4.9         Ausländerverwaltung

4.9.1      EU-Bürger im Ausländerzentralregister

Ungeachtet des Grundsatzes der Freizügigkeit innerhalb der Europäischen Union werden Daten über Bürgerinnen und Bürger aus Mitgliedstaaten der Europäischen Union im Ausländerzentralregister entgegen einer Entschei­dung des EuGH ebenso gespeichert wie Daten über Drittstaatsangehörige.

Der Europäische Gerichtshof (EuGH) hat Ende 2008 ein Vorabentscheidungs­ersuchen des Oberverwaltungsgerichts Nordrhein-Westfalen zur Zulässigkeit der Speicherung von Daten über Unionsbürger im Ausländerzentralregister (AZR) dahin gehend beantwortet, dass der Gebrauch eines solchen zentralen Registers für Unionsbürger nur legitim und mit dem Verbot der Diskriminierung aus Grün­den der Staatsangehörigkeit vereinbar ist, wenn das Register zur Unterstützung der mit der Anwendung aufenthaltsrechtlicher Vorschriften betrauten Behör­den genutzt wird. Die Speicherung von Daten über Unionsbürger zum Zweck der allgemeinen, von der Staatsangehörigkeit unabhängigen Kriminalitätsbekämpfung hat der EuGH dagegen als eine unzulässige Diskriminierung angesehen.

Diese Vorgaben müssen gesetzlich und in der Praxis umgesetzt werden. Das Bundesministerium des Innern legte den Referentenentwurf eines AZR-Geset­zes vor, zu dem das ULD Stellung genommen hat.

www.datenschutzzentrum.de/polizei/20100813-stellungnahme-auslaenderzentralgesetz.html

In der Praxis müssen die einschränkenden Vorgaben des EuGH schon heute beachtet werden. Dies gilt für die Beantwortung von behördlichen Auskunftsersu­chen an das AZR. Beziehen sich diese auf Unionsbürger, dann darf eine Auskunft nur erteilt werden, wenn sie für spezifische ausländerrechtliche Zwecke benötigt und verwendet wird, in keinem Fall aber für Zwecke der Strafverfolgung. Richten Behörden ihre Auskunftsersuchen schriftlich an die registerführende Stelle, das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (BAMF), so kann dort die Zulässigkeit der Auskunftserteilung im konkreten Einzelfall geprüft werden. Anders ist die Situation im automatisierten Abrufverfahren. Hier nimmt die registerführende Stelle keine Überprüfung vor. Die Verantwortung für die Zulässigkeit der Abrufe und die Einhaltung der Einschränkungen aus der EuGH-Entscheidung obliegt allein der abrufenden Stelle.

In Schleswig-Holstein hat die Landespolizei Zugang zum AZR im automati­sierten Verfahren zentral über das Landeskriminalamt (LKA). Dort haben wir das Abrufverfahren geprüft. Ausreichende technische und organisatorische Vorkeh­rungen, die die Einhaltung der rechtlichen Anforderungen gewährleisten, waren nicht getroffen worden. Anweisungen des BAMF zur Durchführung von Abfragen über Unionsbürger sind zwar bekannt, es fehlten aber Vorkehrungen, um deren Einhaltung durch alle abrufberechtigten Mitarbeiter sicherzustellen und diese nachträglich kontrollieren zu können. Insbesondere erwies sich die Protokollie­rung von Abfragen als lückenhaft (Tz. 4.9.2). Das LKA reagierte umgehend und erließ eine vorläufige Handlungsanweisung zur Umsetzung der EuGH-Entschei­dung. Darin werden die abrufberechtigten Mitarbeiter auf die zulässigen Zwecke des Abrufs von Unionsbürgerdaten hingewiesen. Sie werden angewiesen, in der Eingabemaske für die Suchanfrage den Veranlasser der Abfrage anzugeben oder diesen in einem Nachweis zu protokollieren.

Mittlerweile wies das BAMF alle Nutzer des automatisierten Abrufverfahrens darauf hin, dass ein Abruf von Daten über Unionsbürger nur noch mit der Angabe eines Verwendungszwecks zur Anwendung aufenthaltsrechtlicher Vorschriften statthaft ist. Der Verwendungszweck ist nach einer Dienstanweisung des LKA in der Suchmaske in dem dafür ursprünglich nicht vorgesehenen Feld „Veranlasser“ eingetragen. Durch die Verwendung von Abkürzungen wird sichergestellt, dass auch die Angaben zum Veranlasser noch in das Feld passen.

Was ist zu tun?
Das Ausländerzentralregistergesetz und die Gestaltung des automatisierten Abrufverfahrens müssen zügig geändert werden, damit eine europarechtskon­forme Nutzung des Ausländerzentralregisters erfolgt.

4.9.2      Protokollierung  der Abrufe aus dem Ausländerzentralregister

Bei der Kontrolle des Abrufverfahrens aus dem AZR sind gravierende Lücken in der Protokollierung der Abrufe deutlich geworden.

Nach dem AZR-Gesetz hat die Registerbehörde bei Abrufen anderer Stellen Auf­zeichnungen zu fertigen, aus denen u. a. der Zweck des Abrufs und die für den Abruf verantwortliche Person hervorgehen. Die Angabe des Zwecks ist von grundlegender Bedeutung für eine Kontrolle der Zulässigkeit der Abrufe, nicht nur zur Verhinderung der oben dargestellten unzulässigen Abrufe über Unions­bürger. Im LKA wird eine Eingabemaske für Suchanfragen an das AZR verwen­det, die vom INPOL-Land-POLAS-Competence-Center (IPCC) stammt. Ein Feld für die Eingabe eines Verwendungszwecks fehlt dort. Genutzt wird hierfür inzwischen ein anderes Feld (Tz. 4.9.1). Dies kann allenfalls eine Übergangs­lösung sein.

Ähnliches gilt für die Angabe der verantwortlichen Person. Das LKA führt die Abrufe üblicherweise im Auftrag einzelner Polizeibeamter durch, die Kennung der tatsächlich abrufenden Person gibt also keinen Aufschluss über die den Abruf veranlassende Person. Die Suchmaske enthält ein Feld für die Eintragung der verantwortlichen Person, das aber nicht als Pflichtfeld ausgestaltet ist. Tech­nisch ist nicht sichergestellt, dass die verantwortliche Person immer angegeben wird. Das LKA hat die abrufberechtigten Mitarbeiter mittlerweile angewiesen, Angaben über die verantwortliche Person zu dokumentieren.

Was ist zu tun?
Die Eingabemaske muss ergänzt werden, um eine den gesetzlichen Anforderun­gen entsprechende Protokollierung der Abrufe sicherzustellen.

4.9.3      Keine Antwort von der Kreisverwaltung

Auch Ausländerbehörden haben als öffentliche Stellen das Datenschutzrecht zu respektieren und eine Datenschutzkontrolle zu ermöglichen. Dies scheint keine Selbstverständlichkeit zu sein.

Ein Rechtsanwalt wandte sich in einem ausländerrechtlichen Verfahren an das ULD. Als zwei Monate nach unserer Aufforderung zur Stellungnahme an die sachbearbeitende Ausländerbehörde ergebnislos verstrichen waren, erinnerten wir unter Fristsetzung und unter Androhung einer datenschutzrechtlichen Beanstan­dung daran. Auch dieses Schreiben blieb unbeantwortet. Erst auf unsere Bean­standung lange nach Fristablauf reagierte die Kreisverwaltung. Was uns dabei mitgeteilt wurde, war Anlass für eine vertiefte Prüfung.

Was ist zu tun?
Nicht nur das ULD steht Petenten gegenüber in der Pflicht; es ist Pflicht aller an einem Prozess beteiligten Behörden, in angemessener Zeit zu reagieren. Ver­weigerte Kooperation verursacht nicht nur Ärger, sondern zusätzlichen Auf­wand und eventuell Sanktionen.

 

Zurück zum vorherigen Kapitel Zum Inhaltsverzeichnis Zum nächsten Kapitel