17. Tätigkeitsbericht (1995)



4.6

Wirtschaft, Technik und Verkehr

4.6.1

Datenschutzrechtliche Mängel bei Führerscheinstellen

Bei vielen Führerscheinstellen werden belastende Informationen über Jahrzehnte aufbewahrt, auch wenn sie durch Aktenrückhalt nicht mehr belegt werden können und im Bundes- und Verkehrszentralregister längst gelöscht sind. Auch im übrigen bedarf die Datenverarbeitungspraxis in diesen Stellen dringend der datenschutzrechtlichen Revision.

Ausgelöst durch Eingaben und die Diskussion um die Änderung des Straßenverkehrsgesetzes (STVG) aufgrund der Zweiten EG-Führerschein-Richtlinie haben wir drei Führerscheinstellen überprüft. Es wurde festgestellt, daß die Umsetzung der rechtlichen Vorgaben des StVG und der Straßenverkehrszulassungsordnung (StVZO) insbesondere im Bereich der Fahrerlaubnisentziehung große Unterschiede aufwies. Dies hängt offenbar mit der mangelnden Rechtsklarheit der Straßenverkehrsvorschriften zusammen.

Über die Jahre ist eine Fülle von Verwaltungsvorschriften ergangen, die teilweise in Vergessenheit gerieten, aber nie außer Kraft gesetzt wurden. Den Mitarbeitern einer Führerscheinstelle war beispielsweise ein Erlaß aus dem Jahre 1974, der die Aufbewahrungsfristen für Akten über Fahrerlaubnisentziehungen regelt, überhaupt nicht bekannt.

Im einzelnen haben wir folgende Feststellungen getroffen:

  • Keine Gnade für Verkehrssünder?

    Strafurteile, Bußgeldbescheide und Auszüge aus den zentralen Registern werden teilweise noch Jahrzehnte nach der Löschung im Bundeszentralregister und dem Verkehrszentralregister noch bei den Führerscheinstellen in Akten aufbewahrt.

    So fanden sich z.B. in einer Fahrerlaubnisakte Urteile nebst voller Begründung aus den Jahren 1965 und 1969, mit denen Verkehrsverstöße geahndet wurden, obwohl nach dem im Oktober 1987 vom Bundeszentralregister ausgestellten Führungszeugnis diese Delikte dort nicht mehr gespeichert waren.

    Eine andere Akte enthielt Vorgänge aus den Jahren 1957 und 1968 mit sensiblen Daten über den Gesundheitszustand des Betroffenen, dem 1968 die Fahrerlaubnis entzogen wurde mit der Möglichkeit, ab 1969 einen Antrag auf Wiedererteilung zu stellen. Im Jahre 1983 beantragte der Betroffene die Neuerteilung der Fahrerlaubnis. Der Antrag wurde von ihm jedoch 1984 zurückgezogen. Danach erfolgte kein weiterer Schriftwechsel.

    Wir haben die unbegrenzte Speicherung derartiger Sachverhalte nach Ablauf der Tilgungsfristen im Bundeszentralregister (BZR) und im Verkehrszentralregister (VZR) beanstandet, da nicht mehr zur Aufgabenerfüllung erforderliche personenbezogene Daten nach dem LDSG zu löschen sind.

    Zur Begründung für die dauerhafte Speicherung von Straßenverkehrsvergehen wurde eine Bestimmung im Bundeszentralregistergesetz herangezogen. Danach kann eine frühere Entscheidung in einem Verfahren, das die Erteilung oder Entziehung einer Fahrerlaubnis zum Gegenstand hat, berücksichtigt werden kann, wenn die Verurteilung in das Bundeszentralregister einzutragen war. Die Frage, ob z.B. ein 20 Jahre zurückliegendes Vergehen im Straßenverkehr tatsächlich noch zu Lasten des Antragstellers berücksichtigt würde, wurde jedoch von den geprüften Stellen verneint. Die Erforderlichkeit einer längeren Datenspeicherung konnte nicht überzeugend begründet werden.

    Zu berücksichtigen ist hier überdies der Resozialisierungsgedanke, der verfassungsrechtliche Wurzeln hat und für den Bereich der Verkehrsdelikte nicht weniger bedeutsam als für das übrige Strafrecht ist.

  • Speicherung personenbezogener Daten ohne Aktenbeleg

    Zu kritisieren waren auch Speicherungen in der Führerscheindatei. Hier wurden auch lange nach Vernichtung der entsprechenden Aktenvorgänge z.B. immer noch Hinweise darauf gespeichert, daß eine Fahrerlaubnis wegen Trunkenheit im Straßenverkehr entzogen worden war.

    Nicht selten fanden sich Aufzeichnungen über Delikte aus den 60er Jahren. Auch dies wurde beanstandet, weil gerade bei ausschließlich elektronischer Datenspeicherung jederzeit die Herkunft der Daten und der Zweck ihrer Speicherung feststellbar sein müssen.

  • Sinnlose Datenspeicherung

    Bei einer Führerscheinstelle lag ein besonderes Beispiel an sinnlosen Datenspeicherungen vor. Dort hatte man über Jahre hinweg in einem freien Datenfeld ein "E" als Kürzel entweder für die Entziehung einer Fahrerlaubnis oder die Erteilung eines Ersatzführerscheines gespeichert. Je nach Häufigkeit der Vorfälle konnte festgestellt werden, daß bis zu drei "E" bei Betroffenen vermerkt worden waren.

    Die so gespeicherten Daten konnten nicht durch Akten belegt werden. Sie lassen nur noch Vermutungen zu, ob es sich dabei um Entziehungen oder Ersatzführerscheine gehandelt haben könnte. Solche Daten führen fast zwangsläufig zur Gefahr von Fehlinterpretationen. Da sie nicht mehr zu deuten sind, sind sie für die verarbeitende Stelle nicht mehr verwendbar und damit auch nicht mehr erforderlich. Sie müssen gelöscht werden.

    Wir haben überdies empfohlen, den Inhalt und Umfang der Eingaben in Freitextfelder in einer Dienstanweisung festzulegen, damit sichergestellt werden kann, daß der Inhalt der Daten auch bei Bearbeiterwechsel nachvollziehbar bleibt.

  • Wie leicht man in Rechtfertigungszwang geraten kann

    Welche Auswirkungen eine dauerhafte Speicherung von Daten haben kann, hat der Fall eines Fahrerlaubnisinhabers gezeigt, der sich mit einer Eingabe an uns gewandt hatte. Fast zehn Jahre schlummerten seine Daten im Computer der Führerscheinstelle, bevor sie dann wirklich zu Schwierigkeiten führten.

    Der Verlust des Führerscheines des Petenten brachte es an den Tag. Als dieser im Mai 1994 zu seiner Führerscheinstelle ging, um einen Ersatzführerschein zu beantragen, wurde ihm mitgeteilt, daß er gar keine Fahrerlaubnis besitze. Denn nach "Auskunft der automatisierten Datei" habe man ihm diese wegen des Verdachts einer Trunkenheitsfahrt im November 1984 abgenommen. Zur Untermauerung wurde ihm der Beschluß des Amtsgerichts vom 27.11.1984 über die vorläufige Entziehung vorgelegt.

    Den Beteuerungen des Petenten, daß er deswegen Mitte 1985 freigesprochen und ihm damals am Ende der Hauptverhandlung sein Führerschein wieder ausgehändigt worden sei, wurde kein Glaube geschenkt. Er wurde lapidar aufgefordert, das Urteil über die Aufhebung der vorläufigen Entziehung vorzulegen, ansonsten bekäme er keinen Ersatzführerschein. Im Besitz des freisprechenden Urteils war der Petent jedoch nicht mehr. Als Straftäter abgestempelt, der fast zehn Jahre "ohne gültige Fahrerlaubnis" gefahren sei, wandte er sich empört an uns.

    Bei unseren Nachprüfungen stellten wir fest, daß außer einer Karteikarte mit dem Beschluß der vorläufigen Entziehung und der Speicherung des Vermerks über die Sicherstellung in der automatisierten Datei kein weiteres Aktenmaterial vorhanden war.

    Nach dem LDSG hätte die speichernde Behörde von sich aus tätig werden müssen, als von dem Petenten die Unrichtigkeit der Daten behauptet wurde. Wenn weder die Richtigkeit noch die Unrichtigkeit gespeicherter Daten nachzuweisen ist, so müssen diese gesperrt und dürfen nicht gegen den Betroffenen verwandt werden. Somit hätte dem Petenten eine Ersatzfahrerlaubnis ausgestellt werden müssen.

    Statt dessen wurde ihm aufgetragen, einen Nachweis über seinen Freispruch beizubringen. Selbst der Umstand, daß die vorläufige Entziehung schon fast zehn Jahre alt war und längst durch ein Urteil hätte bestätigt oder verworfen sein müssen, machte den Sachbearbeiter nicht nachdenklich.

    Erst durch eine Ablichtung des Urteils, die wir bei der Staatsanwaltschaft erhielten, konnten wir die letzten Zweifel bei der Führerscheinstelle ausräumen. Die Daten wurden korrigiert und der Petent ist inzwischen im Besitz seines Ersatzführerscheines.

    Bei dieser Gelegenheit stellten wir fest, daß das zuständige Amtsgericht es versäumt hatte, die Führerscheinstelle über den Freispruch in Kenntnis zu setzen. Dieser Umstand befreite die Führerscheinstelle aber nicht von der Pflicht, spätestens als der Petent einen Ersatzführerschein beantragte, selbständig Nachforschungen anzustellen und die Richtigkeit der gespeicherten Daten zu überprüfen.

  • Jeder Führerscheinentzug führt zu einer Meldung an die Polizei - "das haben wir immer so gemacht"?

    Im Rahmen unserer Überprüfungen haben wir außerdem festgestellt, daß die Führerscheinstellen regelmäßig Mitteilungen über entzogene Fahrerlaubnisse an die zuständigen Polizeiinspektionen geben. In den Straßenverkehrsvorschriften fand sich für diese Datenübermittlungen keine Regelung. Auch auf die Vorschriften des Landesverwaltungsgesetzes konnten die Übermittlungen nicht gestützt werden, da eine im Einzelfall konkret bevorstehende Gefahr für die öffentliche Sicherheit nicht mehr vorlag. Nachforschungen bei der Polizei ergaben auch erhebliche Zweifel an der Erforderlichkeit der Datenübermittlung. Denn häufig sind die Zuständigkeitsbereiche der Polizeireviere so groß, daß die Polizeibeamten sich die Daten der von den Führerscheinstellen "gemeldeten" Personen nicht merken können. Die Mitteilungen werden z.B. in einem Polizeirevier zwar den Beamten jeweils zur Kenntnis gegeben, danach aber abgeheftet und in regelmäßigen Abständen vernichtet.

    Für die praktische Polizeiarbeit, so wurde uns von der Polizei mitgeteilt, seien diese Mitteilungen nur in wenigen Einzelfällen hilfreich. Deshalb wurden diese Datenübermittlungen beanstandet.

  • INPOL-Fahndung nach entzogenen Führerscheinen

    Des weiteren stellten wir fest, daß Daten von Führerscheininhabern, deren Fahrerlaubnis z.B. wegen gesundheitlicher Bedenken oder charakterlicher Mängel entzogen worden war, in die polizeiliche Fahndungsdatei eingegeben wurden, wenn der betreffende Führerschein nicht abgeliefert wurde.

    Das eigentliche verwaltungsrechtliche Zwangsverfahren, wurde zwar eingeleitet, aber nicht weiter verfolgt. Das Zwangsgeld, so bekamen wir als Auskunft, werde nur "pro forma" angedroht, aber nicht festgesetzt, da die Beitreibung von Zwangsgeldern fast nie erfolgreich sei. Die Eingabe der Daten in die INPOL-Datei bringe für die Führerscheinstelle weniger Arbeit, verspreche aber mehr Erfolg.

    Auf diesem Wege werden entzogene Fahrerlaubnisse bundesweit zusammen mit Daten, die der Fahndung nach Schwerverbrechern dienen, gespeichert. So können sogar hochsensible Daten in das INPOL-System gelangen. In einem Fall wurde von der Führerscheinstelle im Ausschreibungsformular der Hinweis "BTM-Konsument" angekreuzt und demgemäß in der Fahndungsdatei gespeichert, obwohl dies mit der Suche nach einem Führerschein beim besten Willen nichts zu tun hatte. Rechtsgrundlagen fürdieses Verfarhen konnten uns nicht genannt werden.

    Gründe der Praktikabilität vermögen eine Maßnahme wie die bundesweite Fahndungsausschreibung schon unter Verhältnismäßigkeitsgesichtspunkten nicht zu rechtfertigen. Wir haben auch dieses Verfahren beanstandet.

  • Altkartei und EDV

    Die Tatsache, daß eine Fahrerlaubnis erteilt worden ist, wird bei allen Führerscheinstellen in automatisierten Dateien gespeichert. Nur wenige Führerscheinstellen im Lande Schleswig-Holstein arbeiten noch mit manuellen Karteien.

    Da jedoch bei der Umstellung von den Karteikarten auf die automatisierte Speicherung massive Eingabefehler durch ungeschulte Aushilfskräfte vorgekommen waren, wurden die Altkarteien, die zwar nicht mehr mit den automatisiert gespeicherten Daten übereinstimmten, zur gelegentlichen Fehlerkorrektur aufbewahrt. Diese doppelte Datenhaltung wurde von uns beanstandet. Die Führerscheinstellen wurden aufgefordert, innerhalb eines kurzen Zeitraumes die elektronisch gespeicherten Daten zu überprüfen und die manuellen Altkarteien zu vernichten.

    Sie machen allerdings geltend, daß eine Fehlerbereinigung und anschließende Vernichtung der Altkarteien innerhalb eines halben Jahres aus personellen und finanziellen Gründen nicht möglich sei. Falsche Sparsamkeit in der Vergangenheit, nämlich der Einsatz mangelhaft geschulten Personals für die Datenerfassung, hat hier wie auch in anderen Fällen höhere Kosten zur Folge.

Fazit

Die Ergebnisse unserer Prüfungen wurden mit dem Ministerium für Wirtschaft, Technik und Verkehr erörtert. Es wurde weitgehende Übereinstimmung in der datenschutzrechtlichen Beurteilung erzielt. Bis zur Einführung der geplanten Fahrerlaubnisverordnung im Zuge der Umsetzung der Zweiten EG-Führerschein-Richtlinie beabsichtigt das Ministerium den Führerscheinstellen in einem Erlaß klare Vorgaben für die Datenverarbeitung in diesem Bereich zu geben.

Das Ergebnis der Prüfung zeigt auch, daß es dringend geboten ist, die geplante Fahrerlaubnisverordnung des Bundes präzise zu fassen, um sicherzustellen, daß wirklich nur solche Informationen gespeichert werden, die für die Verkehrsverwaltung erforderlich sind. Im Hinblick darauf, daß in den Verfahrensakten oft besonders sensible medizinisch-psychologische Gutachten, die auch intimste Details über Betroffene enthalten können, gespeichert werden, sind die Vorgaben so klar zu gestalten, daß sie auch durch die Führerscheinstellen vor Ort umgesetzt werden können.

Durch eine geprüfte Führerscheinstelle wurde demonstriert, daß es auch bei der derzeitigen Rechtslage anders geht und daß auch ohne langjährige und umfassende Datenspeicherungen erfolgreiche Verwaltungsarbeit geleistet werden kann. Sie zeichnete sich durch eine Aktenhaltung aus, die ausschließlich aktuelle und zeitnahe Unterlagen enthielt. Hier wurde schon seit Jahren praktiziert, was wir jetzt auch von den anderen Führerscheinstellen verlangt haben, nämlich nur die wirklich für das Verwaltungsverfahren erforderlichen personenbezogenen Daten zu verarbeiten und die Tilgungsfristen der Strafregister zu beachten. Derzeit wird in dieser Führerscheinstelle auch ein automatisiertes Verfahren eingeführt, welches es erleichtert, zu vernichtende Vorgänge herauszufinden und zeitnah auszusondern.

4.6.2

Was bei der Weitergabe von Führerscheinakten an medizinische Gutachter zu beachten ist

Vor Einverständniserklärungen für medizinisch-psychologische Eignungsuntersuchungen nach der Straßenverkehrs-Zulasssungsordnung müssen Betroffene über die Verarbeitung ihrer personenbezogenen Daten aufgeklärt werden.

Die Vordrucke für die Erteilung des Einverständnisses eines Führerscheinbewerbers gegenüber der Führerscheinstelle zur Durchführung ärztlicher oder medizinisch-psychologischer Gutachten sind inhaltlich unterschiedlich und bei Anlegung datenschutzrechtlichen Maßstäbe unzureichend. In Gesprächen mit dem Ministerium für Wirtschaft, Technik und Verkehr haben wir Verbesserungen erreicht.

Die Betroffenen werden künftig gezielt darauf hingewiesen, daß sie vor Übersendung der Verwaltungsunterlagen an die Gutachterstelle das Recht haben, Einsicht in die für die Untersuchung erforderlich gehaltenen Unterlagen zu nehmen. Darüber hinaus können sie gegenüber der Verkehrsbehörde auf ihrer Meinung nach sachfremde Angaben hinweisen. Dies ist von der Verkehrsbehörde schriftlich festzuhalten. Damit sind drei Ziele erreicht: Zunächst wird der Betroffene umfassend über seine Rechte aufgeklärt. Er kann darüber hinaus Inhalt und Umfang der Informationen, die an die Gutachterstelle weitergeleitet werden, erkennen. Schließlich erhält er durch die Möglichkeit, Einwendungen gegen Inhalt und Umfang der zu übersendenden Verwaltungsvorgänge schriftlich bei der Verkehrsbehörde festhalten zu lassen, eine bessere Ausgangsposition in evtl. von ihm betriebenen Widerspruchs- und Klageverfahren.


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