Besonderheiten bei der Einsichtnahme von Patienten in psychiatrische Behandlungsunterlagen
zur Einsichtnahme in psychiatrische Behandlungsunterlagen gibt das ULD SH die folgenden Hinweise:
Grundsätzlich gilt, dass auch in diese Unterlagen der Patient ein Einsichtsrecht hat. Dieser Anspruch ergibt sich direkt aus dem Behandlungsvertrag, aber auch aus dem Recht auf Selbstbestimmung und auf personale Würde (BVerfG NJW 1999, 1777f) gemäß Art. 1 Abs. 1 i.V.m. Art. 2 Abs. 1 GG. Ärztliche Krankenunterlagen mit ihren Angaben über Anamnese, Diagnose und therapeutische Maßnahmen betreffen den Patienten unmittelbar in seiner Privatsphäre. Außerdem sieht das Standesrecht in den ärztlichen Berufsordnungen vor, dass dem Patienten auf Verlangen Einsicht zu gewähren ist. In Schleswig-Holstein ist § 10 Abs. 2 BOÄ maßgebend.
Entscheidend ist, dass nur Aufzeichnungen über objektive physische Befunde und Berichte über Behandlungsunterlagen wie Medikation und Operationen vom Einsichtsrechts betroffen sind (st.Rspr.). Das Einsichtsrecht kann sich in Einzelfällen aber auch auf den sensiblen Bereich nicht objektivierter Befunde erstrecken (BGHZ 106, 146,151): Dieses Einsichtsrecht in subjektive Daten wie Aufzeichnungen und Anmerkungen des Arztes bedarf auf Grund schützenswerter Interessen des Arztes, des Patienten oder Dritter einer Abwägung. Liegt die Einwilligung desjenigen, dessen Interessen betroffen sind, vor, so ist die Einsicht zu erteilen. Da subjektive Bewertungen grundsätzlich nicht dokumentationspflichtig sind und insofern auch nicht in jedem Fall ein Einsichtsanspruch besteht, sollte jeweils im Einzelfall geprüft werden, ob auf solche Anmerkungen in der Akte verzichtet werden kann.
Der Patient kann vom Arzt Einsicht in die Originalunterlagen verlangen sowie Abschriften der Unterlagen fertigen. Die Vorlage der Akte hat an dem Ort zu erfolgen, wo sie sich befindet, mithin beim Arzt (entsprechend § 811 BGB).
Wenn sich in den begehrten Unterlagen noch Hinweise auf Berichte und Auskünfte Dritter befinden, gilt diesen Dritten gegenüber allerdings ebenfalls die ärztliche Schweigepflicht. Diese Drittbetroffenen sind um eine schriftliche Einwilligung in die Einsichtnahme und damit um ihre Schweigepflichtentbindungserklärung zu ersuchen, soweit die Angaben für den Einsichtsbegehrenden ein "Geheimnis" sind. Wird die Schweigepflichtentbindung nicht erklärt, so müssen diese Unterlagen aus der Krankenakte bei der Einsichtnahme entfernt werden oder aber bei der Fertigung der Kopien ausgelassen werden. Entsprechendes gilt hinsichtlich persönlicher Anmerkungen oder Bewertungen des behandelnden Arztes.
Besonderheiten gelten nun in Bezug auf psychiatrische Behandlungen. Dort kommt der Entscheidung des Arztes, ob eine Aushändigung der Krankenunterlagen an den Patienten medizinisch verantwortbar ist, besonderes Gewicht zu (BVerfG NJW 1999, 1777). Allerdings darf der Arzt auch nach einer psychiatrischen Behandlung die Herausgabe der Krankenunterlagen nicht pauschal unter Hinweis auf ärztliche Bedenken verweigern. Er hat die entgegenstehenden therapeutischen Gründe vielmehr nach Art und Richtung näher zu kennzeichnen, allerdings ohne die Verpflichtung, dabei ins Detail zu gehen.
Im Hinblick auf die Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichtes wurden Kriterien herausgearbeitet, wie auch im psychiatrischen Bereich, in dem den subjektiven Berichten erhöhte Aufmerksamkeit zu widmen ist, das Einsichtsrecht gestaltet werden kann, ohne leer zu laufen. Danach ist stets eine Abwägung im Einzelfall unter Berücksichtigung der konkreten Umstände zu treffen, und zwar auch hinsichtlich der nicht objektivierten Befunde einer psychiatrischen Behandlung: Der Arzt hat sich bei seiner Entscheidung, ob er die Einsichtnahme auch in die subjektiven Aufzeichnungen gewährt, einerseits an dem aus dem Persönlichkeitsrecht abgeleiteten Anspruch des Patienten auf Wissen um die Diagnose und die Behandlung, andererseits aber auch an medizinisch begründeten Patientenschutzinteressen zu orientieren. Solche Schutzinteressen sind insbesondere gegeben, wenn infolge der Einsicht in die gesamte Behandlungsakte eine Selbstgefährdung des Patienten droht. Darüber hinaus hat der Arzt bei seiner Entscheidung Interessen Dritter zu berücksichtigen, die in die Behandlung einbezogen worden sind. Er kann aber auch eigene Interessen an der Erhaltung der therapeutischen Handlungsfähigkeit mit berücksichtigen. Bei noch nicht abgeschlossener Behandlung kann eine Verweigerung eher begründet werden als in den Fällen, in denen die Behandlung bereits seit Jahren beendet oder abgebrochen ist. Ist eine Einsichtnahme aus medizinischen Gründen nur in Anwesenheit des behandelnden oder eines anderen Arztes vertretbar, so muss vor einer Verweigerung von dieser Möglichkeit Gebrauch gemacht werden.
Sollte der Arzt aus Gründen des Patientenschutzes oder des eigenen Schutzes die Einsicht verweigern wollen, sollte er prüfen, ob er sich mit dem Patienten auf eine Gewährung der Einsicht an eine neutrale Person, die das Vertrauen des Patienten genießt, einigen kann. Notfalls können einzelne Teile der Behandlungsdokumentation vor der Einsichtnahme des Patienten in den verbleibenden Teil entfernt werden.