27. Tätigkeitsbericht (2005)

4.4    | Ausländerverwaltung

Auch im vierten Jahr nach den Anschlägen am 11. September 2001 hat sich an der Fixierung auf die unverhältnismäßige Überwachung von Ausländerinnen und Ausländern nichts geändert. Im Gegenteil: Nach dem In-Kraft-Treten des Zuwanderungsgesetzes hat sich die Kontrolle weiter verschärft.

Im Hinblick auf die Kontrolle der Ausländer verdient das Zuwanderungsgesetz  nicht seinen Namen. Ebenso wie das Terrorismusbekämpfungsgesetz  (24. TB, Tz. 4.5.2) ist das Anfang 2005 nach einigen politischen und rechtlichen Wirren in Kraft getretene Zuwanderungsgesetz darauf ausgerichtet, durch möglichst lückenlose Kontrollen  Deutschland und Europa von Zuwanderern abzuschotten. Dem dienen zum einen der Ausbau bestehender Datenverarbeitungsstrukturen. So wird das Ausländerzentralregister  (AZR) mit seiner Hauptdatei und seiner Visadatei ausgebaut. Verantwortlich ist für das weiterhin beim Bundesverwaltungsamt geführte AZR künftig das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge. Das als Sicherheitsdatei konzipierte AZR erhält mit dem Anschluss der Sozialbehörden zusätzliche soziale Kontrollfunktionen. Im AZR bleiben weiterhin Staatsangehörige anderer EU-Mitgliedstaaten erfasst, obwohl das Verwaltungsgericht Köln schon Ende 2002 feststellte, dass die AZR-Speicherung von Unionsbürgern, die ein Recht auf Aufenthalt im Bundesgebiet haben, gegen das europarechtliche Diskriminierungsverbot verstößt.

Im Aufenthaltsgesetz, welches seit Anfang 2005 das Ausländergesetz ablöst, erfolgten weitere Regelungen, die gegen europäische Vorgaben verstoßen. So wird der europarechtlich vorgesehene Schutz von besonders sensiblen Daten per nationalem Gesetz faktisch aufgehoben. Entgegen dem ausdrücklichen Wortlaut der EU-Datenschutzrichtlinie  soll es zudem im Ausländerrecht kein Recht der Betroffenen auf Widerspruch gegen Datenverarbeitungen geben. Beibehalten wurden alle Vorschriften, in denen Menschen nur deshalb ausländerrechtlichen Sicherheitsüberprüfungen  unterworfen werden, weil sie – ohne jemals mit der Polizei in Konflikt gekommen zu sein – einer definierten Gruppe von Ausländern angehören. Damit nicht genug. Noch bevor das neue Gesetz Anfang 2005 in Kraft getreten war, hatte die Bundesregierung schon die ersten Änderungen vorgeschlagen, die auf eine weitere Intensivierung der Kontrolle hinauslaufen: weitere Datenbanken und Ausweitung des AZR auf die Arbeitsverwaltung.

Was ist zu tun?
Die Regelungen über die Erfassung von Ausländern müssen einer Generalrevision unterworfen werden. Zu überprüfen ist dabei nicht nur die Vereinbarkeit mit dem auch Nichtdeutschen zustehenden Grundrecht auf Datenschutz, sondern auch die Sinnhaftigkeit der ganze Ausländergruppen undifferenziert treffenden Kontrollregelungen sowie die Verletzung europarechtlicher Diskriminierungsverbote.

 

4.4.1    | Die Europäisierung der Ausländerüberwachung

Große Teile des Aufenthalts- und Flüchtlingsrechts wurden inzwischen in die erste Säule der Europäischen Union integriert. Dies hat den Auf- und Ausbau von Datenbanken zur Folge, mit denen so genannte Drittausländer erfasst werden.

Drittausländer werden die Menschen genannt, die keine Staatsbürgerschaft eines EU-Mitgliedstaates haben. Deren Erfassung in Datenbanken findet mit der Europäisierung der Visa- und der Flüchtlingspolitik verstärkt auf europäischer Ebene statt. Dies gilt für das Schengener Informationssystem, in dem ausgewiesene, zurückgewiesene oder abgeschobene Drittausländer zur Fahndung ausgeschrieben sind, sowie für die Fingerabdruckdatenbank Eurodac, über die festgestellt werden kann, ob ein Flüchtling schon in einem anderen EU-Staat Zuflucht gesucht hat.

Der aktuellste Plan besteht im Aufbau eines Visa-Informationssystems (VIS), in dem die Erteilung von kurzfristigen Einreisesichtvermerken durch sämtliche EU-Mitgliedstaaten zusammengeführt wird. Ergänzt wird diese Datenbank durch einen regelmäßigen Datenaustausch zwischen den Mitgliedstaaten über Kurzzeitvisa. Mit VIS wird auf europäischer Ebene eine Datenspeicherung  vorgesehen, die es bisher noch nicht einmal auf nationaler Ebene gab: Neben Angaben über die Beantragung, Ausstellung oder Verweigerung von Sichtvermerken sollen auch biometrische Daten, Gesichtsbilder und Fingerabdrücke, erhoben und zum Abgleich bereitgehalten werden. Die Daten sollen für Zwecke der Grenzkontrollen automatisiert abgerufen werden können. Als Speicherfrist für Antragsdatensätze sind fünf Jahre vorgesehen. Anders als etwa die nationale AFIS-Datenbank wird die Nutzung der Daten ausschließlich auf aufenthaltsrechtliche Zwecke beschränkt. Dies ändert aber nichts an dem Umstand, dass gegenüber dem Eurodac eine Ausweitung hinsichtlich Datenumfang und Verwendungszusammenhängen erfolgt.

Diese europäischen Planungen gehen manchen Ländern im Bundesrat noch nicht weit genug. Diese forderten, dass VIS umfassend den Ausländerbehörden und den Sicherheitsbehörden  zur Verfügung stehen soll. Wir haben den Vertretern des Landes Schleswig-Holstein dringend geraten, die Ausweitung der Zwecke von VIS, die Zulassung von direkten Abrufmöglichkeiten durch viele weitere Behörden und die Verlängerung der Speicherfrist auf zehn Jahre abzulehnen.

Was ist zu tun?
Bei dem Ausbau ausländerrechtlicher Datenbanken auf europäischer Ebene ist darauf zu achten, dass hierüber keine Diskriminierung von Angehörigen bestimmter Nationalitäten und Gruppen erfolgt, so wie dies auf nationaler Ebene der Fall ist. Die Zweckbindung der Daten ist zu beachten.

 

4.4.2    | Ausländerrechtliche Rasterfahndung  im Klassenzimmer

Nach der Feststellung, dass drei Schülerinnen und Schüler, die in städtischen Schulen unterrichtet wurden, keine Aufenthaltsgenehmigung in Deutschland hatten, forderte eine Ausländerbehörde von allen städtischen Schulen Klassenlisten an, um festzustellen, ob dies nur die Spitze eines Eisbergs sei.

Die Ausländerbehörde wollte die kompletten Klassenlisten nach ausländischen Kindern durchsuchen. Fast alle Schulen lieferten diese Listen prompt, ohne sich Gedanken über die Rechtmäßigkeit der Nachfrage zu machen. Wenige Schulen teilten "nur" die Namen und Adressdaten  ihrer ausländischen Kinder mit. Das anzuwendende Ausländergesetz erlaubt Datenerhebungen ohne Kenntnis der Betroffenen nur im Falle einer konkreten ausländerrechtlichen Maßnahme. Dies setzt jedoch voraus, dass die Daten der Betroffenen der Ausländerbehörde bereits bekannt sind. Die von der Stadt praktizierte Vorgehensweise, die an eine Rasterfahndung  erinnert, sieht selbst das wenig datenschutzfreundliche Ausländerrecht nicht vor. Da mit den Klassenlisten auch die Daten der sich legal in Deutschland aufhaltenden ausländischen Kinder sowie aller deutschen Staatsangehörigen mit übermittelt wurden, wurde zudem gegen den Erforderlichkeitsgrundsatz verstoßen. Daher haben wir sowohl die Anfrage der Ausländerbehörde als auch die Datenübermittlungen der Schulen beanstandet. Die Stadt hat den Fehler eingeräumt und zugesagt, solche Datenerhebungen zukünftig nicht mehr vorzunehmen.

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