21. Tätigkeitsbericht (1999)



4.7

Sozialbereich

4.7.1

Überblick

Als das Bundesverfassungsgericht 1983 im Volkszählungsurteil bereichsspezifische Datenschutzregelungen forderte, bezeichnete es den Sozialdatenschutz als beispielhaft und richtungsweisend. Diese Einschätzung würden sich die höchsten deutschen Richter wohl verkneifen. Zu viele Gesetzgebungs- und tatsächliche Veränderungen sind über diesen Bereich hinweggegangen, als daß man das Sozialgeheimnis noch als das erkennen könnte, was es einmal war. Immer wieder wurden neue gesetzliche Durchbrechungen zugelassen. So wurde z. B. mit dem Asylbewerberleistungsgesetz die Gruppe der Flüchtlinge komplett aus dem Geltungsbereich des Sozialgeheimnisses herausgenommen. Zuletzt erhielt die Polizei den Zugriff auf die Aufenthaltsdaten bei allen Sozialleistungsträgern (dazu Tz. 4.7.3). Grundidee des Sozialgeheimnisses ist es, Hilfsbedürftigen existenzsichernde Leistungen zukommen zu lassen, ohne daß sie deshalb Diskriminierungen oder sonstige schwerwiegende Nachteile befürchten müßten.

Angesichts knapper Kassen ist es ein legitimes Bedürfnis, ungerechtfertigte Sozialleistungen zu vermeiden. Dies führt zwangsläufig dazu, daß die Voraussetzungen für Hilfen penibel geprüft werden. Dies darf aber nicht so weit gehen, daß die Betroffenen einer Totalkontrolle unterworfen werden. Die neuerdings zulässigen Sozialhilfedatenabgleiche lassen nach ersten Ergebnissen darauf schließen, daß es um die Ehrlichkeit der Hilfeempfänger besser bestellt ist als etwa mit der Steuerehrlichkeit. Übermäßige Kontrollen säen nicht nur Mißtrauen und sozialen Neid, sondern sie stellen einen Eingriff in das Recht auf informationelle Selbstbestimmung der Betroffenen dar, da Hilfsbedürftigkeit zumeist einen sehr persönlichen Hintergrund hat, der offengelegt wird. Hier ist Augenmaß angesagt. Das gleiche gilt für die einzelfallbezogene Prüfung der Anspruchsvoraussetzungen.

Im Bereich der Krankenversicherung sind die Abrechnungs- und Kontrollverfahren derart kompliziert geworden, daß sie von kaum jemandem mehr durchschaut werden können. Neben ausufernden Regelungen des fünften Sozialgesetzbuches (SGB) und der allgemeinen Vorschriften des zehnten Buches finden ergänzend noch eine Vielzahl von Vereinbarungen und Regularien der Spitzenverbände, der beteiligten Ministerien und der kassenärztlichen Vereinigungen Anwendung. Diese Regeln sind derart unübersichtlich, daß statt ihrer oft der "gesunde Menschenverstand" zur Anwendung kommt. Da es hier nicht "nur" um Daten, sondern vor allem auch um Geld geht, ist der Streit vorprogrammiert. Bei diesem Streit bleibt dann oft nicht nur das Sozialgeheimnis auf der Strecke, sondern auch die ärztliche Schweigepflicht.

4.7.2

Zum Stellenwert des Sozialgeheimnisses in der AOK Schleswig-Holstein

Von einer gesetzlichen Krankenversicherung muß erwartet werden, daß sie die Regelungen über den Sozialdatenschutz, die vor mehr als 20 Jahren im Sozialgesetzbuch verankert worden sind, strikt beachtet. Bei der AOK Schleswig-Holstein wurden jedoch gravierende Mängel festgestellt und beanstandet.

Einige Prüfungsmaßnahmen entwickeln sich ganz anders, als sie zunächst von uns geplant sind. Ein typisches Beispiel hierfür ist eine im März 1998 gestartete "Nachschau" bei der AOK Schleswig-Holstein. Da es sich bei dieser gesetzlichen Krankenversicherung um eine Körperschaft öffentlichen Rechts mit circa 80 "Lokationen" (Zentraldirektion, Bezirksdirektionen, Geschäftsstellen, Filialen, Außenstellen usw.) und mit insgesamt mehr als 2 500 Mitarbeitern handelt, erhielten die Prüfer den Auftrag, die sozialdatenschutzrechtlichen und die sicherheitstechnischen Gegebenheiten dieses Großunternehmens in einem Arbeitsgang zu durchleuchten.

Um das Ergebnis vorweg zu nehmen: Bis in die tieferen Schichten der Umsetzung des komplizierten Krankenversicherungsrechts nach dem Sozialgesetzbuch V und eines landesweiten Informations- und Kommunikationssystems für 2 500 vernetzte PC und ein Großrechenzentrum in Mecklenburg-Vorpommern sind wir im Verlaufe von fünf Monaten nicht vorgedrungen. Zu groß waren die vorrangig zu behebenden organisatorischen Schwachstellen bei der Gewährleistung des Sozialgeheimnisses und die Sicherheitslücken bei der automatisierten Verarbeitung personenbezogener Daten auf der Arbeitsplatzebene (zum letzteren vgl. Tz. 6.7.1).

Dabei ließ die vom Vorstand erlassene Datenschutz-Dienstanweisung Vorbildliches erwarten. In ihr wird nämlich in einer Art Präambel festgestellt, daß die gewissenhafte Beachtung von Datenschutz und Datensicherheit für die AOK ein sehr wichtiges Instrument sei, um das Vertrauen der Öffentlichkeit, insbesondere der Versicherten, Arbeitgeber und Vertragspartner dauerhaft zu sichern. Sie betrachte die Einhaltung dieser Verpflichtung, auch im Rahmen des Wettbewerbs um die Versicherten bei der Wahl ihrer Krankenkasse, als ein nicht unerhebliches Entscheidungskriterium. Der Datenschutz habe demzufolge einen sehr hohen Stellenwert. Von den Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern wird deshalb gefordert: "Betrachten Sie den Datenschutz nicht länger als lästiges Hemmnis bei den zu verrichtenden Arbeiten, sondern als wesentliches Element des Dienstleistungsauftrages der AOK am Kunden. Der Datenschutz und die Wahrung des Sozialgeheimnisses sind für unsere AOK genauso wichtig wie beispielsweise ein richtiger und zeitnaher Leistungsservice." Die Dienstanweisung enthält circa zwei Dutzend Regelungen, die bezüglich ihrer Zielrichtung und Präzision einem Lehrbuch über Datensicherheit zur Ehre reichen würden.

Welch ein Unterschied aber zu den tatsächlichen Verfahrensweisen! Die Prüfung deckte zum Beispiel die folgenden Mängel auf:

  • In keiner der kontrollierten Geschäftsstellen waren die Diskretionszonen/Wartezonen so ausgelegt, daß es nicht möglich war, Gespräche an den Beraterarbeitsplätzen mitzuhören.

  • Die Akustik in einer neu und mit erheblichem finanziellen Aufwand eingerichteten Geschäftsstelle war so "gut", daß noch aus mehr als 10 Metern Entfernung ein Gespräch zwischen einer normal sprechenden Mitarbeiterin und einer älteren Dame von jedermann mitgehört werden konnte.

  • In vielen Geschäftsstellen wurden die Mitarbeiter in die Situation gebracht, faktisch das Sozialgeheimnis zu verletzen, weil Telefongespräche aufgrund der räumlichen und akustischen Gegebenheiten von anderen Mitarbeitern, wartenden Kunden usw. mitgehört werden konnten. In einer Geschäftsstelle waren derartige Gespräche sogar gleichzeitig in den diagonal gegenüberliegenden Ecken des Raumes wahrnehmbar.

  • Der Abstand der Beratungsplätze zueinander war in fast allen aufgesuchten Geschäftsstellen zu gering. In dieser Beziehung haben in der AOK offenbar keine geeigneten Überlegungen zum Sozialdatenschutz stattgefunden. Anders ist es nicht zu erklären, daß gerade in zwei neu konzipierten Geschäftsstellen die gravierendsten Probleme bestanden. Bezeichnend ist, daß Beraterarbeitsplätze nur noch mit einem Besucherstuhl ausgerüstet wurden. Würden, wie sonst üblich, zwei Besucherstühle vorgehalten, säßen von verschiedenen Sachbearbeitern betreute Versicherte weniger als einen Meter voneinander entfernt.

  • Die von den Leitern der betreffenden Geschäftsstellen genannten Gründe für die von ihnen nicht bestrittenen Defizite bezogen sich in der Regel auf Geld- und Raummangel. Sie waren meistens nicht stichhaltig. Die Großraumbüros waren durchweg so dimensioniert, daß bei einer optimierten Platzausnutzung im nicht vom Publikum genutzten "hinteren Bereich" ausreichend große Wartezonen eingerichtet werden konnten.

  • Die Bildschirme der meisten Arbeitsplatzrechner waren so positioniert, daß sie von den benachbarten Bearbeitungsplätzen, teilweise sogar von den Wartezonen bzw. von außerhalb der Gebäude aus, eingesehen werden konnten. Dies war stets der Fall, wenn Kunden in den hinteren Bereich der Kundenberatungsräume gebeten wurden. Teilweise hatte man von einem Beratungsplatz aus gleich mehrere Bildschirme im Sichtfeld.

  • Die papierenen Unterlagen mit personenbezogenen Daten lagerten in offenen Regalen, in nicht verschließbaren oder in nach Dienstschluß nicht verschlossenen Behältnissen. In einem Fall wurde das Fehlen verschließbarer Behältnisse mit Geldmangel begründet; in der gleichen Geschäftsstelle war jedoch - wozu auch immer - selbst der Arbeitsplatz des Hausmeisters mit einem vernetzten PC ausgerüstet. Das abendliche Abschließen der Schränke scheiterte in einer Geschäftsstelle daran, daß alle Schränke unterschiedliche Schlösser hatten. Der dadurch bedingte Zeitaufwand für das Auf- und wieder Abschließen wurde als unzumutbar angesehen. In einer anderen Geschäftsstelle lagerten ausgerechnet die besonders sensiblen Akten der Pflegekasse, die durchweg ärztliche Gutachten enthalten, in offenen Regalen. Dies war für jeden Besucher erkennbar, da sich oberhalb der Behältnisse das Schild "Pflegeversicherung" befand.

  • Die Gebäude der Geschäftsstellen stellen sich als "offene Häuser" dar. Besucher können sich in ihnen unbegleitet bewegen. Dies wäre nur dann unbedenklich, wenn ausreichende Maßnahmen gegen die unbefugte Kenntnisnahme von Daten durch Dritte getroffen worden wären. Statt dessen waren unverschlossene Türen und Schränke, herumliegende Akten, aktive Bildschirme und übervolle Aktenböcke und Papierkörbe an der Tagesordnung.

  • Bei einer bewußt einige Tage vorher angekündigten Kontrolle in einer Geschäftsstelle nach Feierabend wurde folgende Situation vorgefunden: Schränke waren unverschlossen, so daß auf Mitgliedschaftserklärungen von Versicherten einschließlich der Gesprächsvermerke der Mitarbeiter zugegriffen werden konnte. Die Körbe für den Postein- und -ausgang waren gefüllt und offen zugänglich. In unverschlossenen Karteischränken lagerten Unterlagen über kieferorthopädische Behandlungen einschließlich der entsprechenden ärztlichen Gutachten. Dies war vor dem Hintergrund zu beurteilen, daß die Geschäftsstelle gelegentlich als Wahllokal und einmal wöchentlich der Landesversicherungsanstalt als Beratungsstelle diente. Es wäre überraschend, wenn die Unterlagen zu diesen Zeiten besser gesichert würden als bei einer angekündigten Kontrolle durch den Landesbeauftragten für den Datenschutz.

  • Es konnten keine Unterlagen vorgelegt werden, aus denen ein Konzept für die Vergabe von Zugriffsberechtigungen auf die zentrale Versichertendatenbank abgeleitet werden konnte. Es wurde lediglich erklärt, daß es Zugriffsbegrenzungen gäbe; man sei aber selbst mit dem Ergebnis nicht zufrieden. Dies liege auch an den beschränkten Differenzierungsmöglichkeiten der mehrere Jahre alten Software. Alle Stichproben zeigten, daß stets ein "größtmögliches" Datenprofil bereitgestellt wurde. Maßstab war der "denkbare Sonderfall" und nicht die "zwingende Notwendigkeit" des Alltags. Dies zeigte sich an einem Beispiel aus dem Bereich der Arbeitgeberbetreuung: Damit die Außendienstmitarbeiter in der Lage waren, komplexe Fragen nach der Dauer der Lohnfortzahlung bzw. der Krankengeldzahlung einzelfallbezogen zu beantworten, verfügten alle über den Zugriff auf die Diagnosedaten aller Versicherten im Lande. Sie besprachen also Probleme der Abführung von Sozialversicherungsbeiträgen mit Arbeitgebern und verfügten gleichzeitig über ein umfangreiches Wissen über den Gesundheitsstatus der Belegschaft des betreffenden und aller anderen Unternehmen.

  • Wegen der Entscheidungsfreiheit der Mitglieder bei der Wahl der zu Beratungszwecken aufgesuchten Geschäftsstelle haben grundsätzlich alle Mitarbeiter der AOK einen landesweiten Zugriff auf alle Mitgliederdatensätze. Eine zielgerichtete Protokollierung und eine regelmäßige Auswertung von Protokollierungen erfolgte jedoch nicht. Im Ergebnis wußte niemand, welcher Mitarbeiter wann aus welchen Gründen auf welche Datensätze zugegriffen hatte.

Bei einer derartigen Diskrepanz zwischen Anweisungen und tatsächlichem Verhalten liegt der Schluß nahe, es handele sich um "menschliches Versagen" auf der ausführenden Ebene. In diesem Fall war das Management aber seit zwei Jahren über die Mängel informiert. Die aufgrund der Regelungen des Sozialgesetzbuches X bestellte interne Datenschutzbeauftragte hatte nämlich den Vorstand in ihren jährlichen Berichten im Detail bereits vor unserer Prüfung über viele Unzulänglichkeiten unterrichtet. Abhilfe wurde nicht geschaffen. Wir haben das als einen "erheblichen Mangel" angesehen und gemäß den Bestimmungen des Landesdatenschutzgesetzes hierüber das Ministerium für Arbeit, Gesundheit und Soziales unterrichtet.

Die AOK akzeptierte die ihr gegenüber ausgesprochenen Beanstandungen weitestgehend als berechtigt. Bereits während der Prüfung hat man damit begonnen, die Mängel abzustellen. In einer schriftlichen Stellungnahme ist zugesagt worden, bis Ende September 1999 alle diesbezüglichen Arbeiten zu einem Abschluß gebracht zu haben. In Anbetracht der Bedeutung der aufgezeigten Probleme bat uns die AOK, sie bei der Umsetzung der Vorhaben zu beraten, damit die gesetzlichen Anforderungen sachgerecht und praktikabel erfüllt werden.

Das Sozialministerium als Fachaufsichtsbehörde teilt unsere Bewertungen und hat angekündigt, die Behebung der Mängel zu beobachten.

Was ist zu tun?
Der Vorstand der AOK wird durch aktives Handeln deutlich machen müssen, daß von ihm erlassene Dienstanweisungen tatsächlich umgesetzt werden. Die Defizite bei der Wahrung des Sozialgeheimnisses müssen umgehend beseitigt werden. Wenn hierbei Kosten entstehen, sollten sie als in der Vergangenheit eingesparte Aufwendungen und nicht als "Mehrkosten durch den Datenschutz" angesehen werden.

4.7.3

Sozialbehörden künftig Außenstellen der Polizei?

Lange Zeit galt das deutsche Sozialgeheimnis als vorbildlich. Seit Jahren wird es aber immer mehr eingeschränkt. Den Gipfel bildet eine Gesetzesänderung, die von der Öffentlichkeit fast nicht bemerkt, in einem völlig sachfremden Gesetz, nämlich dem "Ersten Gesetz zur Änderung des Medizinproduktgesetz", versteckt wurde und die die Sozialbehörden zu Außenstellen der Polizei macht.

Bislang durften die Sozialämter und andere Sozialleistungsträger an Polizei, Staatsanwaltschaft, Gerichte und andere Behörden nur Namen, Vornamen, Geburtsdatum, Geburtsort, Anschrift sowie Name und Anschrift des Arbeitgebers übermitteln. Dies war manchen deshalb ein Dorn im Auge, weil der "derzeitige Aufenthaltsort" nicht zum Datenkatalog gehörte. Die Polizei konnte also nicht einfach die Namen von Gesuchten beim Sozialamt hinterlassen, um sich bei deren Auftauchen anrufen zu lassen und diese vernehmen oder festnehmen zu können. Dies war nur bei Verbrechen und sonstigen Straftaten von erheblicher Bedeutung mit richterlicher Anordnung und bei Sozialleistungsbetrug möglich.

Diese Rechtslage führte zu aufgebauschten Schlagzeilen wie: "Sozialdatenschutz ist Täterschutz". Über die Frage, ob jemand Sozialhilfe bekommen darf, nach dem zur gleichen Zeit die Polizei fahndet, kann man durchaus geteilter Meinung sein. Auch über die Reichweite des Richtervorbehalts läßt sich diskutieren. Die nunmehr ohne öffentliche Diskussion verabschiedete Einschränkung des Sozialgeheimnisses geht aber weit über das Akzeptable hinaus:

  • Eine Begrenzung auf die mit Haftbefehl gesuchten Personen wurde nicht vorgenommen. Die Polizei kann sich künftig zur Erfüllung aller ihrer Aufgaben der Sozialämter bedienen. Auch die Suche nach einem Zeugen, die Erstellung von Bewegungsbildern im Rahmen der polizeilichen Beobachtung, der Abgleich von Fotos aus Radarfallen oder auch nur die Observation politisch Verdächtiger durch den Staatsschutz ist möglich. Sobald die Betroffenen bei einem Sozialleistungsträger auftauchen, ist die Polizei telefonisch zu benachrichtigen.

  • Zur Datenübermittlung sind nicht nur Sozial- und Wohngeldämter, die Sozialleistungen bezahlen, sondern sämtliche Sozialleistungsträger verpflichtet. Dazu gehören z. B. die gesetzlichen Krankenkassen, die Rentenversicherungen und die Stellen, die Leistungen für Schwerbehinderte sowie zur Eingliederung Behinderter erbringen. Besonders empörend ist, daß auch die Jugendämter zur Mitfahndung herangezogen werden können, obwohl gerade diese das Vertrauen ihrer Klientel besonders brauchen.

  • Die Polizei kann die genannten Stellen ein halbes Jahr lang (Verlängerung nicht ausgeschlossen) zur Fahndungshilfe nach einer gesuchten Person verpflichten. Überall bei den Sozialämtern, gesetzlichen Krankenkassen usw. können jetzt Fahndungslisten und -dateien entstehen. Zur Sachbearbeitung gehört dann künftig auch der Blick in die "schwarze Liste", der Gang ins Nebenzimmer und der heimliche Anruf bei der Polizei.

Was ist zu tun?
Es muß darauf hingewirkt werden, daß Polizeibehörden, Staatsanwaltschaften und Gerichte keinen überzogenen Gebrauch von der neuen Befugnis machen. Das Vertrauensverhältnis zwischen den Erbringern von Sozialleistungen und ihrer Klientel würde sonst gefährdet.

4.7.4

Wenn das Sozialamt die Kontoauszüge sehen will

Im Rahmen der Überprüfung der Einkommensverhältnisse kann das Sozialamt von Hilfesuchenden die Vorlage von Kontoauszügen fordern. Diese dürfen aber nur in besonderen Ausnahmefällen zur Akte genommen werden. Schwärzungen durch den Antragsteller sind nicht grundsätzlich unzulässig.

Ein Antrag auf Renovierungsbeihilfe wurde vom Sozialamt wegen "fehlender Mitwirkung" abgelehnt, da der Antragsteller sich weigerte, die Kontoauszüge der letzten drei Monate im Original vorzulegen. Er hatte die Beträge und die dazu aufgeführten Texte einzelner Buchungen geschwärzt. Das Sozialamt konnte damit nicht mehr sämtliche Kontobewegungen einzeln nachvollziehen. Es wollte keinerlei Schwärzungen akzeptieren, denn nur so könne festgestellt werden, ob der Hilfesuchende etwas verschweige.

Die gesetzliche Mitwirkungspflicht verlangt von dem Hilfesuchenden, alle für die Leistung erheblichen Tatsachen anzugeben bzw. Nachweise zu erbringen. Wer dieser Mitwirkungspflicht nicht nachkommt, muß damit rechnen, daß die beantragte Leistung versagt wird. Daher ist es grundsätzlich zulässig, wenn die Sozialämter von einem Hilfesuchenden die Vorlage der Kontoauszüge der letzten drei bis sechs Monate fordern, wenn diese Leistungen beantragen, wenn in bestimmten Zeitabständen die persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnisse überprüft werden sollen oder wenn konkrete Fragen zu den Einkommens- und Vermögensverhältnissen des Hilfesuchenden zu klären sind. Sozialämter müssen aber nicht aus Prinzip "alles" wissen.

Unzulässig, weil unverhältnismäßig ist es beispielsweise, von vornherein und ausnahmslos das Schwärzen einzelner Buchungen zu verbieten. Insbesondere Soll-Buchungen bis zu 100 DM sind in der Regel sozialhilferechtlich nicht relevant (z. B. Mitgliedsbeiträge für politische Parteien) und können geschwärzt werden. Es ist auch nicht erforderlich, die vorgelegten Kontoauszüge im Original oder in Kopie zur Akte zu nehmen und damit dauerhaft aufzubewahren. Zumeist genügt ein Vermerk über die Einsichtnahme. Der Hilfesuchende muß über den Zweck der Anforderung wie über sein Recht, einzelne Textpassagen zu schwärzen, informiert werden.

Um eine einheitliche Verfahrenspraxis in Schleswig-Holstein zu gewährleisten, erfolgte in Zusammenarbeit mit dem Sozialministerium eine Unterrichtung der Kreise und kreisfreien Städte, eine Bekanntmachung im Amtsblatt Schleswig-Holstein und deren Veröffentlichung im Internet unter:

www.datenschutzzentrum.de
(Rubrik: Informationen speziell für Behörden)

Was ist zu tun?
Sozialämter müssen die Hilfebedürftigkeit von Antragstellern überprüfen, bei der Anforderung und Auswertung aber Augenmaß bewahren.

4.7.5

Vermieterbescheinigungen für Wohngeldanträge

Mit Vermieterbescheinigungen dürfen nur die nach dem Wohngeldgesetz zur Feststellung des Wohngeldanspruches erforderlichen Daten abgefragt werden. Kann dem Antragsteller aus einem wichtigen Grund die Verwendung eines Vordruckes nicht zugemutet werden, so kann er die erforderlichen Angaben anderweitig belegen.

Eine Wohngeldstelle verlangte grundsätzlich per Formular von den Antragstellern die Vorlage einer vom Vermieter unterschriebenen "Vermieterbescheinigung". In dieser Vermieterbescheinigung wurde u. a. nach Mietrückständen gefragt. Eine Petentin stellte nun in Frage, ob die Angabe von Mietrückständen für die Gewährung von Wohngeld überhaupt erforderlich ist und ob es nicht möglich sei, die erforderlichen Angaben so nachzuweisen, daß der Vermieter nicht über die Wohngeldbedürftigkeit informiert wird.

Das Ministerium für Frauen, Jugend, Wohnungs- und Städtebau des Landes kam ebenso wie wir zu dem Ergebnis, daß die Wohngeldstelle von der Anforderung der vom Vermieter zu unterschreibenden Vermieterbescheinigung absehen kann, wenn die Verwendung dieses Vordruckes den Betroffenen nicht zugemutet werden kann. In diesem Fall sind die erforderlichen Angaben anderweitig nachzuweisen, z. B. durch Vorlage des Mietvertrags, von Bescheinigungen der Versorgungsbetriebe oder von amtlichen Bestätigungen.

Die Angabe von bestehenden Mietrückständen ist für die Feststellung eines Wohngeldanspruches grundsätzlich nicht erforderlich. Nur in Ausnahmefällen, z. B. wenn die Zahlung direkt an den Vermieter erfolgen soll, weil das Wohngeld nicht zur Zahlung der Miete verwendet wird, kann etwas anderes gelten. Die betreffende Wohngeldstelle hat zwischenzeitlich den Vordruck "Vermieterbescheinigung" entsprechend geändert und will die Antragsteller über deren Möglichkeiten, in anderer Form die nötigen Nachweise zu erbringen, informieren.

Was ist zu tun?
Sozialämter müssen es Antragstellern ermöglichen, Bescheinigungen, Belege u. ä. auch in einer Form beizubringen, die Dritten ihre Hilfebedürftigkeit nicht ohne Notwendigkeit offenbart.

4.7.6

Problematische Datenflüsse

Immer wieder stellen sich praktische Fragen nach Umfang und Grenzen des Sozialdatenschutzes. Hier eine Auswahl von Beispielen:

  • Bei Schulden weniger Sozialdatenschutz?

Zur Durchsetzung von öffentlich-rechtlichen Ansprüchen von mindestens 1 000 DM im Einzelfall können von den Sozialbehörden auf Ersuchen Name, Vorname, Geburtsdatum, Geburtsort, derzeitige Anschrift des Betroffenen, derzeitiger und zukünftiger Aufenthalt sowie Namen und Anschriften der derzeitigen Arbeitgeber übermittelt werden, soweit kein Grund zur Annahme besteht, daß dadurch schutzwürdige Interessen des Betroffenen beeinträchtigt werden und wenn das Ersuchen nicht länger als sechs Monate zurückliegt.

Diese Norm im Sozialgesetzbuch eröffnet den öffentlichen Kassen eine Möglichkeit, an Informationen über ihre Schuldner zu gelangen, um die sie so mancher private Geldeintreiber beneidet. Allerdings versuchen die Landesbezirkskassen, diesen Rahmen noch etwas auszudehnen. Mit dem Hinweis, die Auskunft läge doch im Interesse des Kostenschuldners, weil weitere Vollstreckungsmaßnahmen vermieden werden könnten, wollte man z. B. wissen, ob ein Schuldner Sozialhilfe bezieht. Sozialamtsmitarbeiter wurden sogar um eine Beurteilung der wirtschaftlichen Verhältnisse gebeten und aufgefordert, nachzurechnen, ob Teile der Arbeitslosenhilfe bzw. des Arbeitslosengeldes gepfändet werden könnten.

Die angesprochenen Sozialämter bezweifelten zu Recht die Zulässigkeit derartiger Anfragen. Wir haben das Finanzministerium des Landes gebeten, dies gegenüber den Kassen klarzustellen.

  • Der Anruf des Wohngeld-/Sozialamtes beim Arbeitgeber

Weil ein Wohngeldantragsteller keine vollständigen Verdienstbescheinigungen beibrachte, rief der Sachbearbeiter direkt bei dem Steuerbüro des Arbeitgebers an, um die noch fehlenden Angaben zu erfragen. Zwei Wochen nach dem Anruf hatte der Bürger seinen Wohngeldbescheid. Er war allerdings von dieser "unbürokratischen Hilfe" wenig begeistert und sah sich unangenehmen Fragen seines Arbeitgebers ausgesetzt.

Er hatte Recht. Auch wenn der Mitarbeiter des Wohngeldamtes die Antragsbearbeitung nur beschleunigen wollte, so mußte er doch den Grundsatz der vorrangigen Datenerhebung bei dem Betroffenen beachten. Dem obliegt die Pflicht, die für die Leistung erheblichen Tatsachen anzugeben bzw. die erforderlichen Nachweise zu erbringen. Kommt er dieser nicht fristgemäß nach, so kann die beantragte Leistung ganz oder teilweise versagt werden. Um bei dem Arbeitgeber des Antragstellers Daten zu erfragen, hätte der Mitarbeiter des Wohngeldamtes die Einwilligung des Betroffenen einholen müssen.

In einem anderen Fall hatte ein Sozialamt eine Hilfeempfängerin aufgefordert, innerhalb von vierzehn Tagen einen Arbeitsvertrag vorzulegen bzw. Angaben über die Art der ausgeübten Tätigkeit zu machen. Ohne zu warten, erkundigte er sich aber bereits drei Tage später telefonisch bei dem vermeintlichen Arbeitgeber. Der Sachbearbeiter war der Meinung, er habe keine besonders schützenswerten Daten übermittelt. Die Hilfeempfängerin war hierüber empört. Erst durch den Anruf des Sozialamtes hatte der Arbeitgeber nämlich von ihrer problematischen sozialen Lage erfahren - für sie ein denkbar schlechter Neueinstieg ins Berufsleben.

  • Die Amtsarztdiagnose im Sozialamt

Zu den Aufgaben der Kreisgesundheitsämter gehört es, durch amtsärztliche Untersuchungen für Sozialämter festzustellen, ob Hilfeempfänger arbeits- oder berufsunfähig sind oder ob aus gesundheitlichen Gründen ein Anspruch auf Eingliederungshilfen besteht. Strittig ist häufig, ob die Sozialämter die vollständige Diagnose oder nur das Ergebnis einer amtsärztlichen Untersuchung erhalten dürfen. Sozialämter wollen häufig die Diagnosen der Amtsärzte "überprüfen", um über die beantragten Leistungen entscheiden zu können.

Auch Amtsärzte unterliegen der ärztlichen Schweigepflicht. Werden sie im Rahmen des sozialhilferechtlichen Verwaltungsverfahrens als begutachtende Stelle eingeschaltet, so ergibt sich aus der Natur dieses Verfahrens eine begrenzte Übermittlungsbefugnis. Diese beschränkt sich auf das Ergebnis der amtsärztlichen Untersuchung, das ausreicht, um über den Antrag entscheiden zu können. Die Kenntnis der vollständigen Diagnose ist nur in Ausnahmefällen erforderlich. Der Hilfesuchende selbst kann allerdings die vollständige Diagnose jederzeit beim Amtsarzt erfragen bzw. einsehen.

  • Wenn Wohnungsamt und Sozialamt enger zusammenarbeiten als erlaubt

Eine Sozialhilfeempfängerin ließ sich bei ihrem Wohnungsamt in die Liste der Wohnungssuchenden eintragen. Sie war nicht vom Sozialamt aufgefordert worden, sich um kostengünstigeren Wohnraum zu bemühen. Nach der Trennung von ihrem Mann war ihr jedoch die Wohnung zu groß und zu teuer erschienen. Sie wollte also aus eigenem Antrieb Kosten sparen. Das Wohnungsamt bot ihr auch zwei günstige Wohnungen an. Nach einigen Überlegungen lehnte die Hilfeempfängerin jedoch aus persönlichen Gründen diese Angebote ab. Das Wohnungsamt akzeptierte die Ablehnungsgründe nicht und schloß die Hilfeempfängerin für sechs Monate von einer weiteren Wohnungsvermittlung aus. Die Durchschrift dieses Bescheids ging an das Sozialamt. Das Wohnungsamt meinte, es müsse das Sozialamt immer informieren, wenn der Umzug in eine billigere Wohnung abgelehnt wird. Die Hilfeempfängerin befürchtete nun Schwierigkeiten mit dem Sozialamt.

Das Sozialamt benötigte die Angaben über die Ablehnung der Wohnungsangebote nicht. Die Hilfeempfängerin bewohnte eine angemessene Wohnung und war nicht zu einem Umzug aufgefordert worden. Auch gehört es nicht zu den Aufgaben des Wohnungsamtes, pauschal Daten an das Sozialamt zu übermitteln. Die Weitergabe des Bescheides vom Wohnungsamt an das Sozialamt war somit unzulässig. Auf Nachfrage erklärte das Wohnungsamt, die Datenübermittlung sei versehentlich erfolgt. Für dieses Versehen entschuldigte sich das Wohnungsamt bei der Hilfeempfängerin. Das Sozialamt hat die Durchschrift des Bescheides zwischenzeitlich vernichtet.

  • "Schwarze Akte" im Sozialamt

Eine Sozialhilfeempfängerin wußte nicht mehr weiter. Sie berichtete uns, daß sie mit dem für sie bislang zuständigen Sozialamt stets große Schwierigkeiten hatte. Sie hoffte nach einem Umzug also auf einen Neubeginn in dem nunmehr zuständigen Sozialamt. Um so größer war jedoch ihr Erstaunen, als sie in der neuen Gemeinde die gleichen Schwierigkeiten bekam. Schon bald merkte sie, daß man dort über Informationen verfügte, die man nur von dem zuvor zuständigen Sozialamt hatte erfahren können und die zudem in keinem Zusammenhang mit der Sozialhilfegewährung standen. So war sogar bekannt, wo sie vor drei Jahren Urlaub gemacht hatte.

Anläßlich eines Ortstermines mußten wir Erstaunliches feststellen. Die Mitarbeiterin des Sozialamtes hatte die komplette Sozialhilfeakte der zuvor zuständigen Gemeinde angefordert und vollständig - ca. 600 Seiten - kopiert. Auf die Nachfrage, ob dieses denn erforderlich sei, bekamen wir die Antwort: "Naja, eigentlich brauchen wir nicht alle Seiten, aber die alte Gemeinde bzw. der Kreis hat uns vorgewarnt, daß es sich hier um einen besonders schwierigen Fall handeln würde. Wir sollten genau aufpassen, was wir sagen, da sich die Hilfeempfängerin alles merkt und dann das Sozialamt schlecht macht." Unter den Kopien befanden sich ärztliche Atteste, Gutachten des Medizinischen Dienstes, ein Scheidungsurteil, Unterhaltsvereinbarungen, alte Mietverträge und Stellungnahmen des Diakonischen Werkes aus den letzten Jahren. Besonders problematisch war die Aufbewahrung der Kopien in einem unbeschrifteten Extraordner, der in einem offenen Regal im Büro der Sachbearbeiterin stand.

Das Führen der "schwarzen Akte" stellte in mehrfacher Hinsicht einen Verstoß gegen den Sozialhilfedatenschutz dar. Die Übermittlung einer vollständigen Akte zwischen Trägern der Sozialhilfe ist nur dann zulässig, wenn alle in dieser Sozialhilfeakte enthaltenen Sozialdaten für die Sozialhilfegewährung bei dem nunmehr zuständigen Sozialamt erforderlich sind. Davon konnte hier keine Rede sein. Zudem ist auch die Speicherung von Sozialdaten nur im Rahmen der Erforderlichkeit zulässig. Auch dies war nicht der Fall. Alle Sozialdaten, die zu Recht gespeichert werden, sind Gegenstand des Verwaltungsverfahrens. Sie unterliegen dem Sozialgeheimnis, der Betroffenen ist auf Antrag Auskunft zu erteilen. Eine "schwarze Akte" vorzuhalten, von der die Betroffene nichts wußte, die aber bei Bedarf gegen sie verwendet wurde, stellte einen schweren Datenschutzverstoß dar. Auf unsere Beanstandung hin wurde die Akte vernichtet.


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