4.3          Justizverwaltung

4.3.1       Funkzellenabfragen

Im Berichtszeitraum hat das ULD eine Stichprobe von Funkzellenabfragen in Strafverfahren geprüft. Ausgewählt wurden elf Verfahren, in denen jeweils eine oder mehrere nicht individualisierte Funkzellenabfragen durchgeführt worden sind. Bei einer nicht individualisierten Funkzellenabfrage werden von Mobilfunkanbietern alle Verkehrsdatensätze erhoben, die an einem Ort in einem von der Ermittlungsbehörde festgelegten Zeitraum erzeugt worden sind. Dies können Telefonate, SMS oder Datenverbindungen zum Internet sein. Mit der Abfrage soll in der Regel ermittelt werden, welche Anschlussinhaber sich in der Nähe eines Tatortes aufgehalten haben. Häufig wird dieses Mittel bei dem Verdacht einer Serienstraftat angewandt, um zu prüfen, ob an unterschiedlichen Tatorten dieselben Telefonnummern oder Mobilfunkgeräte auftauchen.

Da der Grundrechtseingriff solcher Abfragen aufgrund ihrer Streubreite und der Einbeziehung von Telekommunikationsdaten schwer wiegt, stellt das Gesetz an ihre Zulässigkeit hohe Anforderungen. Sie sind nur bei schwerwiegenden Straftaten zulässig, wenn die Erforschung des Sachverhalts auf andere Weise aussichtslos oder wesentlich erschwert wäre und die Erhebung der Daten in einem angemessenen Verhältnis zur Bedeutung der Sache steht. Es bedarf der Anordnung durch ein Gericht. Nach Abschluss sind die von der Maßnahme betroffenen Personen zu benachrichtigen – allerdings nur diejenigen, deren Identität ermittelt wurde und die von der Maßnahme erheblich betroffen waren.

Die Stichprobenprüfung des ULD hat folgende Erkenntnisse erbracht:

  • Allen elf Verfahren der Stichprobe lagen schwerwiegende Straftaten zugrunde, die die gesetzlichen Voraussetzungen erfüllten.
  • Die Prüfung der gesetzlichen Voraussetzungen war oftmals nur unzureichend dokumentiert, insbesondere im Hinblick auf die Verhältnismäßigkeit der Maßnahme und das Fehlen anderer Ermittlungsansätze.
  • Teilweise befanden sich die von den Providern übermittelten Verkehrsdatensätze ohne Kennzeichnung in der Ermittlungsakte; überwiegend waren sie allerdings in einem gekennzeichneten Sonderband gespeichert.
  • In einigen Fällen hat die Staatsanwaltschaft die Löschung der Funkzellendaten verfügt, sobald das Verfahren – z. B. durch Einstellung mangels Beweisbarkeit – abgeschlossen war. In anderen Fällen ist eine Löschung unterblieben. In einigen Fällen wurde nach Einstellung des Verfahrens die weitere Aufbewahrung angeordnet, da die Daten bei einer Wiederaufnahme des Verfahrens benötigt werden könnten.
  • Eine nachträgliche Benachrichtigung der Betroffenen ist nur in einem der geprüften Fälle vorgenommen worden. In vielen Fällen wurden Betroffene nicht identifiziert und aus diesem Grund auch nicht benachrichtigt. Identifizierte Betroffene in anderen Verfahren wurden mit der Begründung nicht benachrichtigt, sie seien nur unerheblich betroffen.
  • Bei den in der Stichprobe geprüften Verfahren wurde also das Mittel der Funkzellenabfrage nur für die Aufklärung von Straftaten angewandt, die konkret von erheblichem Gewicht waren. Häufig erfolgten parallel oder nachträglich Telekommunikationsüberwachungen, Observationen oder andere Maßnahmen. Die häufig geäußerte Annahme, die nicht individualisierte Funkzellenabfrage entwickle sich zu einer Standardmaßnahme, kann anhand der Stichprobe für Schleswig-Holstein nicht bestätigt werden. Gleichwohl unterscheidet sich diese Maßnahme aufgrund ihrer Streubreite signifikant von anderen Ermittlungsmethoden. Sie erzeugt in besonderem Maße eine Gefahr für Unbeteiligte, in die Ermittlungen einbezogen zu werden. Dieser Umstand wurde in den Verfahren nur unzureichend berücksichtigt. Dies begann bereits mit teilweise fehlender oder unzureichender Verhältnismäßigkeitsprüfung bei der Anregung der Maßnahme. Verbesserungen sind insbesondere nach der erfolgten Auswertung der Daten nötig. Die Frage der Löschung der Daten wurde in jedem Verfahren unterschiedlich, teilweise auch gar nicht beantwortet. Insofern sind klare Vorgaben erforderlich, die eine einheitliche datensparsame Verwendung der Funkzellendaten gewährleisten. Nahezu komplette Fehlanzeige besteht in puncto Transparenz. Von der Datenerhebung und -verarbeitung erfährt die Mehrheit der Betroffenen, von den Beschuldigten und ganz wenigen Mitbetroffenen abgesehen, nichts.
  • Das Landeskriminalamt hat auf Anregung des ULD die Verfahrensregelungen für die Landespolizei überarbeitet. Doch sind die drängenden Fragen der Löschung der Daten und der Benachrichtigung der Betroffenen von dieser Regelung nicht erfasst. Da hierüber die Staatsanwaltschaft entscheidet, kann eine landesweite Regelung nur durch die Justiz getroffen werden.

Was ist zu tun?
Das Verfahren bei nicht individualisierten Funkzellenabfragen ist verbesserungsbedürftig. Es muss sichergestellt werden, dass die Daten frühestmöglich gelöscht werden. Verbesserungsbedürftig ist außerdem die Transparenz für die Betroffenen.

4.3.2       eAkte  im Strafverfahren

Es zeichnet sich ab, dass die elektronische Akte (eAkte) für das Strafverfahren in näherer Zukunft eingeführt wird. Eine Vielzahl der damit verbundenen datenschutzrechtlichen Herausforderungen müssen über die Strafprozessordnung gelöst werden; es bleiben offene Fragen hinsichtlich der praktischen Umsetzung.

Es ist zu klären, wo die Akte geführt wird und in welchem Umfang Zugriffe der beteiligten Stellen möglich sein sollen. Bislang gibt es eine Papierakte, die von der Polizei, der Staatsanwaltschaft und dann dem Gericht – gemeinsam – geführt wird und in die alle für das Strafverfahren relevanten Informationen aufgenommen werden. Der maßgebliche Inhalt des Strafverfahrens ist gebündelt in einer Akte zusammengefasst. So kann kein Zweifel aufkommen, welche Unterlagen für das Verfahren relevant sind. Die elektronische Datenverarbeitung der am Strafverfahren beteiligten Stellen ist dagegen streng voneinander getrennt. Elektronisch verfügt jede Stelle über die Stammdaten des Verfahrens, die üblicherweise in elektronischen Vorgangsverwaltungssystemen gespeichert werden. Dies sind die Angaben über Beschuldigte, Geschädigte, Zeugen, Verteidiger und andere Verfahrensbeteiligte, Angaben zum Tatvorwurf und zum Gang des Verfahrens. Jede Stelle verfügt über ein eigenes Vorgangsverwaltungssystem, das nach eigenen Regeln betrieben wird und allenfalls über eng definierte Austauschschnittstellen mit den Systemen der anderen Stellen verfügt. Darüber hinaus liegen bei der beteiligten Stelle allenfalls diejenigen Aktenbestandteile elektronisch vor, die sie selbst erzeugt hat. Dieser im Vergleich zur Strafakte erheblich eingeschränkte Datenbestand wird bei der Polizei bereits jetzt für weitere Zwecke als für die reine Bearbeitung des konkreten Falls genutzt (Tz. 4.2.1), etwa zur Recherche für andere Strafverfahren oder für Auswertungen.

Die Grundelemente der Datenverarbeitung im Strafverfahren müssen auch bei Einführung der eAkte erhalten bleiben: Es muss gewährleistet sein, dass der gesamte Akteninhalt als Ganzes verfügbar ist. Außerdem muss die informationelle Trennung der am Verfahren beteiligten Stellen gewährleistet bleiben. Die Notwendigkeit, allen Stellen für das jeweilige Verfahren den Akteninhalt elektronisch zur Verfügung zu stellen, darf nicht dazu führen, dass die Stellen diesen über das Verfahren hinaus für Recherchen und Auswertungen nutzen können.

Was ist zu tun?
Die elementaren Datenschutzstandards müssen bei der elektronischen Aktenführung im Strafverfahren gesetzlich, organisatorisch und technisch gewährleistet bleiben.

 

4.3.3       Öffentlichkeitsfahndung  im Internet

Die Justizministerkonferenz befasste sich im November 2013 mit den Möglichkeiten der Öffentlichkeitsfahndung in Facebook und anderen sozialen Netzwerken. Das geltende Recht erlaubt Öffentlichkeitsfahndung in sozialen Netzwerken nicht. Die Richtlinien für das Straf- und Bußgeldverfahren regeln, dass private Internetanbieter für die Öffentlichkeitsfahndung grundsätzlich nicht eingeschaltet werden sollen. Vor einer möglichen Änderung dieser Richtlinien hat die Justizministerkonferenz die Konferenz der Datenschutzbeauftragten beteiligt.

Die Konferenz der Datenschutzbeauftragten hält eine Nutzung sozialer Netzwerke privater Betreiber für sehr problematisch. Durch die weltweit recherchierbare Veröffentlichung wird in schwerwiegender Weise in die Grundrechte der Betroffenen eingegriffen. Einmal veröffentlichte Inhalte lassen sich im Internet nur sehr schwer und oft nicht restlos löschen. Bereits deshalb forderte die Konferenz spezifischere gesetzliche Regeln für die Öffentlichkeitsfahndung über das Internet. Eine Öffentlichkeitsfahndung bei privaten Anbietern ermöglicht diesen, die Nutzungsdaten für eigene Zwecke zu verarbeiten. Das, was für öffentliche Stellen generell gilt, ist auch auf die Öffentlichkeitsfahndung anzuwenden (Tz. 7.1). Es steht Strafverfolgungsbehörden nicht zu, rechtswidrige Verarbeitung von Nutzungsdaten zu unterstützen, indem Anbieter in Anspruch genommen werden, die das Telemediengesetz nicht beachten.

Wollen Strafverfolgungsbehörden Öffentlichkeitsfahndung über private Internetanbieter durchführen, so sind folgende Anforderungen zu beachten:

  • Die Öffentlichkeitsfahndung darf nur auf Diensten von Anbietern erfolgen, die den datenschutzrechtlichen Vorgaben des Telemediengesetzes entsprechen.
  • Die zur Öffentlichkeitsfahndung verwendeten personenbezogenen Daten dürfen von den Strafverfolgungsbehörden nur auf Servern gespeichert werden, die im eigenen Verantwortungsbereich stehen.
  • Kommentierungsfunktionen müssen deshalb deaktiviert sein; die Kommunikation zwischen den Strafverfolgungsbehörden und den Nutzern darf nicht im sozialen Netzwerk erfolgen.
  • Die Weitergabe und der automatisierte Abruf der personenbezogenen Daten aus dem Internet durch Webcrawler und ähnliche Dienste müssen so weit wie technisch möglich verhindert werden.
  • Die Öffentlichkeitsfahndung bei privaten Internetanbietern muss verhältnismäßig sein. Diese Fahndungsmethode darf nur im Einzelfall bei schwerwiegenden Straftaten erlaubt sein. Art, Umfang und Dauer der jeweiligen Maßnahme müssen im Einzelfall durch die beantragende Staatsanwaltschaft konkret bestimmt werden; hierzu gehört auch eine Begründung für die Wahl der Fahndungsmethode.

https://www.datenschutz-hamburg.de/uploads/media/Entschliessung_87.DSK_OEffentlichkeitsfahndung.pdf

Was ist zu tun?
Die Justiz sollte gut abwägen, ob sie Öffentlichkeitsfahndungen auch bei privaten Internetbetreibern zulässt. Zumindest sind die genannten Anforderungen zu berücksichtigen.

 

4.3.4       Vollzugsgesetze  zum Jugendarrest und Erwachsenenvollzug

Das ULD wirkte an zwei Gesetzgebungsverfahren für den Justizvollzug mit. Der Gesetzentwurf der Landesregierung für ein Jugendarrestvollzugsgesetz, zu dem das ULD eine Stellungnahme abgab, wurde vom Landtag beschlossen. Darin sind für den Jugendarrest Kontrollmöglichkeiten bei Besuchen, Telefongesprächen und beim Schriftverkehr geregelt. Der Regierungsentwurf war diesbezüglich jedoch zu unbestimmt und erlaubte zu weitgehende und unverhältnismäßige Kontrollen. Die vom ULD angemahnten Beschränkungen der Überwachungsbefugnisse wurden vom Landtag vollständig übernommen. Erfreulich ist auch, dass auf eine Ermächtigung zur heimlichen Videoüberwachung, die in einem Vorentwurf der Landesregierung aus der vorigen Wahlperiode vorgesehen war, verzichtet wurde.

Noch in Arbeit befindet sich ein Gesetzentwurf für ein Strafvollzugsgesetz. Das federführende Justizministerium bezog dieses Mal das ULD schon bei der Erstellung des Entwurfs eng mit ein, sodass das ULD in einer Arbeitsgruppe Vorschläge zur Gestaltung der Datenschutzvorschriften einbringen konnte.

 

4.3.5       Schweigepflichtentbindung  für Suchtberater

Schweigepflichtentbindungserklärungen, die von Inhaftierten gegenüber externen Suchtberatern in Schleswig-Holstein abgegeben werden, sind so zu gestalten, dass sie eine vertrauliche Beratung fördern, aber dabei nicht die Ziele des Vollzugs beeinträchtigen.

Inhaftierte können während des Strafvollzuges nicht nur Leistungen von internen, sondern auch von externen Suchtberatern in Anspruch nehmen. Die externen Suchtberater, Sozialarbeiter und Sozialpädagogen sind keine Beschäftigten der Strafvollzugsanstalt. Für die Durchführung des Strafvollzuges benötigt die Vollzugsanstalt Kenntnis von bestimmten Informationen, die im Zusammenhang mit der externen Suchtberatung des Inhaftierten stehen. Mit der Übermittlung dieser personenbezogenen Informationen wird die berufliche Schweigepflicht der Sozialarbeiter und Sozialpädagogen eingeschränkt, wofür es einer gesetzlichen Ermächtigung bedarf. Eine solche fehlt für die Übermittlung der Informationen an Vollzugsanstalten in Schleswig-Holstein. Daher wird auf eine Schweigepflichtentbindungserklärung zurückgegriffen, mit der der Inhaftierte die externen Suchtberater ausdrücklich von der Schweigepflicht entbindet und damit seine Einwilligung in die Datenübermittlung an die Strafvollzugsanstalt erteilt.

Eine wirksame Einwilligungserklärung setzt eine hinreichende Information des Inhaftierten vor der Abgabe der Erklärung und deren Freiwilligkeit voraus. Die Informationspflicht umfasst Angaben über die verantwortliche Stelle, den bzw. die Empfänger, den Betroffenen, den Umfang und die Art der Daten, den Verwendungszweck, die Freiwilligkeit und die Widerrufsmöglichkeit. Der Inhaftierte ist ferner über die Folgen aufzuklären, wenn er die Schweigepflichtentbindungserklärung verweigert, wobei dies deren Freiwilligkeit nicht einschränken darf. Ob eine freie Entscheidung des Erklärenden vorliegt, muss wegen des bestehenden Abhängigkeitsverhältnisses zwischen dem Inhaftierten und dem Vollzugspersonal generell kritisch gesehen werden. Maßstab für die Beurteilung der Freiwilligkeit ist, ob der Inhaftierte eine eigenständige Entscheidung darüber treffen kann, dass er der dargelegten Verwendung seiner personenbezogenen Daten zustimmt und die externen Suchtberater von der Schweigepflicht entbindet.

Das ULD beriet bei der Formulierung eines Musterformulars für eine Schweigepflichtentbindungserklärung von Inhaftierten gegenüber externen Suchtberatern, die als Rechtsgrundlage für die Übermittlung von Informationen an die Strafvollzugsanstalt herangezogen werden kann. Der Inhaftierte muss dabei über die Folgen einer verweigerten Erklärung aufgeklärt werden, ohne dass diese Aufklärung der Freiwilligkeit entgegensteht. So soll er entscheiden können, ob er möchte, dass die Suchtberatung für vollzugliche Entscheidungen – wie vorzeitige Haftentlassung oder Lockerungen – berücksichtigt wird oder nicht. Das ULD stellte dem Ministerium für Justiz, Kultur und Europa des Landes Schleswig-Holstein Formulierungen für eine einheitliche Handhabung zur Verfügung.

Was ist zu tun?
Für eine einheitliche und rechtskonforme Handhabung von Schweigepflichtentbindungserklärungen, die von Inhaftierten gegenüber externen Suchtberatern abgegeben werden, sollte in Schleswig-Holstein das Musterformular als Grundlage verwendet werden, das vom ULD mit konzipiert wurde.

 

4.3.6       Das Verwertungsverbot  des BZRG im Strafvollzug

Das Bundeszentralregistergesetz (BZRG) regelt ein Verwertungsverbot, das auch im Strafvollzug beachtet werden muss. Danach dürfen die Tat und die Verurteilung dem Betroffenen im Rechtsverkehr nicht mehr vorgehalten werden, wenn die Eintragung über die Verurteilung im Register getilgt worden ist oder wenn sie zu tilgen ist und keine der gesetzlich geregelten Ausnahmen eingreift. Die Regelung verbietet auch im Strafvollzug die Verwendung von Angaben zu früheren Verurteilungen des Inhaftierten, die vielleicht aus anderen Gründen bekannt sind, in dem Bundeszentralregister jedoch bereits getilgt sind bzw. zu tilgen sind.

Was ist zu tun?
Die Strafvollzugsbehörde hat sich zu vergewissern, dass die im Strafvollzug für vollzugliche Entscheidungen herangezogenen Angaben zu den Inhaftierten nicht dem Verwertungsverbot des BZRG unterliegen.

 

4.3.7       Adressierung von behördlichen Schriftstücken an Gefangene

Ein außerhalb Schleswig-Holsteins inhaftierter Gefangener berichtete dem ULD über einen Auskunftsantrag an das Justizministerium Schleswig-Holstein nach dem Informationszugangsgesetz (IZG). Die Auskunftserteilung erfolgte jedoch nicht an ihn, sondern an die Vollzugsanstalt. Das Justizministerium bestätigte, dass es generelle Praxis ist, Schreiben der schleswig-holsteinischen Aufsichtsbehörde, also des Justizministeriums, an Gefangene in Vollzugsanstalten anderer Bundesländer an die jeweiligen Vollzugsanstalten zu richten. Dies ist nach Ansicht des ULD rechtswidrig, da für die Übermittlung personenbezogener Daten an die Justizvollzugsanstalt im Einzelfall eine Rechtsgrundlage bestehen muss. Bei einer Auskunft nach dem IZG ist nicht erkennbar, dass deren Kenntnis für die Vollzugsbehörde erforderlich ist. Das Justizministerium sagte zu, Schreiben künftig direkt an die Gefangenen zu richten. Sieht das Ministerium es im Einzelfall nach entsprechender Prüfung für erforderlich an, so wird die Justizvollzugsanstalt durch eine Abschrift benachrichtigt.

Was ist zu tun?
Gefangene haben das Recht auf eine vertrauliche Kommunikation mit Behörden. Auch Schreiben, die nicht von der Postkontrolle ausgenommen sind, sind direkt an die Gefangenen und keinesfalls an die Justizvollzugsanstalt zu adressieren.

 

4.3.8       Gerichtliche Berichtsanforderungen über politisch relevante Verfahren

In Strafverfahren, die in der Öffentlichkeit und im parlamentarischen Raum auf ein erhebliches Interesse stoßen, ist es üblich, dass die Staatsanwaltschaften und Gerichte dem Justizministerium Bericht erstatten. Staatsanwaltschaften sind hierzu durch eine Anordnung des Justizministeriums über Berichtspflichten in Strafsachen ausdrücklich verpflichtet. Das Justizministerium soll hierdurch in die Lage versetzt werden, parlamentarische sowie Presseanfragen direkt zu beantworten. Ein Abgeordneter des Schleswig-Holsteinischen Landtags bat das ULD, diese Praxis datenschutzrechtlich zu überprüfen.

Solche Berichte mit personenbezogenen Inhalten können nach dem Landesdatenschutzgesetz zulässig sein. Die Übermittlung setzt voraus, dass die Daten für die Erfüllung der durch Rechtsvorschrift zugewiesenen Aufgaben des Empfängers erforderlich sind. Die Kenntnis des Justizministeriums über den Stand von Verfahren ist unter bestimmten Voraussetzungen erforderlich, um gegenüber dem Parlament sowie den Medien sprech- und auskunftsfähig zu sein. Hierbei handelt es sich um gesetzliche und verfassungsrechtliche Aufgaben des Ministeriums. Die Fälle, über die berichtet wird, und der Umfang der Berichte im Einzelfall müssen sich jeweils auf das erforderliche Maß beschränken. Soweit es möglich ist, sollten die Berichte anonymisiert werden.

 

4.3.9       Ungeschwärzte Kontoauszüge für die Justiz – Prüfung bei Rechtspflegern

Einem Beklagten wurde in einem familiengerichtlichen Verfahren Prozesskostenhilfe gewährt; die Verfahrenskosten wurden gestundet. Nach einer gewissen Zeit überprüfte das Gericht die wirtschaftlichen Verhältnisse erneut, um zu entscheiden, ob die Stundung aufgehoben werden kann. Für diese Prüfung hat der Rechtspfleger die vollständigen ungeschwärzten Kontoauszüge vom Beklagten für die zurückliegenden sechs Wochen angefordert. Die Frage des ULD, ob eine teilweise Schwärzung der Kontoauszüge durch den Beklagten möglich ist (31. TB, Tz. 4.5.1), verneinte das Gericht. Sofern die Angaben im Kontoauszug auch nur teilweise geschwärzt würden, sei die gesetzlich vorgeschriebene Überprüfung der Selbsterklärung über die wirtschaftlichen Verhältnisse nicht oder nur noch eingeschränkt möglich.

Das ULD beanstandete die Aufforderung zur Vorlage ungeschwärzter Kontoauszüge. Für die Überprüfung kann auf eine vollständige Aufstellung aller Einnahmen und Ausgaben zugegriffen werden, auf der die Beträge erkennbar sind. Der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit verlangt aber die Zulassung von Schwärzungen in den Buchungstexten, wenn das Geheimhaltungsinteresse das Interesse an der Prüfung einer Buchung überwiegt. Dies kann bei Sollbuchungen über geringere Beträge und bei besonders geschützten personenbezogenen Daten – z. B. bei Angaben über ärztliche Behandlungen, Mitgliedsbeiträge an politische Parteien oder Gewerkschaften oder Zahlungen an Religionsgemeinschaften – der Fall sein. Auch das Bundessozialgericht erkennt in solchen Fällen das überwiegende Interesse des Betroffenen an, diese Angaben unkenntlich zu machen.

Das ULD wies darauf hin, dass das Gericht die von den Betroffenen zur Prüfung eingereichten Kontoauszüge nur in dem erforderlichen Umfang zur Akte nehmen darf. Nicht erforderliche Kontoauszüge müssen dem Betroffenen zurückgegeben oder vernichtet werden.

Nach Auffassung des Gerichts und des Justizministeriums unterliegt dieser Sachverhalt nicht der Kontrolle des ULD, da die Aufforderung zur Vorlage der Kontoauszüge durch einen Rechtspfleger erging. Rechtspfleger sind nach dem Gesetz unabhängig und weisungsfrei. Die Kontrolle durch das ULD ist nach dem LDSG hingegen nur ausgenommen bei Tätigkeiten, die in richterlicher Unabhängigkeit ausgeübt werden. Die im Grundgesetz verankerte richterliche Unabhängigkeit ist etwas anderes als die gesetzliche Unabhängigkeit der Rechtspfleger. Das Justizministerium sieht im Hinblick auf die Prüfkompetenz des ULD keinen Unterschied zwischen Rechtspflegern und Richtern und möchte eine grundsätzliche Klärung der damit verbundenen Rechtsfragen herbeiführen.

Was ist zu tun?
Der Zahlungsgrund kann besonders schutzwürdige Interessen der Betroffenen berühren. In solchen Fällen haben die Betroffenen einen Anspruch, bei Vorlage von Kontoauszügen Angaben zum Zahlungsgrund unkenntlich zu machen.

4.3.10    forumSTAR

Bei den Amtsgerichten und Landgerichten wird derzeit die Anwendung „MEGA“ durch „forumSTAR“ abgelöst (34. TB, Tz. 6.4.4). An der Verfahrenseinführung sind mehrere Stellen beteiligt. Die Gesamtverantwortung trägt das Justizministerium. Dort sind die Lenkungsgruppe, die Koordinierungsstelle, die Qualitätssicherung, das Controlling und das technische Projekt angesiedelt. Daneben gibt es beim Schleswig-Holsteinischen Oberlandesgericht eine Projektgruppe „forumSTAR“. Diese betreibt die fachliche Gestaltung des Verfahrens und die fachliche Administration, also z. B. die Rollenverwaltung. Die zentralen Komponenten des Verfahrens, eine Datenbank mit Adressdaten (u. a. von Rechtsanwälten) und ein Fileserver mit Formularen, werden bei Dataport betrieben. Angewendet wird das Verfahren bei den Gerichten der ordentlichen Gerichtsbarkeit, die damit personenbezogene Daten von Verfahrensbeteiligten erfassen und verarbeiten.

Aus dieser Arbeitsteilung ergeben sich unterschiedliche Aufgaben und Verantwortlichkeiten, die klar voneinander abgegrenzt werden müssen. Das Landesdatenschutzgesetz (LDSG) enthält eine Regelung für automatisierte Verfahren, die gemeinsam von mehreren Stellen betrieben werden. Danach kann die Verantwortung für die Gewährleistung der Ordnungsmäßigkeit des automatisierten Verfahrens von der Verantwortung für die gespeicherten Daten abgetrennt und auf eine zentrale Stelle übertragen werden. Dies ist für das Verfahren forumSTAR durch die oben beschriebene Aufgabenverteilung faktisch erfolgt. Zwar werden die Daten in der Anwendung forumSTAR von den Gerichten gespeichert. Die Verantwortung für die Ordnungsmäßigkeit des Gesamtverfahrens forumSTAR liegt aber beim Justizministerium.

Daraus ergeben sich für die Gewährleistung der Ordnungsmäßigkeit sowie der Kontrollfähigkeit des Verfahrens folgende Konsequenzen: Gemäß dem LDSG sind die zentrale Stelle sowie Einzelheiten über Sicherheit und Ordnungsmäßigkeit der Datenverarbeitung durch Rechtsverordnung festzulegen. In dieser Verordnung ist das Zusammenwirken der zentralen Stelle mit den Daten verarbeitenden Stellen, hier den Gerichten, sowie die Aufteilung von Aufgaben und Verantwortlichkeiten zu regeln. Diese Festlegungen sollten Grundlage für die nach dem LDSG und der Datenschutzverordnung (DSVO) zu erstellenden Dokumente sein.

Die unterschiedlichen Verantwortlichkeiten wirken sich auf den Test und die Freigabe der Verfahrenskomponenten aus. Den Regelungen in der DSVO liegt der Gedanke zugrunde, dass Tests und Freigaben, die gestuft erfolgen können, sich auf einzelne Bestandteile des Verfahrens beziehen können. Für die oben beschriebene Aufteilung von Aufgaben und Verantwortlichkeiten für das Verfahren forumSTAR folgt daraus, dass jede der beteiligten Stellen eine Freigabe für die von ihr zu verantwortenden Komponenten erteilen muss und diese zuvor entsprechend zu testen hat. Die zentralen technischen Komponenten müssen vom Justizministerium getestet und freigegeben werden. Für die fachlichen Komponenten liegt diese Zuständigkeit bei der Projektgruppe beim OLG. Den Gerichten obliegt der Test der dezentral vor Ort betriebenen Komponenten und deren Freigabe.

Auch die nach der DSVO zu erstellende Verfahrensdokumentation muss entsprechend der beschriebenen Verantwortlichkeiten erstellt werden. Automatisierte Verfahren können dabei in Teilbereiche gegliedert werden, für die jeweils eine eigene Dokumentation zu erstellen ist. Das Justizministerium hat dem ULD einen Entwurf für die Rechtsverordnung zur Stellungnahme übersandt. Danach übernimmt das Justizministerium als zentrale Stelle die Verantwortung für die Ordnungsmäßigkeit des Verfahrens.

Was ist zu tun?
Die Verordnung für die Einrichtung einer zentralen Stelle sollte zügig erlassen werden, damit die Verantwortlichkeiten der beteiligten Stellen klar geregelt sind.

 

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