4.2          Polizei und Verfassungsschutz

4.2.1       Gefahrengebiete auch in Schleswig-Holstein

Im Berichtszeitraum hat sich das ULD mit der Regelung im Landesverwaltungsgesetz zur Ausweisung von und zu polizeilichen Kontrollen in Gefahrengebieten befasst. In einem Gefahrengebiet darf die Polizei Personen anhalten und Fahrzeuge in Augenschein nehmen. Gegenüber dem Landtag hat das ULD eine Stellungnahme zu einem Gesetzentwurf der Fraktion der PIRATEN (Landtagsdrucksache 18/1995) abgegeben, der auf eine Abschaffung der Gefahrengebiete abzielte. Eine vollständige Abschaffung der Befugnis zur Ausweisung von Gefahrengebieten und zur Durchführung von Polizeikontrollen in diesen Gebieten sieht das ULD nicht als verfassungsrechtlich zwingend geboten an. Für eine verhältnismäßige Ausgestaltung der Norm haben wir jedoch Einschränkungen und Präzisierungen der Befugnisnorm empfohlen. Diese sind nun durch einen Vorschlag der Fraktionen von SPD und BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie der Abgeordneten des SSW umgesetzt worden (Landtagsumdruck 18/6941). Im Einzelnen handelt es sich um folgende Änderungen:

Gefahrengebiet

Die sogenannten Gefahrengebiete sind in § 180 Abs. 3 Landesverwaltungsgesetz Schleswig-Holstein geregelt:
„Die Polizei darf im öffentlichen Verkehrsraum zur vorbeugenden Bekämpfung von Straftaten von erheblicher Bedeutung, bei denen Schaden für Leib, Leben oder Freiheit oder gleichgewichtiger Schaden für Sach- oder Vermögenswerte oder die Umwelt zu erwarten sind, Personen kurzzeitig anhalten und mitgeführte Fahrzeuge einschließlich deren Kofferräume oder Ladeflächen in Augenschein nehmen. Maßnahmen nach Satz 1 werden [...] angeordnet, soweit Tatsachen, insbesondere dokumentierte polizeiliche Lageerkenntnisse, dies erfordern, weil sie auf einen Kriminalitätsschwerpunkt hindeuten und anzunehmen ist, dass eine Gefahr für die öffentliche Sicherheit vorliegt. In [...] Anordnung ist die Maßnahme in örtlicher, sachlicher und zeitlicher Hinsicht auf den für die vorbeugende Bekämpfung der in Satz 1 aufgeführten Kriminalität erforderlichen Umfang zu beschränken. Die Anordnung soll vorab in geeigneter Weise bekannt gemacht werden, es sei denn, ihr Zweck wird dadurch gefährdet. Die Anordnung ist zunächst auf maximal 28 Tage zu befristen. [...]“

  • Die vorherige Formulierung „Tatsachen, insbesondere dokumentierte polizeiliche Lageerkenntnisse“ hat das ULD als missverständlich kritisiert. Der Begriff „Lageerkenntnisse“ umfasst sprachlich nicht nur Tatsachen. Das ULD hat eine Präzisierung empfohlen, um eine andere Auslegung zweifelsfrei auszuschließen. Außerdem hat das ULD empfohlen, die Anforderungen an den Zusammenhang zwischen den Tatsachen und den in § 180 Abs. 3 Satz 1 Landesverwaltungsgesetz (LVwG) genannten Schutzgütern deutlicher festzulegen. Die nunmehr geltende erweiterte Formulierung trägt diesen Empfehlungen Rechnung: „[...] soweit Tatsachen, insbesondere dokumentierte polizeiliche Lageerkenntnisse, dies erfordern, weil sie auf einen Kriminalitätsschwerpunkt hindeuten und anzunehmen ist, dass eine Gefahr für die öffentliche Sicherheit vorliegt.“
  • Des Weiteren hat das ULD empfohlen, die Ausweisung von Gefahrengebieten transparenter für die Betroffenen zu gestalten. Die Presseberichterstattung hat gezeigt, dass die Ausweisung von Gefahrengebieten sieben Jahre nach Inkrafttreten der Vorschrift in der Öffentlichkeit nahezu unbekannt war – selbst denjenigen, die seit geraumer Zeit in einem Gefahrengebiet wohnten. Daher hat das ULD empfohlen, dass eine Bekanntmachung der Ausweisung im Gesetz jedenfalls für den Regelfall vorgesehen werden sollte. Auch dieser Empfehlung ist der Änderungsantrag der Fraktionen gefolgt. Im Gesetz heißt es nun: „Die Anordnung soll vorab in geeigneter Weise bekannt gemacht werden, es sei denn, ihr Zweck wird dadurch gefährdet.“

 

4.2.2       Prüfung der Falldatei Rauschgift

In einer gemeinsamen Prüfaktion der Datenschutzbeauftragten des Bundes und der Länder wurde die Speicherpraxis der jeweiligen Länderpolizeien in der Falldatei Rauschgift (FDR) unter die Lupe genommen.

Falldatei Rauschgift

Bei der „Falldatei Rauschgift“ (FDR) handelt es sich um eine Bund-/Länderdatei des polizeilichen Informationssystems INPOL des Bundeskriminalamts. Sie dient insbesondere der Aufklärung oder Verhütung von Straftaten nach dem Betäubungsmittelgesetz, die von länderübergreifender, internationaler oder erheblicher Bedeutung sind.

Wir haben die Speicherungen der Landespolizei Schleswig-Holstein geprüft. Dabei haben wir folgende Feststellungen getroffen:

Fälle, die in der FDR gespeichert werden, sind in der Regel nach fünf Jahren – in besonders schweren Fällen nach zehn Jahren – zu löschen. Eine längere Speicherung ist nur erlaubt, wenn bei der Aussonderungsprüfung festgestellt wird, dass die Daten weiterhin erforderlich sind. Dies ist nachvollziehbar zu dokumentieren. Die Prüfung der Stichprobe in Schleswig-Holstein hat ergeben, dass 38 % der geprüften Fälle älter als zehn Jahre waren. Ein Fall lag bereits über 20 Jahre zurück. Eine dokumentierte Begründung für die lange Speicherung fehlte.

Eine Speichervoraussetzung nach dem Bundeskriminalamtgesetz ist die sogenannte Negativprognose. Es muss wegen der Art oder Ausführung der Tat, der Persönlichkeit des Betroffenen oder sonstiger Erkenntnisse Grund zu der Annahme bestehen, dass zukünftig weitere Strafverfahren gegen den Beschuldigten oder Tatverdächtigen zu führen sind. Diese Erkenntnisse müssen gerichtsfest dokumentiert werden. In der Hälfte der geprüften Fälle konnte keine dokumentierte Negativprognose vorgefunden werden.

Außerdem dürfen nur Straftaten mit länderübergreifender, internationaler oder erheblicher Bedeutung in INPOL gespeichert werden. Die Prüfung hat gezeigt, dass in Schleswig-Holstein auch Fälle gespeichert wurden, für die diese Voraussetzungen offensichtlich nicht vorlagen. Dies betrifft insbesondere Straftaten ohne länderübergreifenden oder internationalen Bezug. Diese dürfen nur gespeichert werden, wenn sie von „erheblicher Bedeutung“ sind. Solche Straftaten sind der mittleren Kriminalität zuzuordnen. Die Prüfung hat allerdings ergeben, dass beispielsweise auch Daten über Erstkonsumenten harter Drogen in der FDR gespeichert wurden, selbst wenn nur eine – nach dem Betäubungsmittelgesetz als Bagatellfall anzusehende – „geringe Menge“ für den Eigengebrauch konsumiert wurde. Auch Fälle im Bereich der sogenannten Normalmenge wurden pauschal gespeichert. In keinem Fall wurde das Vorliegen einer Straftat von erheblicher Bedeutung nachvollziehbar dokumentiert.

Bei einigen der Stichproben war nicht ersichtlich, warum Fälle trotz Einstellung des Verfahrens weiter gespeichert wurden. In einem anderen Fall wurde der Name einer geschädigten Ärztin im recherchefähigen Freitext genannt. Dies wäre allenfalls mit Einwilligung der betroffenen Ärztin zulässig. Ob eine solche erteilt wurde, konnte im Rahmen der Prüfung nicht ermittelt werden.

Ähnliche Ergebnisse haben auch die Prüfungen in den anderen Bundesländern und beim Bund ergeben. Im Zuge der Migration der Fälle aus der FDR in das Verfahren PIAV (Polizeilicher Informations- und Analyseverbund, Tz. 4.2.4), die für Anfang 2018 geplant ist, hat das Bundeskriminalamt (BKA) zusammen mit den Polizeien der Länder ein Konzept erarbeitet, um die hohe Zahl an unzulässig gespeicherten Datensätzen zu bereinigen. Es ist danach zu erwarten, dass bundesweit schätzungsweise 90 % der Fälle aus der FDR gelöscht werden.

Ein hoher Prozentsatz der unrechtmäßig gespeicherten Datensätze betrifft Erstkonsumenten harter Drogen sowie Drogentote. Daten über diese Personengruppen wurden bisher in erster Linie für statistische und Planungszwecke gespeichert. Auch wenn diese Daten nichts in einer für operative Zwecke geführten Bund-/Länderdatei zu suchen haben, so sind diese Daten natürlich von gesellschaftspolitischer und strategischer Bedeutung. Das ULD spricht sich daher dafür aus, diese Daten zukünftig – möglichst anonymisiert – in separaten Dateien oder als Bundesstatistik zu führen.

Das Landeskriminalamt (LKA) hat in einer Stellungnahme zum Prüfbericht mitgeteilt, dass in allen beanstandungsrelevanten Fällen eine Bereinigung erfolgt sei. Darüber hinaus würden die bei der Prüfung festgestellten Mängel nicht erst bei der Migration von Daten in PIAV, sondern bereits aktuell in der Datenpflege berücksichtigt. Hierdurch sowie durch den mittlerweile angestoßenen „Cleansing-Prozess“ des BKA zur Bereinigung der Altdaten sowie die klaren Vorgaben für die Speicherung neuer Fälle in PIAV ist für die Zukunft eine Verbesserung der Situation zu erwarten.

 

Was ist zu tun?
Im Hinblick auf zukünftige Speicherungen muss durch technische und qualitätssichernde Maßnahmen gewährleistet werden, dass nur relevante Fälle gespeichert werden und dass die Dokumentation der gesetzlichen Speichervoraussetzungen stets vorliegt. Löschfristen sind einzuhalten, Verfahrensausgänge müssen berücksichtigt werden.

 

4.2.3       Prüfung der Datei „Fußball SH“

Im Jahr 2016 hat eine Prüfung des Hamburgischen Beauftragten für Datenschutz und Informationsfreiheit die vielfache illegale Speicherung von Fußballfans in einer polizeilichen Datei aufgedeckt. Das ULD hat daraufhin ebenfalls die fußballspielbezogene Speicherpraxis in Schleswig-Holstein untersucht.

Bei der Landespolizei Schleswig-Holstein wird die Datei „Fußball SH“ geführt. Diese Datei wird ausschließlich durch sogenannte szenekundige Beamte gepflegt. Sie dient als Grundlage für präventive gefahrenabwehrende Maßnahmen vor einem Spiel (z. B. Gefährderansprachen, Aufenthaltsverbote usw.) sowie der Entwicklung von Einsatzkonzepten, die Störungen oder Gefahren für die öffentliche Sicherheit verhindern sollen.

Gespeichert werden die Namen von Personen, die im Zusammenhang mit Fußballspielen durch Straftaten oder als Störer im Sinne des Landesverwaltungsgesetzes aufgefallen sind und gegen die polizeiliche Maßnahmen ergriffen wurden (z. B. ein Platzverweis). Die Daten werden offen bei den Betroffenen erhoben und für maximal zwei Jahre gespeichert. Fällt eine Person erneut auf, verlängert sich diese Frist jeweils um zwei weitere Jahre, ausgehend vom Zeitpunkt der letzten Speicherung. Kontakt- oder Begleitpersonen werden nicht gespeichert.

Eine unverhältnismäßige, rechtswidrige Speicherung konnte bei der Prüfung nicht festgestellt werden. Die Datei war zum Zeitpunkt der Prüfung gut gepflegt, und die Daten sind nur für einen eng begrenzten, fachlich zuständigen Personenkreis einsehbar. Die automatische Verlängerung der Speicherung birgt allerdings die Gefahr, dass zurückliegende Vorkommnisse beliebig lange gespeichert bleiben, obwohl sie für die aktuelle Lagebeurteilung nicht mehr relevant sind. Das ULD hält daher die Festlegung einer maximalen Speicherdauer für erforderlich.

Darüber hinaus bedarf es für die erstmalige Speicherung zukünftig einer dokumentierten Negativprognose. Es muss wegen der Art oder Ausführung und Schwere der Tat sowie der Persönlichkeit des Betroffenen Grund zu der Annahme bestehen, dass der Betroffene zukünftig durch weitere Strafverfahren bzw. Störungen auffällig werden wird. Diese Hürde sieht der Landesgesetzgeber bereits für die Speicherung von Straftaten vor. Sie muss daher erst recht für die Speicherung niederschwelliger Handlungen gelten.

Die Landespolizei hat zwischenzeitlich reagiert und die Hinweise des ULD umgesetzt. Außerdem wurde der Katalog der vorhandenen Datenfelder noch einmal überprüft und auf das erforderliche Maß reduziert.

Was ist zu tun?
Der Landesgesetzgeber ist gefordert, eine Rechtsgrundlage zu schaffen, die die Speicherung von personenbezogenen Daten für den Zweck zukünftiger Gefahrenabwehr regelt. Im Gegensatz zu den Vorgaben im Bereich der Speicherung für zukünftige Strafverfolgung sind die Rechtsgrundlagen zur Speicherung für Fälle zukünftiger Gefahrenabwehr zu generell oder fehlen vollständig. Dabei erfordert gerade die Speicherung im Bereich unterhalb der Strafverfolgung eine normenklare und verhältnismäßige Regelung.

 

4.2.4       Polizeilicher Informations- und Analyseverbund im Betrieb

Im Mai 2016 wurde die erste Stufe des Polizeilichen Informations- und Analyseverbunds (PIAV, 35. TB, Tz. 4.2.2) in Schleswig-Holstein durch den Innenminister für den produktiven Einsatz freigegeben. In der Stufe 1 werden Informationen über Delikte mit Bezug zu Waffen und Sprengstoff an PIAV angeliefert. Die Erfahrungen aus dieser Stufe bilden die Grundlage für die Weiterentwicklung von PIAV sowie die Einführung weiterer Stufen.

Das ULD wird seit dem Start des Projekts regelmäßig durch das Landeskriminalamt über den Fortschritt informiert und bringt sich fachlich mit ein. Die bisherigen Erfahrungen aus der Stufe 1 zeigen, dass es durchaus Verbesserungen im Datenschutz im Vergleich zu den bisherigen INPOL-Falldateien gibt.

Durch die Festlegung sogenannter PIAV-Relevanzkriterien werden Sachbearbeiter IT-gestützt darauf aufmerksam gemacht, wenn ein Vorgang PIAV-relevant sein könnte. Dies trägt dazu bei, dass auf der einen Seite keine notwendige Erfassung übersehen wird; auf der anderen Seite ergibt sich daraus auch schnell, dass ein Vorgang gegebenenfalls nicht nach PIAV angeliefert werden soll oder darf. Natürlich kann die Informationstechnik nur eine unterstützende Rolle übernehmen. Letztlich entscheiden, ob die gesetzlichen Voraussetzungen für eine Anlieferung vorliegen, muss immer ein Mensch.

In diesem Zusammenhang stellt PIAV insbesondere deshalb eine Verbesserung dar, weil jeder Vorgang qualitätsgesichert angeliefert wird. Das bedeutet, dass in der Regel neben dem Sachbearbeiter und seinem Vorgesetzten noch eine weitere Qualitätssicherungsstelle den Vorgang vor der Anlieferung an PIAV auf Plausibilität und Vollständigkeit prüft. Dieses Vorgehen führt dazu, dass auch menschliche Fehler bei der Eingabe oder grobe Bewertungsfehler erkannt und korrigiert werden können.

Eine weitere Verbesserung besteht in der Kopplung der Speicherdauer an die Speicherung des zugrunde liegenden Vorgangs im Vorgangs- oder Fallbearbeitungssystem des Landes. Wird der Grundvorgang im Landessystem gelöscht, erfolgt automatisch die Löschung in PIAV. Gleichzeitig beachtet PIAV die maximalen Speicherfristen nach dem Bundeskriminalamtgesetz und signalisiert, wenn eine Aussonderungsprüfung notwendig ist. Über Jahrzehnte gespeicherte Altdatenbestände, wie sie z. B. bei der Prüfung der Falldatei Rauschgift (Tz. 4.2.2) vorgefunden wurden, werden dadurch in PIAV vermieden.

Da das Verfahren PIAV sehr komplex ist und sich nach wie vor im Aufbau befindet, sind noch einige Baustellen im Datenschutz zu bearbeiten, und es werden sicherlich im Laufe der Zeit neue hinzukommen.

So hat die Prüfung der Falldatei Rauschgift (INPOL) z. B. Defizite in der Dokumentation der Speichervoraussetzungen ergeben. Insbesondere in Fällen, in denen es auf die Erheblichkeit einer Straftat als Speichervoraussetzung ankommt, gibt es Nachbesserungsbedarf. Der weitere Ausbau von PIAV wird zeigen, ob die allgemeinen und dateispezifischen PIAV-Relevanzkriterien, die zusätzlichen Qualitätssicherungsstufen und Schulungen zu einer Verbesserung beitragen werden.

Da sich PIAV in der Stufe 1 auf eine einzige Datei beschränkt, wird sich außerdem erst mit dem Start der weiteren Stufen und der Einführung weiterer Dateien zeigen, wie die Analyse- und Auswertefunktionen arbeiten und welche Auswirkungen dies für die Betroffenen hat.

Von Interesse werden auch die für die Erschließung der Daten erforderlichen Zugriffsberechtigungen sein. Diese legt jedes Land individuell fest. Theoretisch könnte also ein PIAV-Teilnehmer entscheiden, allen seinen Sachbearbeitern dateiübergreifend lesenden Zugriff zu gewähren. Die Einführung von sogenannten ermittlungsunterstützenden Hinweisen dient ebenfalls zur dateiübergreifenden Erschließung der Daten. Wie diese Möglichkeiten von den einzelnen Teilnehmern genutzt werden und wie sich dies mit den Prinzipien der Erforderlichkeit und der Zweckbindung der Daten vereinbaren lässt, wird genau zu prüfen sein.

Die nächste Ausbaustufe von PIAV ist für Anfang 2018 vorgesehen.

Was ist zu tun?
Im Rahmen der nächsten Ausbaustufen wird die Verknüpfung und Auswertung von unterschiedlichen Daten und Dateien eine immer größere Rolle spielen. Bei der Fortschreibung der Konzepte muss daher den Grundsätzen der Erforderlichkeit und der Zweckbindung eine besondere Bedeutung zukommen. Die Kooperation der Projektgruppe PIAV mit dem ULD hat sich bewährt. Sie sollte auch künftig weitergeführt werden.

4.2.5       Rechen- und Dienstleistungszentrum zur Telekommunikationsüberwachung

Über die Pläne der norddeutschen Küstenländer, die technische Durchführung der Telekommunikationsüberwachung (TKÜ) in einem gemeinsamen Zentrum – dem Rechen- und Dienstleistungszentrum (RDZ) – zu bündeln, hat das ULD im Jahr 2013 berichtet (34. TB, Tz. 4.2.3). In den Folgejahren war das Projekt zunächst nicht weiterverfolgt worden. Doch im Berichtszeitraum wurden nicht nur die Arbeiten am Projekt fortgesetzt, sondern auch wesentliche Grundsteine für das gemeinsame Zentrum gelegt. Es wurde ein Staatsvertrag über die Einrichtung und den Betrieb des gemeinsamen Zentrums geschlossen.

Hierzu haben die Datenschutzbeauftragten der beteiligten Länder gemeinsam Stellung genommen (Landtagsumdruck 18/6179). Der von ihnen angemeldete Änderungsbedarf wurde aufgegriffen. Der Staatsvertrag entspricht damit den datenschutzrechtlichen Anforderungen. Wichtig ist in diesem Zusammenhang jedoch, dass Einzelheiten der Datenverarbeitung bei Telekommunikationsüberwachungen nicht im Staatsvertrag geregelt werden. Der Staatsvertrag regelt lediglich die Struktur des RDZ und der Kontrolle der Länder, einschließlich der Datenschutzkontrolle, über das gemeinsame Zentrum.

Da das RDZ seine Leistungen im Wege der Datenverarbeitung im Auftrag für die Behörden der teilnehmenden Länder erbringen wird, ist ein Auftragsdatenverarbeitungsvertrag zwischen der Landespolizei Schleswig-Holstein und dem RDZ zu schließen. In diesem sind die Einzelheiten der Datenverarbeitung festzulegen, z. B. das genaue Leistungsspektrum des RDZ, Zugriffsrechte auf die gespeicherten Daten, Maßnahmen zur Gewährleistung einer Mandantentrennung zwischen den TKÜ-Daten der einzelnen Länder sowie Maßnahmen zur Gewährleistung der Kontrollierbarkeit und der Sicherheit der Datenverarbeitung.

Die Anlage für die Telekommunikationsüberwachung wird, wie es auch jetzt in den Landeskriminalämtern der Fall ist, von einem externen Diensteanbieter bereitgestellt werden. Bei der Ausschreibung der Leistung ist darauf zu achten, dass die Anforderungen an Datenschutz und Datensicherheit umfassend und präzise formuliert werden, damit diese Kriterien bei der Vergabe berücksichtigt und im Echtbetrieb erfüllt werden.

Das ULD begleitet die Einführung des RDZ federführend für die Länder in datenschutzrechtlichen Fragen und empfiehlt der Projektgruppe RDZ, auch für die anstehenden Schritte die Datenschutzbeauftragten eng einzubinden.

Was ist zu tun?
Nachdem der Staatsvertrag ratifiziert wurde, sind nun das Konzept für die Datenverarbeitung und der Vertrag zur Auftragsdatenverarbeitung festzulegen. Ebenso wie die Vergabe für die TKÜ-Anlage sollten diese Arbeiten in enger Abstimmung mit den Datenschutzbeauftragten der beteiligten Länder erfolgen.

 

4.2.6       Reichsbürger – Meldung von Behörden an die Polizei

Nach tödlichen Schüssen eines Reichsbürgers auf einen Polizeibeamten in Bayern befasste sich auch die Landespolizei Schleswig-Holstein intensiver mit dieser Gruppierung. Um ein Lagebild über Reichsbürger in Schleswig-Holstein zu erstellen, wandte sie sich an die Kommunen und bat um Informationen. Da die Anfragen nicht einheitlich formuliert waren, wurden unterschiedliche Informationen angefordert. Dies führte in einigen Kommunen zu Irritationen. Für die Lagebilderstellung wurden nur anonymisierte Daten benötigt. Bei einigen Kommunen wurden jedoch auch personenbezogene Daten abgefragt. Dabei wurde teilweise danach differenziert, ob die Person bereits als Störer im Sinne des Polizeirechts aufgefallen war oder nicht. Teilweise wurden ohne Differenzierung Meldungen über alle als Reichsbürger bekannten Personen verlangt. Das ULD hat zu diesen Anfragen gegenüber den Kommunen und dem Innenministerium Stellung genommen.

Die Übermittlung von personenbezogenen Daten über Reichsbürger kann in Einzelfällen nach dem Polizeirecht zulässig sein. Voraussetzung ist, dass sie für die Aufgabenerfüllung der übermittelnden oder empfangenden Stelle erforderlich ist und – soweit die Übermittlung zu einem anderen Zweck erfolgt als dem Zweck, der der Speicherung der Daten zugrunde liegt – auch die Änderung des Verarbeitungszwecks zulässig ist. Nach dem Landesdatenschutzgesetz dürfen personenbezogene Daten zweckändernd verarbeitet (hier: übermittelt) werden, wenn die Abwehr erheblicher Nachteile für das Allgemeinwohl oder von Gefahren für Leben, Gesundheit, persönliche Freiheit oder sonstiger schwerwiegender Beeinträchtigungen der Rechte Einzelner dies gebietet.

Reichsbürger

„Als ‚Reichsbürger‘ oder auch ‚Reichsregierungen‘ bezeichnen sich mehrere sektenartige Gruppen von Rechtsextremen und Verschwörungstheoretikern. Die Kernideologie der Reichsbürger ist antisemitisch, geschichtsrevisionistisch und demokratiefeindlich. Neben der Ablehnung der Demokratie gehört häufig die offensive Leugnung des Holocaust zur Agitation. Das Bundesinnenministerium geht bundesweit von mehreren Hundert Mitgliedern aus. [...] Als Konsequenz weigern sich die Reichsbürger, Steuern zu zahlen, und erkennen die deutsche Gesetzgebung nicht an. Manche stellen eigene Reisepässe und Führerscheine ihres Fantasie-Staates her und ernennen sich selbst zu ‚Ministern‘ verschiedener ‚Reichsregierungen‘. Erste Gruppen dieser Art entstanden in den 1980er-Jahren. Seit 2010 treten sie verstärkt in Erscheinung.“

Quelle: Bundeszentrale für politische Bildung, Dossier Rechtsextremismus

Sofern eine Übermittlung von Daten über Reichsbürger an die Polizei auf diese Grundlage gestützt werden soll, müssen solche Gefahren für die genannten Rechtsgüter für jede Person, die an die Polizei gemeldet wird, aus Sicht der übermittelnden Stelle schlüssig sein. Soweit die Kommunen nicht über eigene Erkenntnisse verfügen, die die von den jeweiligen Reichsbürgern ausgehende Gefährdung für die genannten Rechtsgüter begründen, ist diese von der Polizei darzulegen. Ein allgemeiner Hinweis auf frühere gefährliche Situationen mit Reichsbürgern reicht hierfür nicht aus. Denn es bleibt danach möglich, dass es einen oder wenige Reichsbürger gibt, die für eskalierende Situationen verantwortlich gemacht werden können, während andere Kontakte zu Reichsbürgern im Hinblick auf die Rechtsgüter Leben, Gesundheit und persönliche Freiheit ungefährlich bleiben.

Weniger strenge Anforderungen gelten für Übermittlungen durch die Ordnungsämter, da für diese eine andere Rechtsgrundlage Anwendung findet. Für diese gelten die bereichsspezifischen Regelungen des Polizeirechts. Danach können personenbezogene Daten zwischen Polizeidienststellen des Landes, zwischen Ordnungsbehörden sowie zwischen Ordnungsbehörden und der Polizei übermittelt werden, soweit dies zur Erfüllung polizeilicher oder ordnungsbehördlicher Aufgaben erforderlich ist. Die Abwehr von Gefahren für die öffentliche Sicherheit ist Aufgabe sowohl der Polizei als auch der Ordnungsbehörde. Es reicht nach dieser Rechtsgrundlage eine Gefahr auch für geringwertigere Rechtsgüter als Leben und Gesundheit. Auch eine besondere Eintrittswahrscheinlichkeit und -nähe, wie etwa eine konkrete Gefahr, werden nicht vorausgesetzt. Damit dürfte es für das Ordnungsamt möglich sein, dort gespeicherte eigene Erkenntnisse über Reichsbürger der Polizei mitzuteilen.

Strengere Anforderungen gelten hingegen für Sozialleistungsträger. Hier sind die allgemeinen Vorschriften des Sozialgesetzbuchs X zu beachten. Außerdem können sich aus anderen Sozialgesetzbüchern bereichsspezifische, oftmals noch weiter einschränkende Sonderregelungen ergeben.

Sonderregelungen sind außerdem für Daten des Gesundheitsamts zu berücksichtigen. Amtsärzte unterliegen dem strafbewehrten Berufsgeheimnis und der ärztlichen Schweigepflicht. Zum Schutz dieser Verpflichtungen verfügen sie außerdem nach der Strafprozessordnung über ein Zeugnisverweigerungsrecht.

Im Ergebnis hält das ULD Datenübermittlungen durch das Ordnungsamt an die Polizei über solche Reichsbürger vertretbar, die beim Ordnungsamt selbst bekannt sind und dort als gefährdend für jegliche Rechtsgüter der öffentlichen Sicherheit eingeschätzt werden. Dasselbe gilt, wenn andere Ämter – ausgenommen Gesundheitsamt und Sozialamt – Daten über solche Reichsbürger übermitteln, die dort als gefährdend für Leben, Gesundheit, persönliche Freiheit oder vergleichbare Rechtsgüter angesehen werden. Personenbezogene Daten aus Sozial- und Gesundheitsämtern dürfen in der Regel nicht übermittelt werden. Eine pauschale Übermittlung personenbezogener Daten über jegliche Reichsbürger, unabhängig von polizeilich relevanten Vorfällen, ist nicht zulässig.

Was ist zu tun?
Generell benötigen Ämter vor der Übermittlung personenbezogener Daten an die Polizei eine Rechtsgrundlage.

 

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