3: Vorträge, Vorlesungen, Aufsätze
Datenschutz – (k)eine Barriere!? Schutz von Kindern gegen Vernachlässigung und Gewalt
Sozialdatenschutz in der täglichen Sozialarbeit – Sicherheit im Handeln
Ein Vortrag von Torsten Koop, Mitarbeiter beim Unabhängigen Landeszentrum für Datenschutz Schleswig-Holstein anläßlich der Fachtagung des Ministerium für Soziales, Gesundheit, Familie, Jugend und Senioren am 22.03.2006 in Elmshorn
"Jeder hat Anspruch darauf, dass die ihn betreffenden Sozialdaten von den Leistungsträgern nicht unbefugt erhoben, verarbeitet oder genutzt werden (Sozialgeheimnis)"
Sicherheit im Handeln, die Sicherheit das Sozialgeheimnis zu beachten, setzt eine ausreichende Kenntnis der Vorschriften zum Sozialdatenschutz voraus.
Die Tätigkeit beim Unabhängigen Landeszentrums für Datenschutz lehrt, dass die Unsicherheit im Handeln häufig auf die Unkenntnis der zu beachtenden Vorschriften zurückzuführen ist. Dabei zeigt sich bei näherer Betrachtung der maßgeblichen Regelungen, dass der (Sozial-) Datenschutz keine Behinderung darstellt, sondern dem einzelnen Mitarbeiter in der Jugendhilfe ein komfortables rechtliches Gerüst für seine tägliche Arbeit gibt.
Die folgenden Ausführungen sollen dazu beitragen, bestehende Unsicherheiten zu beseitigen.
I. Welche Vorschriften finden Anwendung?
Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter der Träger der öffentlichen Jugendhilfe finden die für sie maßgeblichen Vorschriften insbesondere in den Sozialgesetzbüchern I, VIII und X sowie im Landesdatenschutzgesetz. Die Vorschriften des SGB X sind immer dann anzuwenden, wenn das SGB VIII keine abweichenden Regelungen beinhaltet.
Werden Einrichtungen und Dienste der Träger der freien Jugendhilfe in Anspruch genommen, so ist sicherzustellen, dass der Schutz der personenbezogenen Daten bei der Erhebung und Verwendung in entsprechender Weise gewährleistet ist (§ 61 Abs. 3 SGB VIII). Der Träger der freien Jugendhilfe muss daher wie ein Träger der öffentlichen Jugendhilfe die Vorschriften zum Sozialdatenschutz beachten. Der öffentliche Träger hat insoweit eine Garantenstellung. Erfüllt ein Träger der freien Jugendhilfe eine Aufgabe für einen öffentlichen Träger oder erhält er von diesem Daten, so rückt er damit in die datenschutzrechtliche Stellung des Trägers der öffentliche Jugendhilfe (so Kunkel im GK-SGB VIII). Es ist jedoch zu beachten, dass nicht alle Vorschriften zum Sozialdatenschutz "eins zu eins" auf freie Träger der Jugendhilfe übertragen werden können.
Wird ein freier Träger der Jugendhilfe autonom tätig, erhält dieser also weder Daten noch einen Auftrag vom öffentlichen Träger, so finden die Vorschriften zum Sozialdatenschutz keine Anwendung. Es gelten insoweit die Vorschriften des Dritten Abschnitts des Bundesdatenschutzgesetzes (BDSG).
Unabhängig davon, ob ein Mitarbeiter bei einem Träger der öffentlichen oder der privaten Jugendhilfe tätig ist, muss jeder einzelne Mitarbeiter die strafrechtliche Schweigepflicht (besser bekannt als ärztliche Schweigepflicht) beachten, wenn er einer der in § 203 Abs. 1 Strafgesetzbuch (StGB) genannten Berufsgruppen angehört (Jugendberater, staatlich anerkannte Sozialarbeiter oder staatlich anerkannte Sozialpädagogen).
II. Begriffsbestimmungen
II.1 Daten / Sozialdaten
Der Schutzbedarf von Daten ist abhängig von der Art der Daten.
Daten sind Einzelangaben über persönliche oder sachliche Verhältnisse einer bestimmten oder bestimmbaren Person (§ 2 Abs. 1 Landesdatenschutzgesetz, § 3 Abs. 1 Bundesdatenschutzgesetz). Daten sind also jede Art von Informationen wie Familienstand, Nationalität, Angaben zu einer Erkrankung, Schul- / Berufsbildung, politische oder religiöse Anschauung, die einer natürlichen Person zugeordnet sind bzw. zugeordnet werden können. Man spricht insoweit von personenbezogenen oder personenbeziehbaren Daten.
Werden Daten von einem Sozialleistungsträger im Hinblick auf dessen Aufgabenerfüllung erhoben, verarbeitet oder genutzt, so werden aus diesen Daten Sozialdaten (§ 67 Sozialgesetzbuch X – SGB X). Für Sozialdaten gelten die Vorschriften zum Sozialdatenschutzes (§ 35 SGB I, §§ 61 ff SGB VIII, §§ 67 ff SGB X)
Sozialleistungsträger... sind die in den §§ 18 bis 29 genannten Körperschaften, Anstalten und Behörden (§ 12 SGB I). Hierzu gehören u.a. die Rentenversicherungsträger, die gesetzlichen Krankenkassen und die Bundesagentur für Arbeit, aber auch die Sozial- und Jugendämter der Kreises und kreisfreien Städte.
Sozialdaten, die einem Mitarbeiter eines Trägers der öffentliche Jugendhilfe zum Zweckpersönlicher und erzieherischer Hilfe anvertraut worden sind, unterliegen zudem einem besonderen Vertrauensschutz (§ 65 SGB VIII).
II.2 Anonymisieren / pseudonymisieren von Daten
Anonymisierte Daten unterliegen nicht den Vorschriften zum Sozialdatenschutz. Eine Anonymisierung setzt jedoch voraus, dass die Einzelangaben über persönliche oder sachliche Verhältnisse nicht mehr oder nur mit einem unverhältnismäßigen großen Aufwand an Zeit, Kosten und Arbeitskraft einer bestimmten oder bestimmbaren natürlichen Person zugeordnet werden können (§ 67 Abs. 8 SGB X).
Für die Praxis relevanter dürfte die Pseudonymisierung von Sozialdaten sein (§ 67 Abs. 8a SGB X). Bei der Pseudonymisierung wird der Name und andere Identifikationsmerkmale wie Geburtsdatum oder Anschrift durch ein Kennzeichen zu dem Zweck, die Bestimmung des Betroffenen auszuschließen oder wesentlich zu erschweren, ersetzt. Mittels einer Referenzliste können die Kennzeichen / Pseudonyme den Betroffenen zugeordnet werden. In der Pseudonymisierung von Daten liegt ein praktikabler Lösungsansatz, um die Zusammenarbeit verschiedener Stellen zu ermöglichen, ohne Klardaten hierbei zu verwenden, so z.B. für eine datenschutzrechtlich unproblematische Supervision oder die Erörterung von Fallkonstellationen in kriminalpräventiven Räten.
Der Gesetzgeber fordert daher, dass vor einer Übermittlung an eine Fachkraft, die der verantwortlichen Stelle nicht angehört, die Sozialdaten zu anonymisieren oder zu pseudonymisieren sind, soweit die Aufgabenerfüllung dies zuläßt (§ 64 Abs. 2a SGBVIII).
III. Die einzelnen Phasen der Datenverarbeitung
Sozialdaten sind in jeder Phase einer Datenverarbeitung zu schützen. Welche Vorschriften zu beachten sind, hängt davon ab, welche Daten zu schützen sind.
III.1 Das Erheben von Daten
Fast jede Tätigkeit in der Jugendhilfe beginnt mit der Erhebung von Daten. Das Beschaffen von Daten über einen Betroffenen (§ 3 Abs. 3 BDSG; § 67 Abs. 5 SGB X) kann auf vielfältige Weise geschehen: schriftlich oder mündlich.
Besondere Beachtung gebührt schon bei der Datenerhebung dem Grundsatz der Erforderlichkeit.
Mitarbeiter der öffentlichen Träger bzw. Mitarbeiter eines beauftragten freien Trägers der Jugendhilfe dürfen Daten nur erheben, soweit deren Kenntnis zur Erfüllung einer Aufgabe des Jugendhilfeträgers erforderlich ist. Die entsprechende Rechtsgrundlage findet sich in den §§ 62 Abs. 2 SGB VIII und 67a Abs. 1 SGB X.
Welche Aufgaben ein öffentlicher Jugendhilfeträger hat, definiert insbesondere das SGB VIII. Die Erforderlichkeit, also welche Daten benötigt werden, um die gestellte Aufgabe ordnungsgemäß erfüllen zu können, ist aus fachlicher Sicht zu begründen. Eine gängige und in der Praxis häufig verwendete Kontrollfrage zur Einschätzung der Erforderlichkeit lautet: Kann ich meine Aufgabe auch ohne diese Daten ordnungsgemäß erfüllen? Wer die Frage mit einem "Ja" oder "Eigentlich schon" beantwortet, sollte seine Datenerhebung noch einmal überdenken. Die Erforderlichkeit ist nicht mit "interessant" oder "vielleicht benötige ich die Information später einmal" gleichzusetzen.
Wichtig ist zudem, dass der Betroffene über die Rechtsgrundlage der Erhebung sowie die Zweckbestimmung der Erhebung und Verwendung aufzuklären ist, soweit diese nicht offenkundig ist (§§ 62 Abs. 2, 67a Abs. 3 SGB X). Der Gesetzgeber fordert also eine ausreichende Transparenz gegenüber den Betroffenen ein.Wird ein freier Träger der Jugendhilfe autonom tätig, so dürfen entsprechend § 28 Abs. 1 Nr. 1 BDSG personenbezogene Daten erhoben werden, wenn es der Zweckbestimmung eines Vertragsverhältnisses oder vertragsähnlichen Vertrauensverhältnisses mit dem Betroffenen dient. Das Leistungsangebot als die "Aufgabe" eines autonom tätig werdenden freien Jugendhilfeträgers wird sich i.d.R. an den Regelungen des SGB VIII orientieren, und wird im konkreten Einzelfall durch den jeweiligen "Vertrag" mit dem/den Betroffenen konkretisiert. Auch das BDSG schreibt vor, dass bei der Erhebung personenbezogener Daten die Zwecke, für die Daten verarbeitet oder genutzt werden sollen, konkret festzulegen sind (§ 28 Abs. 1 Satz 2 BDSG). Damit gilt auch hier letztlich der Erforderlichkeitsgrundsatz (vgl. Simitis in Simitis (Hrsg.), Kommentar zum BDSG, 5. Aufl. 2003, Rn. 91 zu § 28). .
III.2 Die Datenspeicherung
Der Grundsatz der Erforderlichkeit ist auch bei der Datenspeicherung zu beachten (§ 63 Abs. 1 SGB VIII, § 67c Abs. 1 Satz 1 SGB X). Wiederum ist die Erforderlichkeit primär aus fachlicher Sicht zu definieren. Aus datenschutzrechtlicher Sicht kann nur eine Plausibilitätsprüfung erfolgen.
Sozialdaten dürfen in der Jugendhilfe konventionell in (Papier-) Akten oder elektronisch gespeichert werden.
Jeder Datenbestand eines öffentlichen Jugendhilfeträgers, ob nun in Form einer Akte oder einer elektronischen Datei unterliegt datenschutzrechtlich (auch) der Verantwortung des Leistungsträgers. Es kann und darf keine "privaten" Datenbestände einzelner Mitarbeiter innerhalb des öffentlichen Leistungsträgers geben. Ein Leistungsträger sollte für alle Mitarbeiter verbindlich festlegen, welche konventionellen und elektronischen Datenbestände von welchen Mitarbeitern zu führen sind (§ 78a SGB X).
Eine durchdachte Datenspeicherung ist Grundlage für die nachfolgende Datenverarbeitung. Werden nur die erforderlichen Daten in offiziellen Datenbeständen nach allgemein bekannten und für alle Mitarbeiter verbindlichen Regelungen gespeichert, so bereiten Übermittlungsersuchen oder Akteneinsichtsbegehren weniger mühe. So empfiehlt sich z.B. in einer Jugendamtsakte die besonders zu schützenden Daten der persönlichen und erzieherischen Hilfe gesondert zu speichern ("Lasche").
III.3 Die Übermittlung von (Sozial-) Daten
Allgemeines
Übermitteln ist das Bekanntgeben von Daten an einen Dritten in der Weise, dass die Daten an einen Dritten weitergegeben werden oder der Dritte zur Einsicht oder zum Abruf bereitgehaltener Daten einsieht oder abruft (§ 67 Abs. 6 Nr. 3 SGB X).
Weitergehend als die Übermittlung ist das Offenbaren von Daten. So führt Lenckner in der Kommentierung von Schönke/Schröder zum § 203 Strafgesetzbuch aus: Offenbart ist ein Geheimnis, wenn es in irgendeiner Weise an einen anderen gelangt. Sicherlich ist diese Formulierung apodiktisch. So setzt eine Offenbarung zudem voraus, dass von dem Geheimnis, dass an den Dritten weitergegeben wurde, der Dritte keine sichere Kenntnis hatte oder diesem die geheime Tatsache verborgen war. Zudem wird i.d.R. eine gewissen aktive Handlung oder eine vorwerfbare Unterlassung nachzuweisen sein.
Die rechtlichen Anforderungen an eine Übermittlung steigen mit dem Schutzbedarf der Sozialdaten.
Drei Sicherheitsstufen sind zu beachten.
1. Sozialdaten allgemein
Grundsätzlich gilt für jeden Sozialleistungsträger, dass eine Übermittlung von Sozialdaten nur zulässig ist, soweit eine gesetzliche Übermittlungsbefugnis nach den §§ 68 bis 77 SGB X oder einer anderen Rechtsvorschrift in diesem Gesetzbuch vorliegt (§ 67d SGB X). Es gilt der Grundsatz: "Es ist alles verboten, es sei denn es ist erlaubt!" Neben den gesetzlichen Übermittlungsbefugnissen kommt die Einwilligung des Betroffenen als Befugnisgrundlage in Betracht (§ 67b Abs. 2 SGB X).
2. "einfache" Sozialdaten in der Jugendhilfe
Für Sozialdaten im Bereich eines öffentlichen Jugendhilfeträgers bzw. eines beauftragten freien Jugendhilfeträgers gilt einschränkend, dass diese nur zu dem Zweck übermittelt werden, zu dem sie erhoben wurden (§ 64 SGB VIII). Der Erfolg einer zu gewährenden Jugendhilfeleistung darf nicht in Frage gestellt werden (§ 64 Abs. 2 SGB VIII).
Für freie Träger der Jugendhilfe die nicht im Rahmen eines Auftrages eines öffentlichen Trägers tätig werden, gilt nach § 28 Abs. 1 Nr. 1 BDSG, dass das Übermitteln personenbezogener Daten zulässig ist, wenn es der Zweckbestimmung des Vertragsverhältnisses bzw. vertragsähnlichen Vertrauensverhältnisses dient. Damit kommt es darauf an, ob die Übermittlung im Rahmen der Hilfemaßnahme liegt, wegen derer die Daten erhoben wurden.
3. Sozialdaten in der Jugendhilfe, die dem besonderen Vertrauensschutz der persönlichen und erzieherischen Hilfe unterliegen
Sozialdaten, die dem Mitarbeiter eines Trägers der öffentlichen Jugendhilfe zum Zweck persönlicher und erzieherischer Hilfe anvertraut worden sind, unterliegen dem besonderen Vertrauensschutz der persönlichen und erzieherischen Hilfe.
Anvertraut sind alle Daten, die einem Mitarbeiter im Vertrauen auf seine besondere Schutzpflicht in der Erwartung mitgeteilt worden sind, dass sie Dritten nicht zugänglich sind (so Kunkel im GK-SGB, § 65 SGB VIII, Rz 8). Daten die dem Mitarbeiter auf sonstige Weise bekanntgeworden sind, z.B. bei einer Beobachtung anläßlich eines Hausbesuches sind hingegen keine "anvertrauten Daten" i.S.d.
§ 65 SGB VIII.Sie dürfen nur
- mit Einwilligung dessen, der die Daten anvertraut hat, oder
- unter bestimmten Bedingungen dem Vormundschafts- oder dem Familiengericht, oder
- dem Mitarbeiter, der auf Grund eines Wechsels der Fallzuständigkeit im Jugendamt oder eines Wechsels der örtlichen Zuständigkeit für die Gewährung oder Erbringung der Leistung verantwortlich ist, wenn Anhaltspunkte für eine Gefährdung des Kindeswohls gegeben sind und die Daten für eine Abschätzung des Gefährdungsrisikos notwendig sind, oder
- an die Fachkräfte, die zum Zwecke der Abschätzung des Gefährdungsrisikos nach § 8a SGB VIII hinzugezogen wurden, oder
- unter den Voraussetzungen, unter denen eine in § 203 Abs. 1 oder 3 StGB genannte Person dazu befugt wäre,
weitergegeben werden.
Stets ist zu beachten, dass nach § 67d Abs. 2 SGB X die Verantwortung für die Zulässigkeit der Übermittlung die übermittelnde Stelle trägt.
Für die Übermittlung von Sozialdaten die dem besonderen Vertrauensschutz des § 65 SGB VIII bzw. § 203 StGB unterliegen gilt, dass der übermittelnde Mitarbeiter "persönlich" die Verantwortung trägt.
Im Folgenden soll dargelegt werden, welche zentralen Vorschriften zu beachten sind, wenn Mitarbeiter der öffentlichen oder freien Träger der Jugendhilfe Daten an Dritte bzw. dritte Stellen übermitteln wollen bzw. müssen um den Schutz von Kindern gegen Vernachlässigung und Gewalt sicherzustellen.
IV. Übermittlungsvorschriften im Bereich der Jugendhilfe (Sicherheitsstufe 2 und 3)
Im Hinblick auf den "Schutz von Kindern gegen Vernachlässigung und Gewalt" gibt es zentrale Normen, auf deren Grundlage eine Übermittlung von Sozialdaten zulässig ist.
Der Suche nach der richtigen Befugnisnorm liegt stets die Problematik zugrunde, dass ein Mitarbeiter der Jugendhilfe über Informationen verfügt, die aus fachlicher Sicht notwendigerweise einer dritten Stelle oder Person übermittelt werden sollen, damit diese mit den ihr zur Verfügung stehenden Möglichkeiten eine Gefährdung des Wohls eines Kindes oder Jugendlichen abwendet.
Eine Übermittlung von Sozialdaten aus den besonders geschützten Bereich der Jugendhilfe hinaus an eine dritte Stelle bzw. Person. berührt zwangsläufig das Vertrauensverhältnis zwischen Mitarbeiter und Kind bzw. Jugendlichen. Erschwerend kommt hinzu, dass der Aufgabenbereich einer dritten Stelle bzw. Person nicht identisch mit dem originären Hilfeansatz des Jugendhilfeträgers sein muss. Deutlich wird dies bei der Einschaltung der Polizei. Es bedarf daher einer sorgfältigen Prüfung der Erforderlichkeit der beabsichtigten Übermittlung.
IV. 1 Die Einwilligung
Um das Vertrauensverhältnis zwischen Mitarbeiter und Jugendlichen nicht unnötig zu belasten, ist an erster Stelle die Einholung einer Einwilligung der betroffenen Personen (Jugendlicher, Sorgeberechtigte, ...) in Betracht zu ziehen.
Aber nur eine im datenschutzrechtlichen Sinne wirksame Einwilligung, die den gesetzlichen Anforderungen entspricht, stellt eine ausreichende Übermittlungsbefugnis i.S.d. § 65 SGB VIII respektive § 203 StGB dar. Nicht jede Unterschrift erfüllt die Voraussetzungen. Auch das ein Betroffener "schweigt", also einer Übermittlung nicht widerspricht, kann nicht in jedem Fall als Einwilligung gewertet werden.
Im Rahmen der Aktion "Datenschutz in meiner Arztpraxis (siehe www.datenschutzzentrum.de/medizin) hat das ULD eine Ausarbeitung dazu veröffentlicht, was eine "Schweigepflichtsentbindungserklärung" beinhalten muss. Aus der Erklärung muss sich zweifelsfrei ergeben, wer wen warum bzw. wofür und wie lange von der Schweigepflicht entbindet und welche Daten an wen übermittelt werden sollen. Jede Schweigepflichtsentbindungserklärung kann jederzeit widerrufen werden. Der vollständige Beitrag ist unter www.datenschutzzentrum.de/medizin/arztpraxentbind.htm abrufbar.
Die Einwilligung bedingt naturgemäß eine umfassende Transparenz. Nur ein Betroffener, der eine im wesentlichen zutreffende Vorstellung davon hat, worin er einwilligt, und die Bedeutung und Tragweite seiner Entscheidung zu überblicken vermag, kann wirksam einwilligen. Er muss deshalb wissen, aus welchem Anlass und mit welcher Zielsetzung er welche Personen von der Schweigepflicht entbindet und über Art und Umfang der Einschaltung Dritter unterrichtet sein (BGH, NJW 1992, 2348, 2350).
Eine Einwilligung bedarf grundsätzlich der Schriftform, soweit nicht wegen besonderer Umstände eine andere Form angemessen ist. In dem hier fraglichen sensiblen Bereich dürfte grundsätzlich die Schriftform zu fordern sein.
Zu beachten ist, dass auch Jugendliche u.U. eine wirksame Einwilligung erteilen können, soweit sie auf Grund ihrer Entwicklung bzw. Einsichts- und Urteilsfähigkeit in der Lage sind, Bedeutung und Tragweite ihrer Einwilligung zu überblicken.
Bei einer Vernachlässigung oder Gewalt gegen Kindern ist die Einholung einer Einwilligung nicht in jedem Fall möglich. Insbesondere wenn Kinder / Jugendliche bzw. Sorgeberechtigte nicht mit der Übermittlung einverstanden sind, stellt sich die Frage nach einer alternativen gesetzlichen Übermittlungsbefugnis.
IV.2 Die gesetzlichen Übermittlungsbefugnisse
Schon vor dem zum 01.10.2005 in Kraft getretene Kinder- und Jugendhilfeweiterentwicklungsgesetz (KICK) bestanden verschiedene gesetzliche Übermittlungsbefugnisse.
Nicht jede dieser Übermittlungsbefugnisse stellt (ausschließlich) auf die Aufgabenwahrnehmung nach dem SGB VIII ab.
Sozialdaten, die nicht dem besonderen Vertrauensschutz der persönlichen und erzieherischen Hilfe unterliegen, können bzw. müssen von einem Jugendamt in vielfältigen rechtlichen Konstellationen übermittelt werden.
So müssen Mitarbeiter der öffentlichen Träger der Jugendhilfe auf Ersuchen den Polizeibehörden, den Staatsanwaltschaften und Gerichten, den Behörden der Gefahrenabwehr oder zur Durchsetzung öffentlich-rechtlicher Ansprüche zur Erfüllung von deren Aufgaben Name, Vorname, Geburtsdatum, Geburtsort, derzeitige Anschrift des Betroffenen, seinen derzeitigen oder zukünftigen Aufenthalt sowie Namen und Anschriften seiner derzeitigen Arbeitgeber übermitteln, soweit kein Grund zur Annahme besteht, dass dadurch schutzwürdige Interessen des Betroffenen beeinträchtigt werden (§ 68 SGB X).
Nach § 69 Abs. 1 Nr. 1 SGB X ist eine Übermittlung von Sozialdaten an Dritte bzw. dritte Stellen möglich, wenn dies für die eigene Aufgabenerfüllung oder für die Aufgabenerfüllung eines anderen Sozialleistungsträgers, erforderlich ist. Für viele Sozialleistungsträger ist § 69 Abs. 1 Nr. 1 SGB X die zentrale Befugnisnorm für eine Übermittlung. Jugendhilfeträger müssen aber beachten, dass die Übermittlung von Sozialdaten nach § 69 Abs. 1 Nr. 1 SGB X nur möglich ist, soweit dadurch der Erfolg einer zu gewährenden Leistung nicht in Frage gestellt wird (§ 64 Abs. 2 SGB VIII). Eine noch weitergehende Einschränkung erfährt § 69 Abs. 1 Nr. 1 SGB X dadurch, dass Sozialdaten, die dem besonderen Vertrauensschutz der persönlichen und erzieherischen Hilfe unterliegen, nicht auf der Grundlage von § 69 Abs. 1 Nr. 1 SGB X übermittelt werden dürfen.
Weiter sieht § 69 Abs. 1 Nr. 2 SGB X vor, dass Sozialdaten übermittelt werden dürfen, soweit dies für die Durchführung eines mit der Erfüllung einer Aufgabe des Jugendhilfeträgers zusammenhängenden gerichtlichen Verfahrens einschließlich des Strafverfahrens erforderlich ist. Aufgabe des Jugendhilfeträgers ist aber gerade nicht die Strafverfolgung. Zudem ist wiederum zu beachten, dass diese Regelungen gerade nicht für Daten gelten, die dem besonderen Vertrauensschutz der persönlichen und erzieherischen Hilfe unterliegen.
Für die freien Träger der Jugendhilfe, die nicht im Auftrag eines öffentlichen Trägers tätig werden, finden die §§ 68, 69 SGB X keine Anwendung. Es gilt, dass nach § 28 Abs. 1 BDSG nur insoweit Daten übermittelt werden dürfen, wie dies der Zweckbestimmung eines Vertragsverhältnisses oder des vertragsähnlichem Vertrauensverhältnisses dient. Der Wille des Betroffenen ist also entscheidend.
Das SGB X weist noch eine Vielzahl weiterer Übermittlungsbefugnisse auf, die im Rahmen der hier zu erörternden Fragestellung "Schutz von Kindern gegen Vernachlässigung und Gewalt" jedoch vernachlässigt werden können.
Für Daten, die dem besonderen Vertrauensschutz der persönlichen und erzieherischen Hilfe unterliegen gelten folgende Regelungen:
Für die öffentlichen Träger der Jugendhilfe bzw. die freien Träger der Jugendhilfe, soweit sie im Auftrag der öffentlichen Träger tätig werden bzw. von diesen Daten erhalten haben, wurden durch die §§ 8a, 65 Abs. 1 Nr. 4 SGB VIII weitere Reaktionsmöglichkeiten bei einer Gefährdung von Kindern bzw. Jugendlichen geschaffen.
Werden einem Jugendamt gewichtige Anhaltspunkte für die Gefährdung des Wohls eines Kindes oder Jugendlichen bekannt, so hat es zukünftig nach § 8a Abs. 1 SGB VIII zur Einschätzung des Gefährdungsrisikos mehrere Fachkräfte einzuschalten.
Vor Übermittlung an eine Fachkraft, die der verantwortlichen Stelle nicht angehört, sind die Daten zu anonymisieren oder zu pseudonymisieren, soweit die Aufgabenerfüllung dies zulässt (§ 64 Abs. 2a SGB VIII). Nur soweit erforderlich, dürfen einer externen Fachkraft auch personenbezogene Daten übermittelt werden, die dem besonderen Vertrauensschutz in der persönlichen und erzieherischen Hilfe nach § 65 SGB VIII unterliegen (§ 65 Abs. 1 Nr. 4 SGB VIII).
Soweit zur Abwendung der Gefährdung das Tätigwerden anderer Leistungsträger, der Einrichtungen der Gesundheitshilfe oder der Polizei notwendig ist, hat das Jugendamt auf die Inanspruchnahme durch die Personensorgeberechtigten oder die Erziehungsberechtigten hinzuwirken. Ist ein sofortiges Tätigwerden erforderlich und wirken die Personensorgeberechtigten oder die Erziehungsberechtigten nicht mit, so schaltet das Jugendamt die anderen zur Abwendung der Gefahr zuständigen Stellen ein (§ 8a Abs. 4 SGB VIII).
Diese Regelung des § 8a Abs. 4 SGB VIII entbindet den Mitarbeiter des öffentlichen Trägers jedoch nicht von seiner Garantenstellung gegenüber den besonders zu schützenden Daten, die ihm in der persönlichen und erzieherischen Hilfe anvertraut wurden (§ 65 SGB VIII). Diese Daten dürfen auch weiterhin nur unter den Voraussetzungen des § 65 SGB VIII übermittelt werden.
Verweigert also derjenige, der dem Jugendamt die Daten anvertraut hat - dies kann der Jugendliche bzw. der Sorgeberechtigte, aber auch ein Dritter sein - seine Einwilligung in die Übermittlung der Daten, so ist eine Übermittlung nur noch zulässig
- an das Vormundschafts- oder Familiengericht zur Aufgabenerfüllung nach § 8a Abs. 3 SGB VIII,
- an den Mitarbeiter, der auf Grund eines Wechsels der örtlichen Zuständigkeit für die Gewährung oder Erbringung der Leistung verantwortlich ist, wenn Anhaltspunkte für eine Gefährdung des Kindeswohls gegeben sind und die Daten für eine Abschätzung des Gefährdungsrisikos notwendig sind, oder
- unter den Voraussetzungen, unter denen eine der in § 203 Abs. 1 und 3 StGB genannten Personen dazu befugt wäre.
Die zuletzt genannte Alternative ist aus datenschutzrechtlicher Sicht die Alternative, die am häufigsten Fragen aufwirft. "Wann darf ein Sozialarbeiter nach § 203 StGB die ihm anvertrauten Daten entgegen dem Willen des Jugendlichen, der Sorgeberechtigten bzw. dessen, der die Daten ihm anvertraut hat einer dritten Stelle, wie z. B. der Polizei oder Staatsanwaltschaft übermitteln?"
Auch § 203 StGB kennt als primäre Übermittlungs- bzw. Offenbarungsbefugnis die Einwilligung, die sogenannte Schweigepflichtsentbindungserklärung.
§ 138 StGB definiert eine Anzeigepflicht für bestimmte schwere und zukünftige Straftaten wie z. B. Mord und Totschlag. Eine Fallkonstellation die glücklicherweise nur in seltenen Fällen erfüllt sein dürfte.
Als eine weitere "Offenbarungsbefugnis" wird häufig der "Rechtfertigende Notstand" genannt. Die entsprechende Vorschrift findet sich in § 34 StGB.
Der Gesetzgeber hat Folgendes definiert: Wer in einer gegenwärtigen, nicht anders abwendbaren Gefahr für Leben, Leib, Freiheit, Ehre, Eigentum oder ein anderes Rechtsgut eine Tat begeht, um die Gefahr von sich oder einem anderen abzuwenden, handelt nicht rechtswidrig, wenn bei Abwägung der widerstreitenden Interessen, namentlich der betroffenen Rechtsgüter und des Grades der ihnen drohenden Gefahren, das geschützte Interesse das beeinträchtigte wesentlich überwiegt. Das gilt jedoch nur, soweit die Tat ein angemessenes Mittel ist, die Gefahr abzuwenden (§ 34 StGB).
Mitarbeiter der öffentlichen bzw. freien Träger der Jugendhilfe, die der besonderen beruflichen Schweigepflicht des § 203 StGB ("Patienten-/Mandanten- Klientengeheimnis") unterliegen, müssen sich, wenn sie von einer drohenden Gefahr bzw. Vernachlässigung eines Kindes bzw. Jugendlichen erfahren und hierüber die Polizei unterrichten wollen, insbesondere folgende Fragen stellen:
- Handelt es sich wirklich um eine konkrete Gefahr für Leben, Leib oder Freiheit des Kindes/Jugendlichen?
- Dauert die Gefährdung des Kindes/Jugendlichen an?
- Kann die Gefährdung des Kindes/Jugendlichen durch die Unterrichtung einer dritten Stelle, wie z.B. der Polizei oder der Staatsanwaltschaft abgewendet werden?
- Sind alle anderen Möglichkeiten, die Gefährdung des Kindes/Jugendlichen abzuwenden geprüft worden und sind als nicht zielführend eingeschätzt worden?
- Hat der Jugendliche, die Sorgeberechtigten bzw. die Person, die die Daten anvertraut hat, die Einwilligung in die Datenübermittlung verweigert bzw. konnte, z.B. aus Zeitgründen nicht gefragt werden?
Nur wenn alle Fragen mit "Ja" beantwortet werden, darf der Mitarbeiter die Daten und auch dann nur soweit zwingend erforderlich übermitteln.
Es empfiehlt sich dringend, den Entscheidungsprozeß von der Datenerhebung bis hin zur Datenübermittlung nachvollziehbar zu dokumentieren.
- Der betriebliche / behördliche Datenschutzbeauftragter
Öffentliche Stelle in Schleswig-Holstein sollen nach § 10 Landesdatenschutzgesetz (LDSG) einen behördlichen Datenschutzbeauftragten bestellen. Private Stellen mit mehr als vier Mitarbeitern, die Daten automatisiert (EDV) bzw. mit mehr als zwanzig Mitarbeitern die Daten konventionell (Papierakte) verarbeiten, müssen einen betrieblichen Datenschutzbeauftragten bestellen.
Nähere Informationen dazu, wer zum betrieblichen Datenschutzbeauftragten bestellt werden darf, inwieweit Fachkunde und Zuverlässigkeit erforderlichen ist, welche Aufgaben, welche Rechte und welche Pflichten der betriebliche Datenschutzbeauftragte hat und Beispiele dafür, wie dieser seine Tätigkeit wahrnehmen kann finden sich in dem Beitrag "Datenschutzbeauftragte in der Arztpraxis". Der Beitrag ist unter
www.datenschutzzentrum.de/medizin
veröffentlicht.
Es dürfte unstrittig sein, dass ein geschulter behördlicher bzw. betrieblicher Datenschutzbeauftragter jede Mitarbeiterin bzw. jeden Mitarbeiter bei der Frage, was kann bzw. darf ich im konkreten Fall aus datenschutzrechtlicher Sicht unternehmen, um ein Kind oder einen Jugendlichen gegen Vernachlässigung oder Gewalt zu schützen.