4.3 Justizverwaltung
4.3.1 Neuregelung der DNA-Analyse zur Strafverfolgung
Im November 2005 trat das Gesetz zur Novellierung der forensischen DNA-Analyse in Kraft, das den Anwendungsbereich dieses Instruments ausdehnt und den Richtervorbehalt schwächt.
Negativprognose:
1. Straftat
a) von erheblicher Bedeutung oder Wiederholung einer nicht erheblichen Straftat, wenn gleichwertig, oder
b) Straftat gegen die sexuelle Selbstbestimmung
2. Gefahr der Wiederholung einer Straftat von erheblicher Bedeutung
Vor der Erhebung der genetischen Muster zur Speicherung in der BKA-Datei muss eine so genannte Negativprognose erfüllt sein, die in Zukunft leichter möglich ist. Die eingrenzenden Beispiele, wann eine Straftat von erheblicher Bedeutung vorliegt, wurden abgeschafft. Nach der Neuregelung ist zudem eine Speicherung in der DNA-Datei auch bei wiederholten Straftaten der einfachen und mittleren Kriminalität (z. B. Diebstähle) möglich.
Der Richtervorbehalt wird dadurch geschwächt, dass die Ermittlungsbehörden die DNA-Probe nunmehr aufgrund einer bloßen Einwilligung der betroffenen Person nehmen und auswerten können. Im Strafverfahren befinden sich die Betroffenen in der Regel in einer Drucksituation, in der sie die Tragweite einer Entscheidung nicht überblicken. Damit ist die Freiwilligkeit solcher Einwilligungen zweifelhaft, was zur Unwirksamkeit im Einzelfall führen kann.
Mit der Einwilligung zur Speicherung in der DNA-Datei wird den Betroffenen abverlangt, sich selbst eine Negativprognose auszustellen: Wer zustimmt, bestätigt damit nicht nur, dass er durch ein schwer wiegendes kriminelles Verhalten Anlass für eine Speicherung gegeben hat, sondern auch, dass von ihm nach wie vor eine Wiederholungsgefahr ausgeht. Dies kommt einer Selbstbezichtigung gleich, die niemandem zuzumuten ist.
Betroffene können die erteilte Einwilligung widerrufen. Der Widerruf der Einwilligung muss sich nach unserer Rechtsauffassung auf die Speicherung in der DNA-Datei auswirken.
Was ist zu tun?
Die Vereinbarkeit der Regelungen mit unserer Verfassung ist fraglich. Ermittlungsbehörden müssen die Betroffenen vor der Einwilligung zumindest umfassend aufklären und dabei insbesondere auf die Freiwilligkeit der Einwilligung, die Widerrufsmöglichkeiten, die Speicherungsdauer und die Weitergabe der Daten hinweisen.
4.3.2 Warum waren Sie in der Nähe des Tatortes?
Die Ermittlungsbehörden führen zunehmend Funkzellenabfragen durch. Hierbei werden alle Personen erfasst, die mit ihrem Mobiltelefon zu einem bestimmten Zeitraum innerhalb eines bestimmten Bereiches um einen Tatort kommuniziert haben.
Von persönlich betroffenen Journalisten wurden wir über die Praxis einer neuen Ermittlungsmethode informiert: Nach einer Brandstiftung in Bad Segeberg und einem Mord bei Ödendorf waren diese ebenso wie hunderte anderer Handynutzer angeschrieben bzw. angerufen und zur Straftat befragt worden. Viele Betroffene hatten – nicht ganz zu Unrecht – den Eindruck, sie würden dieser schweren Straftaten verdächtigt.
Unsere Prüfung zeigte, dass die eingesetzte Ermittlungsmaßnahme und der Umgang mit den erhobenen Daten problematisch sind. Die Abfrage der Handyverbindungsdaten darf sich nach dem Gesetz nur gegen Personen richten, die konkret in einem Strafverfahren Beschuldigte sind oder die für einen Beschuldigten Nachrichten übermittelt haben. In beiden Fällen hatten die Strafverfolgungsbehörden die erfassten Personen jedoch als Zeugen vernommen.
So haben die Ermittler im Bad Segeberger Fall an 641 Betroffene Fragebögen mit Zeugenbelehrung versandt, in denen nach dem Aufenthaltsort in der Tatnacht und nach besonderen Wahrnehmungen gefragt wurde. Sie wurden darauf hingewiesen, eine Überprüfung habe ergeben, dass mit ihrem Handy in der genannten Zeit in der Nähe des Tatortes telefoniert wurde. Für die Betroffenen war nicht eindeutig klar, dass gegen sie kein Tatverdacht besteht. Die Aussageverweigerungsrechte von Beschuldigten gehen weiter als die von Zeugen. Wir haben beanstandet, dass die Betroffenendaten zur Zeugenbefragung genutzt wurden.
Die Regelung in der Strafprozessordnung mag wegen ihrer unklaren Formulierung zu einer extensiven Anwendung einladen. Dies legitimiert aber nicht den äußerst sensiblen Eingriff bei einer derart großen Zahl von Menschen. Die Funkzellenabfrage greift in das Telekommunikationsgeheimnis zahlreicher unbescholtener Bürgerinnen und Bürger ein. Unter Umständen können mehrere tausend Nutzer von Mobiltelefonen betroffen sein. Deshalb sollten die Strafverfolgungsbehörden von diesem Instrument nur in eng begrenzten Ausnahmefällen Gebrauch machen. Die Gerichte sind nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts aufgefordert, die Verhältnismäßigkeit der Anordnungen im Einzelfall aufgrund der Tatortfakten zu begründen. Bevor eine Ansprache als Beschuldigter erfolgt, muss die Konkretisierung des Verdachts erfolgt sein.
Was ist zu tun?
Der begonnene Dialog zwischen Staatsanwaltschaft und ULD sollte fortgesetzt werden, um klare Kriterien für den Umgang mit den erlangten Daten zu finden.
Zurück zum vorherigen Kapitel | Zum Inhaltsverzeichnis | Zum nächsten Kapitel |