Die weitere Entwicklung ist aufmerksam und kritisch zu verfolgen. Sinnvoll wäre ein kompletter Neuanfang.
2.4 Beschäftigtendatenschutz
Keinen Erfolg hatte bisher der Versuch der Bundesregierung, ein bundesweit einheitliches, praktikables und auf Ausgleich zwischen Arbeitnehmer- und Arbeitgeberseite abzielendes Beschäftigtendatenschutzrecht zu schaffen.
Es könnte so einfach sein: Es liegt eine Vielzahl von sinnvollen Formulierungsvorschlägen von Oppositionsparteien und von Interessenverbänden vor; es kann auf eine gefestigte Arbeitsgerichtsrechtsprechung zurückgegriffen werden. Doch das seit knapp 30 Jahren bestehende Versprechen, ein valides Beschäftigtendatenschutzrecht zu schaffen, das Rechtsfrieden und einen fairen Interessenausgleich schafft, droht weiterhin unerfüllt zu bleiben. Vorausgegangen waren in den Jahren 2008/2009 Überwachungsskandale im Arbeitsbereich. Im August 2010 war ein Entwurf einer Änderung des BDSG vorgelegt worden, der das Versprechen des Koalitionsvertrages, den Beschäftigtendatenschutz zu verbessern, nicht halten konnte (33. TB, Tz. 5.1). Vertreter der Arbeitgeber- wie der Arbeitnehmerseite, juristische und betriebliche Praktiker und die Datenschutzbeauftragten machten eine Vielzahl von konstruktiven Vorschlägen, wie aus dem schlechten Entwurf noch ein gutes Gesetz gemacht werden kann.
Bei den Gesetzesberatungen wurden die Datenschutzbeauftragten praktisch nicht eingebunden. Gerüchte waren zumeist die einzige Informationsquelle. Auch nur gerüchtehalber war zu erfahren, dass sich die Arbeitgeberseite massiv in den Entscheidungsprozess der Gesetzgebung einmischte. Die Gerüchte über die inhaltlichen Änderungsvorschläge deuteten darauf hin, dass der Datenschutz für Beschäftigte noch weiter abgebaut werden könnte. Ein Warten auf Europa ist nicht angebracht; der Regelungsvorschlag der EU-Kommission zum Datenschutz (Tz. 2.5) überlässt diesen Bereich ausdrücklich den Mitgliedstaaten. Im Januar 2013 wurde bekannt, dass die Regierungskoalition mit einem nur in wenigen Punkten geänderten Entwurf im Schnelldurchgang die Gesetzgebung abschließen möchte. Nach heftigem öffentlichen Protest, u. a. in Form einer Entschließung der Datenschutzbeauftragten des Bundes und der Länder, wurde die Beschlussfassung aufgeschoben und weitere Diskussionen angekündigt. Dass diese erfolgreich sein werden, ist nicht zu erwarten.
http://www.datenschutz-bremen.de/konferenzbeschluesse2.php?konfid=166
Was ist zu tun?
Der Gesetzgeber sollte sich beim Beschäftigtendatenschutz beeilen, was aber nicht zulasten der Qualität des Grundrechtsschutzes gehen darf.
2.5 EU-Rechtsrahmen – Entwurf einer Datenschutz-Grundverordnung
Die EU-Kommission hat am 25. Januar 2012 den Entwurf für eine Datenschutz-Grundverordnung veröffentlicht, die die Maßstäbe für den Schutz personenbezogener Daten in der EU vereinheitlichen soll. In 91 Artikeln finden sich wertvolle Bestimmungen zum Schutz und zur Stärkung der allgemeinen Persönlichkeitsrechte der Bürgerinnen und Bürger. Allerdings besteht auch Änderungs- und Ergänzungsbedarf, der in die laufenden Abstimmungen und in das Gesetzgebungsverfahren einfließen sollte. Das ULD unterstützt die EU-Kommission in ihrem Vorhaben, einen harmonisierten und technikneutralen Datenschutz in Europa zu schaffen. Eine Modernisierung des Datenschutzes und dessen Vereinheitlichung auf europäischer Ebene sind dringend notwendig, um den immer neuen Risiken für die Persönlichkeitsrechte der Bürgerinnen und Bürger wirksam zu begegnen und um einen Datentransfer im Binnenmarkt zu ermöglichen sowie dessen Zulässigkeit zugleich an klare Bedingungen zu knüpfen.
Positiv hervorzuheben sind Bestimmungen zur Stärkung des Einwilligungserfordernisses, zum Schutz personenbezogener Daten von Kindern, zu den Betroffenenrechten gegenüber den verantwortlichen Stellen – auf Information, Auskunft, Vergessenwerden bzw. Löschung und Datenübertragbarkeit –, die Reglementierung von auf Profiling basierenden Maßnahmen, das Gebot datenschutzfreundlicher Voreinstellungen, die haftungsrechtliche Gleichstellung von für die Datenverarbeitung Verantwortlichen und den Auftragsdatenverarbeitern, die Einführung umfassender Dokumentationspflichten, die Verpflichtung zur Datenschutzfolgenabschätzung, die Befürwortung datenschutzspezifischer Zertifizierungsverfahren und die Erweiterung der Sanktionsmöglichkeiten für die Aufsichtsbehörden im Falle von Verstößen gegen die Grundverordnung.
- Die vorgesehenen Ermächtigungen für die Kommission für sogenannte delegierende Rechtsakte müssen auf das erforderliche Maß reduziert werden. Den Mitgliedstaaten muss die Möglichkeit verbleiben, für den Grundrechtsschutz wesentliche Gesichtspunkte selbst zu regeln.
- Technisch-organisatorische Maßnahmen zur Gewährleistung der Datensicherheit und damit auch des Datenschutzes, wie die Grundsätze der Integrität, der Verfügbarkeit, der Vertraulichkeit, der Transparenz, der Intervenierbarkeit und der Nichtverkettbarkeit, sollten in der Grundverordnung verankert werden.
- Beabsichtigt ist, dass im Wege eines „One-Stop-Shops“ nur noch eine Aufsichtsbehörde europaweit im Hinblick auf ein bestimmtes Unternehmen als zuständige Kontrollbehörde tätig werden kann. Hier sollte berücksichtigt werden, dass für bestimmte Sachverhalte hauptsächlich nationale Datenschutzvorschriften eingreifen können, sodass die Bestimmung eine Art europäische Federführung vorsehen sollte.
- Für die EU-Kommission enthält der Entwurf zahlreiche Befugnisse, wie etwa die Erarbeitung und Aufstellung von Ausführungsbestimmungen, was die Unabhängigkeit der europäischen Datenschutzaufsichtsbehörden beeinträchtigen würde. Hier muss Abhilfe geschaffen werden.
- Die vorgesehene Verpflichtung, betriebliche Datenschutzbeauftragte erst ab einer Anzahl von 250 Beschäftigten bestellen zu müssen, ist deutlich zu niedrig. Die Bestellpflicht sollte vorrangig von qualitativen Aspekten der automatisierten Datenverarbeitung und weniger von quantitativen Merkmalen abhängig gemacht werden.
Mit Datum vom 17. Dezember 2012 legte der Berichterstatter des Ausschusses für bürgerliche Freiheiten, Justiz und Inneres des Europäischen Parlaments Änderungsvorschläge zur Grundverordnung vor, welche die Anregungen der Datenschutzbeauftragten weitgehend aufgreifen.
Was ist zu tun?
Die Chance, ein EU-weit einheitliches Datenschutzniveau zu schaffen, darf nicht leichtfertig verspielt werden. Ein solcher Rechtsrahmen führt zu mehr Rechtsklarheit und stärkt das Persönlichkeitsrecht der Bürgerinnen und Bürger, zu dessen Gewährleistung die europäische Verfassung verpflichtet. Alle Verantwortungsträger, vor allem auf parlamentarischer Ebene, sind aufgerufen, dazu beizutragen, diese Ziele zu erreichen.
Zurück zum vorherigen Kapitel | Zum Inhaltsverzeichnis | Zum nächsten Kapitel |