24. Tätigkeitsbericht (2002)
4.5 |
Ausländerbereich |
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4.5.1 |
Überblick
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Nach den Terroranschlägen in den USA am 11. September 2001 ist nicht nur im Sicherheitsbereich, sondern auch im Ausländerrecht ein bis dahin ungewohnter politischer Aktionismus zu verzeichnen. Da es sich bei den für die Anschläge verantwortlichen Menschen durchgängig um islamistische Ausländer handelte, meinte man, mit einer Schnellgesetzgebung die offensichtlich bestehenden Defizite bei der Bewertung der Sicherheitslage beheben zu müssen. Dies soll dadurch erreicht werden, dass Ausländerinnen und Ausländer - unabhängig davon, ob sie als Straftatverdächtige oder gefährliche Personen aufgefallen sind - in Datenbanken erfasst und überwacht werden. War es z. B. vor den Anschlägen eine Ausnahme, dass Bayern Einbürgerungswillige ohne konkreten Anlass per Regelanfrage vom Landesamt für Verfassungsschutz auf Verfassungstreue überprüfte, so beeilten sich danach alle Länder verfassungsrechtlich problematische derartige Maßnahmen zu ergreifen.
Das lange vorbereitete Zuwanderungsgesetz, mit dem das bisher als besonderes Polizeirecht angesehene Ausländergesetz zugunsten eines reinen Aufenthaltsrechtes abgelöst werden sollte, musste plötzlich auch eine Sicherheitsfunktion erfüllen. Dabei ist schon die Grundannahme kritisch zu hinterfragen: Was rechtfertigt es für uns Deutsche anzunehmen, von Ausländern gehe eine so hohe Terrorismusgefahr aus, dass sie mit für Deutsche undenkbaren Maßnahmen zu kontrollieren seien? |
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4.5.2 |
Die Fremden - Testfall für den Überwachungsstaat?
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Zum Jahresbeginn 2002 trat das Terrorismusbekämpfungsgesetz in Kraft, das aus verfassungsrechtlicher Sicht gerade im Hinblick auf seine ausländerbezogenen Vorschriften schlicht inakzeptabel ist. Das Grundrecht auf informationelle Selbstbestimmung, der Gleichbehandlungsgrundsatz, das Bestimmtheitsgebot bei gesetzlichen Regelungen und das Asylrecht spielen in diesem Gesetz nicht nur keine Rolle, sondern werden in teilweise grundlegender Weise infrage gestellt.
Im Einzelnen:
Der Bundesrat meinte, dies sei der Sicherheit vor Ausländerinnen und Ausländern noch nicht genug, weshalb er weitere Eingriffe in deren Grundrechte forderte: Bei der Erteilung unbefristeter Aufenthaltstitel sollte gar eine Pflicht zur Regelanfrage bei den Sicherheitsbehörden eingeführt werden. Und Löschungsfristen z. B. nach Einbürgerungen und bei Visaanträgen sollten nochmals um Jahre hochgesetzt werden, weil dies zur Bekämpfung von Ausländerkriminalität unverzichtbar sei. Dass viele dieser Forderungen schließlich nicht Gesetz wurden, ändert nichts an der Gesamteinschätzung, dass mit diesem Gesetz Ausländer unter Sicherheitsaspekten zu Personen zweiter Klasse gemacht werden, deren Recht auf informationelle Selbstbestimmung zur nahezu beliebigen Disposition steht.
Die Konsequenzen dieser Neuregleungen für die Betroffenen können wegen ihrer Vorbildlosigkeit nur erahnt werden. Es ist absehbar, dass viele Menschen schuldlos existenziell geschädigt werden. Von einem Araber, der nach einer Sicherheitsanfrage wegen seiner Nationalität seinen Arbeitsplatz zu verlieren droht, haben wir schon erfahren. Andere Folgen können von der Verweigerung der Visaerteilung und der Einreise über massive polizeiliche Ermittlungsmaßnahmen bis hin zum Risiko der Abschiebung und Ausweisung und der politischen Verfolgung durch den Heimatstaat reichen.
Uns ist nicht erkennbar, wie mit den Regelungen mehr Sicherheit geschaffen werden könnte. Eher scheinen sie dazu geeignet, ein Klima von Angst, Abwehr und Aggression zu schüren, das dem Terrorismus förderlich ist.
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4.5.3 |
Zuwanderungsgesetz - kein Kurswechsel
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Zeitgleich mit dem Terrorismusbekämpfungsgesetz wurde im November 2001 von Bundeskabinett der Entwurf eines Zuwanderungsgesetzes beschlossen. Ersteres wurde im Schnelldurchgang durch das Gesetzgebungsverfahren gebracht; das Zuwanderungsgesetz dagegen kommt nicht voran.
Das ursprünglich erklärte Ziel des Zuwanderungsgesetzes war es, das noch als spezielles Polizeigesetz konzipierte Ausländergesetz durch ein modernes Aufenthaltsrecht zu ersetzen. Es wurde in einer sich globalisierenden Welt unzeitgemäß angesehen, Ausländern pauschal einen Gefahrenverdacht zuzuschreiben, sie dem gemäß zu behandeln und insbesondere auch informationstechnisch als potenzielle Straftäter zu erfassen.
Anspruch und Wirklichkeit können kaum krasser auseinander gehen als in den Entwürfen des Zuwanderungsgesetzes: Sämtliche vorhandenen und durch das Terrorismusbekämpfungsgesetz verschärften Datenverarbeitungsbefugnisse sollen übertragen werden. Durch die Zentralisierung der Ausländerbehörden des Bundes in einem Bundesamt für Migration und Flüchtlinge
soll überdies eine Stelle geschaffen werden, in der gewaltige Massen an Daten sensibelsten Inhalts zusammengeführt werden sollen. Die Datenbestände des bisherigen Bundesamtes für die Anerkennung politischer Flüchtlinge und des Bundesverwaltungsamtes mit dem Ausländerzentralregister sollen unter einem Dach zusammengeführt werden, ohne dass besondere Abschottungsregelungen vorgesehen wären.
Es werden zwar Anpassungen an das 2001 novellierte Bundesdatenschutzgesetz vorgenommen. In einem Punkt werden die europarechtlichen Vorgaben nicht umgesetzt, indem den Betroffenen das Widerspruchsrecht gegen besondere Formen der Datenverarbeitung vorenthalten wird. Damit reiht sich das Zuwanderungsgesetz aus Datenschutzsicht in eine lange Reihe von Gesetzen zur Einschränkung des Datenschutzes für Ausländer ein.
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