Freitag, 14. November 2014

3: Vorträge, Vorlesungen, Aufsätze

Eingangsstatement "Im Netz mit doppeltem Boden" Kunsthalle zu Kiel

Diskussionsrunde „Im Netz mit doppeltem Boden“ in der Kunsthalle zu Kiel am Freitag, 14.11.2014, 18:00

Eingangsstatement von Thilo Weichert, Leiter des Unabhängigen Landeszentrums für Datenschutz Schleswig-Holstein - ULD zum Verhältnis des Datenschutzes zur Kunst

„Im Netz mit doppeltem Boden“

Kunsthalle zu Kiel, Freitag, 14.11.2014, 18:00

Eingangsstatement von

Thilo Weichert, Leiter des Unabhängigen Landeszentrums für Datenschutz Schleswig-Holstein - ULD

Der Beitrag eines Datenschützers zur Kunst oder Kultur von Netzen muss artfremd ausfallen. Die Ästhetik von Netzen wird von ihm erstmal ebenso geleugnet wie etwa die Ästhetik von Daten – gar von personenbezogenen Daten. Die Netze, mit denen Datenschützer zu tun haben, sind funktional oder dysfunktional, sie sind mehr oder weniger finanziell ertragreich, sie sind sicher oder unsicher – sie sind aber nicht schön.

Sie sind schon deswegen nicht schön, weil sie weder greif-, noch hör- noch sichtbar sind. Sie entziehen sich unseren Sinnen und sind doch mehr existent als jedes vorstellbare Kunstwerk. Ihre Existenz vermittelt sich durch Daten, aus denen Menschen Informationen und Kommunikation machen. Die damit verbundene Erfahrung wird von vielen Menschen als schön empfunden, etwa wenn das Netz die Oma aus Deutschland mit dem Enkel in Australien verbindet, einschließlich Ton und Bild. Sie mag schön und unterhaltsam sein bei einem herunterladbaren Spielfilm oder einem gestreamten Musikstück, einem Online-Spiel oder einem E-Book-Angebot – vielleicht in digitaler Reproduktion der Originalausgabe aus der Zeit von Johannes Gutenberg, also des 15. Jahrhunderts. Wegen all dem lieben die Menschen das Netz, ohne dass ich als Datenschützer es lieben oder erst recht schön finden kann.

Dann gibt es noch die Wissenschaftler, für die das Netz eine informationelle Fundgrube ist, oder die Demokraten, die das Netz als das Nonplusultra pluraler offener Kommunikation und Diskussion erleben, weltweit in Echtzeit unter Überwindung nicht nur von Kultur-, sondern gar von Sprachgrenzen, wenn man nur das Übersetzungsprogramm von Google nutzt. Auch hier will sich Ästhetik bei mir nicht einstellen. Tatsächlich werden wir Datenschützer oft als Forschungs-, Demokratie- oder gar Kommunikationsverächter wahrgenommen.

Diesen Vorwurf weise ich dann zurück – muss ich zurückweisen. Der Nutzen des Netzes für die Vermittlung von Kunst und Kultur, für den demokratischen oder wissenschaftlichen Austausch, ja für die Vermittlung individueller oder kollektiver Zuneigung ist real – insbesondere, wenn diese Vermittlung technisch nicht banalisiert wird, etwa durch das Reduzieren auf das Betätigen eines „Gefällt-mir-Buttons“.

Trotzdem bleibt das Netz ein totes, genauer ein lebloses Etwas. Das Netz ist etwas, was nie gelebt hat. Das Netz ist eine Hülle, ein Gefäß, ein Werkzeug – es ist kein Inhalt. Etwas hilflos muss ich zur Kenntnis nehmen, dass hier in der Ausstellung manche Künstler das digitale Netz zur Inspiration für eine positive kreative Darstellung nahmen. Es ist die gleiche Hilflosigkeit, mit der ich Politikern und Geschäftsleuten, aber auch vielen pseudoprogressiven Nerds begegne, die meinen, das Netz sei eine kulturelle Errungenschaft. Diesen erwidere ich dann, um im Bild zu bleiben, dass das Netz allenfalls der Bilderrahmen ist, mit dem ein Kunstwerk an die digitale Wand gehängt werden kann.

Diese kritische Sicht hat damit zu tun, dass der Bilderrahmen auf dem Markt teurer gehandelt wird als das Kunstwerk. Es sind die Googles und Amazons, die mit ihren digitalen Rahmen ein Zig-Milliarden-Geschäft machen und die Kunstschaffenden zum produzierenden Proletariat reduzieren, das in diesem Fall nicht – im marxschen Sinne – dem Kapitel, das über die Produktionsmittel, sondern dem Portalbetreiber, der über das Kommunikationsmittel verfügt, den ökonomischen Mehrwert verschafft und dabei die Entfremdung des Menschen von seinen Bedürfnissen und damit letztlich seine Ausbeutung vorantreibt. Es ist verblüffend, wie sehr sich Produzenten wie auch Konsumenten von diesen digitalen Monopolisten entmündigen lassen. Es geht nicht mehr – nach Brecht – um „das Fressen oder die Moral“, sondern es geht um „den Konsum oder die Moral“. Ausgebeutet wird letztlich nicht unsere körperliche Existenz, sondern unser Geist, unsere Kultur, unsere Individualität, die mit keinem Algorithmus gemessen werden können.

Dies ist keine schöne, aber auch nicht unbedingt die hässlichste Seite des Netzes. Der digitale Konsumterror ist nur die Vorhölle zum realen Terror. Dieser kommt bei NSA und GCHQ noch aseptisch und abstrakt daher. Der reale Terror ist auch noch diffus, wenn statt der Rankingmaschine von Google oder den Werbfuzzis von Online-Anbietern der Staat unser Hirn mit Falschmeldungen benebelt, so wie es die legendäre 50-Cent-Armee in der Volksrepublik China macht oder wie es auch die digitalen Marketing-Experten anlässlich der letzten Wahl von Obama in den USA taten. Dieser reale Psychoterror überzieht uns mit einer – nur – vagen Ahnung von Kontrolle, Überwachung, Manipulation, Diskriminierung und Fremdbestimmung, einer allenfalls diffusen Angst. Zum realen Terror wird das Netz, wenn es unschuldige Menschen zu Terroristen macht, wenn es reale Bomben abwerfen lässt oder wenn es über analoge Endgeräte Menschen in reale Kerker wirft und realer Folter aussetzt.

Meine Demontage des Netzes als Kunstwerk hat nun nicht zur Folge, dass ich die Nützlichkeit dieses Netzes leugne. Im Gegenteil: Das Netz existiert und wird in seiner schlichten Digitalität weiterhin existieren. Das Netz kann heute ein nützlicher digitaler Rahmen für menschliche Kreativität sein und sollte es auch morgen sein und werden. Als Datenschützer bin ich kein Künstler. Das werde und will ich auch nicht sein. Doch verstehe ich meine Aufgabe, dafür zu arbeiten, dass das Netz ein nützlicher Rahmen für digitalisierte Kreativität wird, in dem das uns vom deutschen Bundesverfassungsgericht gegebene Ziel verwirklicht wird. Dieses Gericht hat dieses Ziel „informationelle Selbstbestimmung“ genannt und schon im Jahr 1983 zu einem Grundrecht erhoben.

Um das Ziel „informationeller Selbstbestimmung“ zu verwirklichen, brauchen wir die Kreativen, die Künstler. Immer wieder treffe ich auf verzweifelte Fernsehjournalisten, die mich fragen, wie sie meine Datenschutzbotschaften, meine Bewertung informationeller Fremdbestimmung, bebildern sollen. Inzwischen treffe ich aber auch schon auf Kameraleute und Redakteure, die aus dem farb-, ton- und materiefreien Netz sinnlich erlebbare Geschichten machen.

Lange Zeit zweifelte auch ich, ob nach George Orwells „1984“ noch ein Datenschutzroman geschrieben werden könnte. Verblüfft hat mich dann Udo Jürgens, mit seinem Lied “Der gläserne Mensch“, in dem er singt „Gefangen im Netz – gegen jedes Recht und Gesetz“. Lassen Sie mich zwei Strophen zitieren, die in ihrer schlichten Wahrheit und musikalisch untermalt zweifellos Kunst sind:

„Wo ist deine Späre noch privat, wo sind Netzwerke denn sozial? Du hast deinen festen Speicherplatz, Menschen als Glas – völlig digital.

Wir werden verraten und verkauft, Spionage ist Strategie. Kontrolle total – ganz unkontrolliert. Und das Netz vergisst dich nie.“

Das Lied von Udo Jürgens ist bisher ein Unikat geblieben. Anders als etwa von dreißig Jahren die Friedens-, die Anti-Atom- oder die Umwelt-Bewegung hat die Anti-Überwachungsbewegung, bzw. positiv formuliert die „digitale Bürgerrechtsbewegung“ noch keine eigene Musikkultur und auch noch keine eigene Kunstkultur entwickelt. Doch schriftstellerische Werke wie „Der Circle“ oder „Zero“ haben schon die Bestsellerlisten erobert. Der Spielfilm „Minority Report“ verursacht schon seit Jahren ein unbehagliches und zugleich äußerst unterhaltsames Schaudern. So leb- und kulturfrei das Netz ist, so sehr hat das Netz für unser Leben und unsere Kultur Relevanz, und so sehr benötigen wir Bürgerrechtler die Kulturschaffenden bei der Auseinandersetzung um Ästhetik und Bürgerrechte in unserer digitalisierten und vernetzten Informationsgesellschaft.

Anhang:

Daten

Thilo Weichert, Datenschutzbeauftragter Schleswig-Holstein

Beitrag zur Ausstellung „Netz. Vom Sinnen in der Kunst“ in der Kunsthalle zu Kiel vom 28.07.-16.11.2014

Daten – englisch „Data“ – sind das Verbindungsglied zwischen der digitalen bzw. virtuellen und der analogen und damit wirklicheren Welt. Mit ihnen werden Merkmale, Sachverhalte, Dinge und insbesondere auch Menschen beschrieben. Diese Beschreibungen – als Texte, Tabellen, Tondateien oder Bilder – werden in ein digitales Format verwandelt, also in eine unendlich erscheinende Folge von Nullen und Einsen. Durch diese Verwandlung vom Körperlichen zum Elektronischen gewinnen sie eine neue Eigenschaft: die Beschreibungen lassen sich speichern, übermitteln, verschlüsseln, auswerten, analog reproduzieren – grenzenlos, in fast beliebiger Quantität und Qualität.

Daten sind nicht zwangsläufig Informationen, doch werden sie zielgerichtet verwendet, so sind sie aussagekräftig – auch über Menschen. Dann sprechen wir von personenbezogenen Daten, die sog. Datenschutzbeauftragte schützen sollen. Ein sprachliches Missverständnis: Datenschutzbeauftragte schützen nicht Daten, sondern Menschen und deren informationelle Selbstbestimmung. Sie schützen den Menschen nicht vor seiner Digitalisierung, sondern vor der Enteignung seiner Daten, von der fremdbestimmten Trennung des Digitalen von der analogen Realität.

Die Daten-Enteignung, die informationelle Fremdbestimmung hat ein geniales Medium gefunden – das Netz, genauer: das Internet. Es sorgt dafür, dass die Daten ohne Beschränkung von Raum und Zeit überall verfügbar gemacht werden können. Unser modernes Leben kennt weitere solche genialen Werkzeuge. Eines wird Big Data genannt. Big Data verspricht die Verwandlung von Daten in Erkenntnisse – völlig automatisiert, ohne großes menschliches Zutun. Manche glauben deshalb, dass Daten mit Big Data – zumindest viele – Menschen überflüssig machen können. Vielleicht irren sie sich dabei.

Daten gehören zunächst niemandem. Als personenbezogene Informationen sind sie nicht nur gefährlich, sondern auch segensreich. Sie können zur Selbstverwirklichung und Selbstdarstellung verwendet werden. Sie können der Kommunikation mit anderen dienen, zur Identitätsfindung beitragen. Daten – nicht nur über Menschen, sondern über die Umwelt allgemein – können von uns – analoge Menschen aus Fleisch und Blut – „verarbeitet“ werden. Auch daraus können Erkenntnisse entstehen. Wieder ist es das Internet, das uns diese Daten vermittelt. Diese Erkenntnisse können zur informationellen Selbstbestimmung jedes Einzelnen aber auch von Gruppen verwendet werden.

Werden nicht Daten, sondern Menschen vernetzt, dann entstehen Beziehungen, im besten Fall Gemeinschaften. Digitale „Soziale Netzwerke“ vernetzen nur Daten. Deshalb sind sie nicht sozial, doch sie können sozial genutzt werden.

Daten machen nichts mit den Menschen. Menschen machen mit Daten. Damit können wir anderen Menschen viel antun. Im positiven Fall sind dies analoge Freude, Unterhaltung, Bildung, Zeitvertreib, die Produktion von analogen Waren, Dienstleistungen und Wissen. Daten können aber auch destruktiv verwendet werden, wobei dann gerne ein „Cyber“ vorangestellt und englisch gesprochen wird: -War, -Crime, -Mobbing, -Attack. Auch das Böse wird so wieder analog. Schuld sind aber auch dann nicht die Daten – sondern die Menschen. Wir haben die Daten nicht nur im Netz und auf dem Rechner, wir haben sie auch in der Hand. Deshalb müssen wir mit den Daten – gut und selbstbestimmt – leben lernen.