4.3         Justizverwaltung

4.3.1      Neues in Sachen Vorratsdatenspeicherung

Schon kurz nach Inkrafttreten musste das Bundesverfassungsgericht die Vorratsdatenspeicherung – zunächst vorläufig – zurückstutzen. Eine endgül­tige Entscheidung über die europarechtliche und verfassungsrechtliche (Un)Zulässigkeit der Regelungen steht weiterhin aus. Die Befugnisse zum Zugriff auf die Vorratsdaten werden derweil kontinuierlich erweitert – auch in Schleswig-Holstein.

Anfang des Jahres 2008 ist die Vorratsspeicherung von Telekommunikations­verkehrsdaten in Kraft getreten (30. TB, Tz. 4.3.1 und Tz. 7.1). Seitdem müssen die Anbieter von Telekommunikationsdiensten Angaben über Telefonverbindungen ihrer Kunden – z. B. die angerufenen Telefonnummern, Beginn und Ende des Telefonats, bei Mobiltelefonen auch die genutzte Funkzelle – für sechs Monate speichern. Die Daten sollen für Zwecke der Strafverfolgung und Gefahrenabwehr oder für die Aufgaben der Nachrichtendienste genutzt werden. Dies ist allerdings nur dann zulässig, wenn es hierfür eine spezielle gesetzliche Regelung gibt. Solche Regelungen gab es zunächst nur für Strafverfolgungsbehörden. Mittlerweile haben einige Länder entsprechende Regelungen auch für die Polizei- und die Verfas­sungsschutzbehörden eingeführt (Tz. 4.2.6).

Gegen die Regelungen zur Vorratsdatenspeicherung sind Verfassungsbeschwer­den beim Bundesverfassungsgericht anhängig. Im Eilverfahren wurde beantragt, die Vorschriften zur Speicherpflicht bis zur Hauptsacheentscheidung auszusetzen. Das Bundesverfassungsgericht hat daraufhin im Wege der einstweiligen Anordnung die Anwendung der Regelungen erheblich eingeschränkt. Zwar dürfen die Daten weiterhin bei den Telekommunikationsunternehmen gespeichert werden. Ihre Übermittlung für Strafverfolgungszwecke ist aber nur noch für bestimmte Straf­taten zulässig. Weggefallen ist damit u. a. die Möglichkeit, auf die Vorratsdaten zur Verfolgung jedweder mittels Telekommunikation begangener Straftaten zuzu­greifen. Einschränkungen hat das Bundesverfassungsgericht auch bei den Über­mittlungen für Zwecke der Gefahrenabwehr sowie für die Aufgabenerfüllung der Nachrichtendienste vorgenommen.

Das Bundesverfassungsgericht hat die Bundesre­gierung zudem aufgefordert, über die Erfahrun­gen mit der Vorratsdatenspeicherung zu berich­ten. Aus einem ersten Bericht geht hervor, dass im Zeitraum von Mai bis Juli 2008 bei 1.742 von insgesamt 4.356 Anordnungen ausschließlich auf die Vorratsdaten zurückgegriffen werden musste. Auch wenn der Erfassungszeitraum sehr kurz und die Zahlen daher nur bedingt aussagekräftig sind, ist schon zu erkennen, dass die Vorratsdatenspei­cherung ein erhebliches Ausmaß hat.

In einer gemeinsamen Stellungnahme gegenüber dem Bundesverfassungs­gericht haben die Landesbeauftragten für Datenschutz dargelegt, dass die Vorrats­datenspeicherung in verfassungswidriger Weise das durch Artikel 10 des Grund­gesetzes geschützte Fernmeldegeheimnis verletzt:

  • Die Maßnahme greift besonders intensiv in die Grundrechte der Betroffenen ein. Dies liegt vor allem an der erheblichen Streubreite, da jeder Telekommu­nikationsteilnehmer erfasst wird, und an der Möglichkeit, aus den gespeicherten Verkehrsdaten Kommunikations- und Bewegungsprofile zu bilden.
  • Die Speicherung der Daten erfolgt anlasslos. Sie knüpft weder an ein Verhalten des Betroffenen noch an eine abstrakte Gefährlichkeit der ausgeübten Tätigkeit, also der Telekommunikation, an.
  • Im Hinblick auf die erhebliche Eingriffsintensität sind die Schwellen für die Nutzung der Vorratsdaten zu niedrig. So soll die Nutzung der Vorratsdaten für die Verfolgung sämtlicher Straftaten zulässig sein, die mittels Telekommuni­kation begangen wurden. Dies können auch Bagatellstraftaten wie etwa eine Beleidigung sein. Damit geht die deutsche Regelung in unverhältnismäßiger Weise über die Vorgaben der EG-Richtlinie zur Vorratsdatenspeicherung hinaus.
  • Es fehlen effektive verfahrensrechtliche Regelungen, die einer Überschrei­tung der gesetzlichen Zugriffsbefugnisse entgegenwirken und die Vertraulichkeit und Integrität der Vorratsdaten gewährleisten.

Ungeklärt ist auch die Verfassungsmäßigkeit der Kostentragung. Zwar hat der Bundestag mittlerweile ein Gesetz über die Entschädigung für die Kosten der einzelnen Auskunftserteilungen beschlossen. Eine Entschädigung für die Anschaf­fungskosten gibt es allerdings weiterhin nicht. Das Verwaltungsgericht Berlin hat diese Frage dem Bundesverfassungsgericht zur Entscheidung vorgelegt und unter­dessen die Verpflichtung eines Telekommunikationsdiensteanbieters zur Vorrats­datenspeicherung vorläufig ausgesetzt. Entscheidend war für das Verwaltungs­gericht der Umstand, dass das Unternehmen keinen Ersatz für die Aufwendungen zur Anschaffung der zum Betrieb erforderlichen Technik erlangen könne, falls das Bundesverfassungsgericht die Kostenregelung später für nichtig erklärt.

Was ist zu tun?
Solange die zur Vorratsdatenspeicherung aufgeworfenen Fragen nicht durch den Europäischen Gerichtshof und das Bundesverfassungsgericht geklärt sind, sollten die bestehenden Regelungen restriktiv angewendet und von einer Erweiterung der gesetzlichen Zugriffsbefugnisse auf die Daten abgesehen werden.

 

4.3.2      Telefonieren im Strafvollzug

Eine Justizvollzugsanstalt in Schleswig-Holstein betreibt in Zusammenarbeit mit einem privaten Unternehmen ein eigens für den Justizvollzug konzipier­tes Telefonsystem, über das die Gefangenen Telefongespräche führen können. Dies ist – so das Ergebnis des ULD nach mehreren Eingaben – nicht nur von Vorteil.

Gefangene machten uns auf ein Telefonsystem aufmerksam, das ein privates Unter­nehmen für Justizvollzugsanstalten anbietet und das auch in Schleswig-Holstein eingesetzt wird. Das Telefonsystem bietet mehrere Vorkehrungen zum Schutz vor Missbrauch. Die Nutzung ist nur bei einem entsprechenden Guthaben und nur unter Eingabe einer PIN möglich. Bestimmte Telefonnummern können gesperrt werden. Eine weitere Sicherung ist optional: Das Angebot kann auf eine bestimmte Anzahl von Telefonnummern beschränkt werden, die von dem Nutzer anzugeben und von der Justizvollzugsanstalt freizugeben sind – eine sogenannte Weißliste.

Außerdem ermöglicht die Software, mit der das Telefonsystem betrieben wird, Gespräche mitzuhören, ihren Inhalt mitzuschneiden sowie die Verkehrsdaten der einzelnen Gespräche nach unterschiedlichen Kriterien auszuwerten. Diese Funk­tionalitäten werfen wegen der möglichen Grundrechtseingriffe Fragen auf. Einzig das Mithören von Telefongesprächen Gefangener ist unter bestimmten Voraus­setzungen ausdrücklich gesetzlich erlaubt. Für die anderen Überwachungsmaß­nahmen – Gesprächsmitschnitte sowie Auswertung der Telefonverbindungen – fehlen klare gesetzliche Befugnisse.

Neben den Überwachungs- und Auswertefunktionen des Telefonsystems haben wir das Zusammenspiel zwischen der Justizvollzugsanstalt und dem privaten Anbieter kritisch beleuchtet. Die vorgefundene Situation ist aus Datenschutzsicht nicht akzeptabel: Sämtliche Daten, die beim Betrieb des Telefonsystems anfallen – also die Bestandsdaten der Nutzer, die bei einzelnen Gesprächen anfallenden Verkehrsdaten sowie im Fall der Aufzeichnung von Gesprächen die Mitschnitte –, sind auf Servern des privaten Anbieters gespeichert. So ist dem privaten Unter­nehmen ein Zugriff auf alle, teilweise sehr sensiblen Daten möglich. Dies wird weder gesetzlichen Anforderungen noch der tatsächlichen Verantwortung der Justizvollzugsanstalt für die Verarbeitung der Telefondaten der Gefangenen gerecht. Die Justizvollzugsanstalt hat dies erkannt und den Anbieter aufgefordert, das System zu ändern.

Was ist zu tun?
Die Justizvollzugsanstalt sollte unsere Hinweise umsetzen. Das Verfahren muss datenschutzgerecht gestaltet werden. Gelingt dies, so kann die Lösung als Vorbild für datenschutzkonformes Telefonieren in anderen Anstalten dienen.

 

4.3.3      Vernichtung von Gefangenenpersonalakten – Eine lästige Pflicht?

Ein Strafgefangener setzte sich erfolgreich gegen die Nutzung von alten Gefangenenakten zur Wehr. Diese waren wegen Umbauarbeiten, krankheits­bedingter Personalengpässe und Ähnlichem nicht fristgerecht vernichtet worden. Sie standen weiterhin zur Gefangenenvollzugsplanung zur Verfü­gung.

Ein Strafgefangener informierte uns über offen auf dem Schreibtisch des Abtei­lungsleiters in der Justizvollzugsanstalt (JVA) liegende Vollzugsakten, die jeder zur Kenntnis erlangen könne. Die Akten seien zum Teil älter als zehn Jahre. Das ULD stellte fest, dass in der Tat Gefangenenpersonalakten aus den Jahren 1994/1995 bei der Vollzugsplanung in Gesprächen mit dem Gefangenen genutzt wurden. Die Informationen aus der Akte seien aber nach Darstellung der JVA nicht in die aktuelle Vollzugsplanung einbezogen worden, da der Betroffene über Details seiner früheren Inhaftierung freiwillig berichtet habe.

Bei den Akten aus den Jahren 1994/1995 handelte es sich um Unterlagen, die von einer anderen JVA aus Schleswig-Holstein, in der der Häftling früher einmal einsaß, übersandt worden waren und bereits im Jahr 1996 zur Vernichtung anstan­den. Diese sei „wegen in der Vollzugsanstalt durchgeführten Hochbau-, Umbau- und baulichen Erweiterungsmaßnahmen, verbunden mit einer massiven Arbeits­belastung auch der Verwaltungsmitarbeiter, verbunden mit einem verhältnismäßig hohen Krankheitsstand in diesem Bereich“ für die Jahrgänge 1990 bis einschließlich 1997 unterblieben. Die Aufbewahrungsbestimmungen verlangen bei Gefangenen­personalakten eine Vernichtung nach zehn Jahren.

Die unterlassene Vernichtung verstieß gegen die Aufbewahrungsbestimmungen; die Übermittlung der zu vernichtenden Akten an eine andere JVA war ein Verstoß gegen den Erforderlichkeitsgrundsatz, was wir beides beanstandeten. Kritisiert haben wir dabei auch, dass der Inhalt der Unterlagen durch Bedienstete der JVA zur Kenntnis genommen und der Zugang zu diesen Unterlagen nicht durch geeig­nete technische und organisatorische Maßnahmen verhindert wurde. Wir empfahlen geeignete Maßnahmen zur Sicherstellung der gesetzeskonformen Nutzung der Gefangenenpersonalakten und deren fristgerechten Vernichtung. Die Mitarbeite­rinnen und Mitarbeiter wurden durch eine Hausverfügung der JVA aus dem gege­benen Anlass u. a. auf die strikte Einhaltung der Aufbewahrungsbestimmungen für Akten verpflichtet. Im Februar eines jeden Jahres soll der Leitung über die erfolgte Vernichtung der entsprechenden Unterlagen – unter Beifügung des Vernichtungs­protokolls – Bericht erstattet werden.

Was ist zu tun?
Die Vernichtungsbestimmungen für Akten müssen konsequent umgesetzt werden.

 

4.3.4      Kieler Sicherheitskonzept Sexualstraftäter  (KSKS)

Verurteilte Sexualstraftäter können bei Verurteilung auf Bewährung oder nach ihrer Entlassung aus der Haft rückfallgefährdet sein. Um vor solchen Gefahren zu schützen, sollen Justiz und Polizei enger zusammenarbeiten. Der hierfür erforderliche Informationsfluss ist im Kieler Sicherheitskonzept Sexualstraftäter geregelt.

Die gemeinsame Allgemeine Verfügung des Ministeriums für Justiz, Arbeit und Europa, des Innenministeriums und des Ministeriums für Soziales, Gesundheit, Familie, Jugend und Senioren verpflichtet die Stellen des Justiz- und Maßregel­vollzugs sowie Staatsanwaltschaften, Gerichte, Führungsaufsichtsstellen und Bewährungshelfer, Informationen über rückfallgefährdete Sexualstraftäter an eine beim Landeskriminalamt (LKA) eingerichtete Zentralstelle (sogenannte KSKS-Zentralstelle) zu übermitteln – mit einem Formular, in das bestimmte Angaben zu dem Verurteilten sowie zu Kontaktpersonen einzutragen sind. Ergänzend können Unterlagen beigefügt werden, nach dem Konzept z. B. auch besonders sensible ärztliche Gutachten. Die KSKS-Zentralstelle führt die von der Justiz übermittelten Daten mit vorhandenen eigenen Erkenntnissen über den Verurteilten zusammen und bewertet in eigener Zuständigkeit, ob von dem Verurteilten eine Gefahr für die öffentliche Sicherheit ausgeht. Bei einer Negativprognose informiert sie die für den Wohnsitz des Verurteilten zuständige Polizeibehörde und koordiniert die zu ergrei­fenden polizeilichen Maßnahmen sowie den Rückfluss der Informationen an die Justiz.
An der Erstellung des Konzepts war das ULD nicht beteiligt. Erst kurz vor dem geplanten Inkrafttreten der Allgemeinen Verfügung erfuhren wir inoffiziell von dem Vorhaben. Unsere datenschutzrechtliche Prüfung ergab, dass ein Informa­tionsaustausch zwischen Justiz und Polizei zulässig sein kann, soweit eine Gefahr für die öffentliche Sicherheit vorliegt und die Informationen für den Empfänger, hier die Polizei, zur Abwehr dieser Gefahr erforderlich sind. Für KSKS bedeutet dies: Es dürfen nur Informationen über Verurteilte weitergeleitet werden, von denen mit hinreichender Wahrscheinlichkeit anzunehmen ist, dass sie erneut Sexualstraftaten begehen werden. Der Umfang der zu übermittelnden Informatio­nen ist auf das zur Gefahrenabwehr erforderliche Maß zu beschränken. Dies ist insbesondere im Zusammenhang mit ärztlichen Gutachten und ähnlich sensiblen Informationen zu beachten. Würden sämtliche in der Justiz vorhandenen Unterla­gen über den Verurteilten an die KSKS-Zentralstelle übermittelt und dort mit polizeilichen Informationen zusammengeführt, dann entstünde eine hochsensible umfassende Sammlung aller zu dieser Person bei Polizei und Justiz verfügbaren Informationen.

Eine ernsthafte Auseinandersetzung mit der Frage, für welche konkreten Zwecke diese Daten verwendet werden, ob und inwieweit diese Daten für diese Zwecke erforderlich sind bzw. ob es zu dem vorgesehenen Verfahren datensparsamere Alternativen gibt, lässt das Konzept leider vermissen. Die Erforderlichkeit der Übermittlung ist in der Allgemeinen Verfügung für alle Informationen nicht nach­vollziehbar dargelegt, deren weitere Verwendung durch die Polizei ist nur grob beschrieben. So verbleiben erhebliche Zweifel an der Verhältnismäßigkeit des Verfahrens. Im Hinblick auf den Personenkreis, über den die Zentralstelle infor­miert werden soll, den Umfang der zu übermittelnden Daten und weitere einzelne Punkte ist KSKS überarbeitungsbedürftig.

Der Umgang mit den personenbezogenen Daten bei der KSKS-Zentralstelle und den gegebenenfalls einzubindenden Polizeidienststellen ist im Konzept bislang nur grob umrissen. Die Einzelheiten der Datenverarbeitung, etwa die Frage, ob hierfür, wie in einigen anderen Ländern, eine Datei errichtet werden soll, werden noch gesondert zu klären sein.

Was ist zu tun?
Das Meldeverfahren nach dem Kieler Sicherheitskonzept Sexualstraftäter sowie dessen Regelung in der Allgemeinen Verfügung sollten an die Empfehlungen des ULD angepasst werden. Bei der Weiterentwicklung des Konzepts ist das ULD zu beteiligen.

 

4.3.5      Regelmäßige HIV-Infektionsmeldung über Gefangene für die Justiz?

Bei Vorführungen im Strafprozess kommen Justizwachtmeister regelmäßig mit Gefangenen in Kontakt. Die Angst vor einer Ansteckung mit dem HI-Virus ist groß – doch ist die Information über eine HIV-Infektion eines Gefangenen ein tauglicher Schutz?

Um Justizwachtmeister schützen zu können, wollen die Gerichte vor den Vorführungen durch die Justizvollzugsanstalten über HIV-infizierte Gefangene informiert werden. Eine entsprechende Mitteilungspraxis wurde vor einigen Jahren eingestellt. Der Forderung der Gerichte nach Wiedereinführung dieser regel­mäßigen Mitteilungen kommt das Ministerium für Justiz, Arbeit und Europa aufgrund datenschutzrechtlicher Bedenken nicht nach. Wir konnten dem Ministe­rium beipflichten.

Wie generell gilt auch hier, dass die zu übermittelnde Information für einen bestimmten Zweck erforderlich sein muss. Zweck der Übermittlung ist die Abwehr von Gefahren für die Gesundheit der Justizwachtmeister. Um eine Ansteckung mit dem HI-Virus zu vermeiden, ist eine Vorabinformation über solche Infizierungen nicht erforderlich. Den Justizvollzugsanstalten (JVA) selbst sind nicht zwangsläufig alle Fälle von HIV-Infektionen bei Gefangenen bekannt. Die Untersuchung ist – da für HIV-Infektionen und Aidserkrankungen keine Meldepflicht nach dem Infek­tionsschutzgesetz besteht – freiwillig. Es ist nicht gewährleistet, dass jeder Gefangene auf eine HIV-Infektion untersucht und die Anstaltsleitung über das Ergebnis informiert wird, sodass regelmäßige Mitteilungen der JVA an die Gerich­te lückenhaft bleiben. Bei Personen, für die keine Mitteilung vorliegt, müsste weiterhin von einem Infektionsrisiko ausgegangen werden. Es führt so kein Weg daran vorbei, in jedem Fall die erforderlichen Schutzmaßnahmen, wie etwa das Tragen von Handschuhen, zu ergreifen. Die Kenntnis einer konkreten Anste­ckungsgefahr, der durch übliche Sicherheitsmaßnahmen begegnet werden kann, ist nicht erforderlich.

Gegen eine regelmäßige Mitteilung von HIV-Infektionen spricht zudem, dass nicht von jedem HIV-Infizierten eine Ansteckungsgefahr ausgeht. Ein Infizierter, der verantwortungsbewusst mit seiner Infektion umgeht, stellt kein höheres Risiko dar als ein Nichtinfizierter. Würde unterschiedslos über jede bekannte HIV-Infek­tion berichtet, bedeutete dies, allen Gefangenen generell ein potenziell gefähr­dendes Verhalten und einen unverantwortungsvollen Umgang mit ihrer Infektion zu unterstellen.

Was ist zu tun?
Regelmäßige Mitteilungen an die Gerichte über alle bekannten HIV-Infektionen von Gefangenen sollten wie bisher unterbleiben.

 

4.3.6      „Freiwillige“ Rechnerdurchsuchung durch Interessenverband

Erneut hat die Polizei auf Anregung der Staatsanwaltschaft in einem Ermitt­lungsverfahren wegen Verdachts illegaler Downloads urheberrechtlich geschützter Dateien einen Interessenverband von Rechteinhabern mit der Auswertung eines Laptops beauftragt.

Im letzten Tätigkeitsbericht hatten wir über einen Fall berichtet, in dem ein Inte­ressenverband von Rechteinhabern aus der Unterhaltungsindustrie einen Computer zur Auswertung auf Urheberrechtsverstöße erhalten hatte (30. TB, Tz. 4.3.3). Auch in einem neuen aktuellen Fall wurden dem Interessenverband nicht nur einzelne „verdächtige“ Dateien, sondern der gesamte Rechner übergeben, auf dem sich neben eventuell illegalen Musik- oder Filmdateien zahlreiche private Dateien der Betroffenen befanden.

Die Übermittlung im ersten Fall hatten wir beanstandet. Es fehlte hierfür die gesetzliche Grundlage. Die kreative Reaktion von Staatsanwaltschaft und Polizei auf unsere damalige Beanstandung erlebten wir bei der Prüfung des vorliegenden Falls: Die Übermittlung wurde auf eine Einwilligung gestützt. Der Laptop wurde von der Polizei bei einer Wohnungsdurchsuchung sichergestellt. Während der Durchsuchung hatte die Betroffene eine Erklärung unterzeichnet, in der sie sich mit der Übergabe des Laptops an und dessen Durchsuchung durch den Interessen­verband einverstanden erklärte.

Eine Erklärung in einer solchen Situation ist keine wirksame Einwilligung bezüg­lich der Datenverarbeitung, da sie freiwillig erteilt sein muss. Es scheint ausge­schlossen, dass eine überlegte und freie Entscheidung in der Situation einer Wohnungsdurchsuchung und Sicherstellung privater Gegenstände und Daten getroffen werden kann. Von Freiwilligkeit kann hier keine Rede sein. Der Fall zeigt erneut, wie öffentliche Stellen Maßnahmen der Datenerhebung und -verarbeitung auf eine Einwilligung des Betroffenen stützen, wenn die gesetzliche Befugnis fehlt. Dies ist insbesondere in der klassischen Eingriffsverwaltung sehr heikel. Das Verhältnis zwischen Staat und Bürger ist hier nicht – wie grundsätzlich im privaten Bereich – von Vertragsfreiheit und einer Gleichrangigkeit der Parteien geprägt. Daher kommt der gesetzlichen Festlegung von behördlichen Aufgaben und Befugnissen eine besondere Bedeutung zu. Deren Voraussetzungen und Grenzen müssen – gerade bei der Erhebung und Verarbeitung von personenbezogenen Daten – durch Gesetz klar geregelt sein. Es bedarf einer strengen Prüfung, ob die Verarbeitung für die Erfüllung der gesetzlichen Aufgaben erforderlich ist. Die Grundsätze des Gesetzesvorbehalts und der Verhältnismäßigkeit können nicht durch eine – zumeist im Hinblick auf ihre Freiwilligkeit zweifelhafte – Einwilligung des Betroffenen unterlaufen werden.

Was ist zu tun?
Die Verarbeitung personenbezogener Daten in der Eingriffsverwaltung muss sich streng am Erforderlichkeitsprinzip orientieren. Einwilligungen sind in diesem Bereich kein probates Mittel, um fehlende gesetzliche Befugnisse zu kompen­sieren.

 

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