17. Tätigkeitsbericht (1995)



4.7

Sozialwesen

4.7.1

Überprüfungsbogen "Wohn- und Wirtschaftsgemeinschaft" revidiert

Neugierige Fragen nach der Nutzung des Schlafzimmers wollen die Behörden in Schleswig-Holstein im Zusammenhang mit der Gewährung von Sozialhilfeleistungen künftig nicht mehr stellen.

Im letzten Tätigkeitsbericht (16. TB, Tz. 4.6.1) hatten wir über unzulässige Fragen in einem in Schleswig-Holstein gebräuchlichen Überprüfungsbogen zur "Wohn-und Wirtschaftsgemeinschaft/eheähnliche Gemeinschaft" berichtet und dargestellt, daß wir in einem Teil der in den Formularen enthaltenen Fragen für unzulässig halten.

In diesem Zusammenhang hat das Bundesverfassungsgericht sogar ausdrücklich die Verpflichtung der Gerichte betont, Rechtsschutz zu gewähren, wenn es die Ämter "an dem gebotenen Respekt vor der Intimssphäre" des Bürgers fehlen lassen (BVerfGE 87, 234, 269). Die Annahme, es liege eine eheähnliche Gemeinschaft vor, setze nicht die behördliche Feststellung voraus, daß zwischen den Partnern geschlechtliche Beziehungen bestehen.

Angesichts dieser höchstrichterlichen Rechtsprechung haben wir gefordert, auf Fragen aus dem Intimbereich zu verzichten und sich auf die auch vom Bundesverfassungsgericht als Indizien für das Vorliegen einer eheähnlichen Gemeinschaft genannten Aspekte zu beschränken:

  • Die Dauer des Zusammenlebens,

  • die Versorgung von Kindern und Angehörigen im gemeinsamen Haushalt,

  • die Befugnis, über Einkommen und Vermögensgegenstände des anderen zu verfügen.

Als nicht erforderlich und daher unzulässig haben wir das Abfragen von privaten Verhaltensweisen, die im Zweifel kaum überprüfbar und damit auch nicht justitiabel sind, bezeichnet. Im einzelnen handelt es sich dabei um Auskünfte darüber

  • wer die Räume pflegt, einkauft, kocht, bügelt, Geschirr und Wäsche wäscht und einsortiert,

  • ob gemeinsam gegessen, ferngesehen, Zeitung gelesen oder ins Kino gegangen wird.

Die Erörterung, ob eine mehr oder weniger gemeinsame Lebensgestaltung vorliegt, kann in einer individuellen Einzelbefragung oder Beratung Sinn machen, erscheint jedoch untauglich für ein routinemäßiges Abfragen per Formular.

Unsere Bemühungen haben folgendes ergeben:

Die Mehrzahl der Landkreise und kreisfreien Städte wird die Fragebögen entsprechend unseren Vorstellungen überarbeiten bzw. auf die formularmäßige Befragung gänzlich verzichten und nur noch eine auf den individuellen Einzelfall bezogene Datenerhebung vornehmen. Zwei Kreise wollen die künftige Verfahrensweise erst auf der nächsten Arbeitstagung der Wohngeldsachbearbeiter erörtern. Ein Kreis hat uns zwar mitgeteilt, er werde künftig nicht mehr nach der gemeinsamen Nutzung des Schlafzimmers fragen, jedoch gleichzeitig geltend gemacht, die Verwaltungsgerichte legten Wert auf Auskünfte, die für sich genommen "nichtssagend" erschienen. Angesichts der "Realität des Alltags" in den Sozialämtern stoße es auf Unverständnis, wenn es dem Antragsteller überlassen bleiben solle, inwieweit er Einblick in seine Privatsphäre geben wolle.

Wir werden uns durch weitere Nachprüfungen ein Bild verschaffen, ob durch eine neue Verfahrensweise tatsächlich die Intimsphäre von Antragstellern für den Wohngeldbezug besser respektiert wird.

4.7.2

Angaben zur Sozialhilfe auf Überweisungsträgern

Auch im Zahlungsverkehr mit den Banken ist das Sozialgeheimnis zu wahren. Auf Überweisungsträgern darf kein Hinweis auf Sozialhilfe erscheinen.

Bereits in der Vergangenheit hatten wir uns wiederholt mit der Frage zu beschäftigen, ob die Sozialleistungsträger auf ihren Überweisungen im Feld "Verwendungszweck" Angaben wie z.B.: "Sozialhilfe gemäß Bescheid vom ... AZ: ..." machen dürfen. In solch einem Fall wird das Sozialgeheimnis verletzt, weil die Bank ohne Not erfährt, daß der Kunde ein Sozialhilfeempfänger ist. Vielen Menschen war dies derart unangenehm, daß sie sich an uns gewandt oder vereinzelt sogar Gerichtsverfahren angestrengt haben, um diese Hinweise zu unterbinden. Auch wir haben stets darauf gedrungen, daß möglichst überhaupt kein entsprechender Hinweis auf dem Überweisungsträger erscheint.

Die Leistungsträger haben die Kennzeichnung ihrer Zahlungen deshalb für unverzichtbar gehalten, weil Sozialleistungen nicht gepfändet werden dürfen. Sei die Überweisung entsprechend gekennzeichnet, könne bereits die Bank überwiesene Beträge sofort für sich behalten, wenn ein Kunde seine Schulden nicht pünktlich zurückzahle, oder ein anderer Gläubiger das Geld pfänden. Dies sei jedoch dann ausgeschlossen, wenn die Zahlung schon der Bank gegenüber unmißverständlich als "Sozialleistung" ausgewiesen werde. Unsere Auffassung wurde nunmehr vom Bundesverwaltungsgericht bestätigt. Das Gericht hält eine routinemäßige "Offenbarung" gegenüber einem Geldinstitut im Hinblick auf den genannten Pfändungsschutz nicht für erforderlich. Es sei allein Sache des Hilfeempfängers, sich für den Pfändungsschutz zu entscheiden und zu diesem Zweck der Offenbarung des Bezuges von Sozialleistungen zuzustimmen.

Die Hilfeempfänger sind also künftig darüber zu informieren, daß sie ihr Geldinstitut selbst (evtl. durch Vorlage des Bescheides) auf den Pfändungsschutz aufmerksam machen können. In anderen Bundesländern wird bereits seit längerer Zeit so verfahren, ohne daß Beschwerden bekannt geworden sind.

4.7.3

Sozialdatenschutz beim Publikumsverkehr

Der Schutz des Sozialgeheimnisses muß auch im Rahmen des behördlichen Publikumsverkehrs beachtet werden. Die Möglichkeit von Einzelgesprächen muß vorgesehen und den Bürgern auch tatsächlich angeboten werden.

Petenten teilten uns mit, daß es in der Sozialstation einer Stadt immer wieder zu gravierenden Verstößen gegen den Datenschutz komme. Es würden gleichzeitig mehrere Personen im gleichen Raum abgefertigt. Da es um die Bearbeitung von Sozialleistungsanträgen gehe, müßten die Besucher teilweise sehr persönliche Angaben zu ihren Einkommens-, Vermögens- und Wohnverhältnissen machen. Die Petenten empfanden es als äußerst unangenehm, daß Dritte ihre sensiblen personenbezogenen Daten zur Kenntnis nehmen konnten. Da die Offenbarung dieser Daten jedoch Voraussetzung für den Bezug von Leistungen war, sahen sie keine Möglichkeit, sich zur Wehr zu setzen.

Nachdem wir die betroffene Kommune darauf aufmerksam gemacht hatten, daß es sich bei der geschilderten Vorgehensweise um eine eindeutige Verletzung des Sozialgeheimnisses handele, teilte sie uns mit, die räumlichen und personellen Verhältnisse hätten vorübergehend keine andere Sachbehandlung zugelassen. Durch Personalabbau werde jedoch künftig jeder Mitarbeiterin bzw. jedem Mitarbeiter ein Büro für die Beratung von Besuchern zur Verfügung stehen.

Nach dem Sozialgesetzbuch haben die Sozialleistungsträger die technischen und organisatorischen Maßnahmen einschließlich der Dienstanweisungen zu treffen, die erforderlich sind, um die Ausführung der Vorschriften des Sozialgesetzbuches zu gewährleisten. Zur Gewährleistung des Sozialgeheimnisses sind die Behörden verpflichtet, sicherzustellen, daß unbefugte Dritte keinen Zugang zu Sozialdaten haben. Dies bedeutet auch, daß zu gewährleisten ist, daß in diesem sensiblen Bereich eine Einzelabfertigung der betroffenen Bürger erfolgt.

Dies hat die Stadt für Zukunft zugesagt.Sie wurde von uns aufgefordert, jeden Besucher im Sozialzentrum auf die Möglichkeit der Einzelabfertigung hinzuweisen.


Zurück zum vorherigen Kapitel Zum Inhaltsverzeichnis Zum nächsten Kapitel