Freitag, 10. März 2017

Kieferorthopädische Behandlung mit Zuhörern und Zuschauern

Wie ist die zeitgleiche Behandlung mehrerer Patienten in einem Behandlungsraum datenschutzrechtlich zu bewerten? Welche Anforderungen werden an eine wirksame Einwilligungserklärung der Patienten in diese Behandlungsform gestellt? Welche Daten dürfen keinesfalls an Dritte übermittelt werden? Dieser Bericht soll aufzeigen, was bei einer Behandlung von mehreren Patienten in einem Behandlungsraum beachtet werden muss.

Wo bleibt das Patientengeheimnis, wenn mehrere Patienten zeitgleich in einem Behandlungsraum behandelt werden?

Ein Kind weint vor Schmerzen, den Eltern eines zweiten Kindes wird die Rechnung präsentiert, die in den folgenden Jahren auf sie zukommt. Die Familie des dritten Kindes wartet auf die Behandlung und verfolgt gespannt die Gespräche und Behandlungen der anderen Patienten.

In der Vergangenhreit schilderten verunsicherte Patienten dem Unabhängigen Landeszentrum für Datenschutz Schleswig-Holstein (ULD), dass bis zu sieben Behandlungsstühle den Behandlungsraum eines Kieferorthopäden füllen würden. Mehrere Patienten, in der Regel Kinder und Jugendliche, würden zeitgleich betreut und behandelt werden. Oft wären zudem die Eltern oder andere Angehörige anwesend. Vertrauliche Gespräche oder Behandlungen wären so kaum möglich. Neugierige Patienten würden mithören und zuschauen.  

Kieferorthopäden argumentieren, diese "gemeinsame" Behandlung würde insbesondere bei Kindern Ängste abbauen. Auch Kinder besitzen ein Schamgefühl. Einem Kind kann es unangenehm sein, wenn andere Personen z.B. ihr Weinen mithören können. Eltern sind sicher auch nicht begeistert, wenn Sie ihre finanzielle Situation vor anderen Patienten ausbreiten müssen.

Wie ist die zeitgleiche Behandlung mehrerer Patienten in einem Behandlungsraum datenschutzrechtlich zu bewerten?

Kieferorthopäden sind nicht-öffentliche Stellen i.S.d. Dritten Abschnitts des Bundesdatenschutzgesetzes (BDSG). Die Zulässigkeit der Datenerhebung, -verarbeitung und -nutzung richtet sich nach § 28 BDSG. Zusätzlich haben Kieferorthopäden die Vorschriften zur ärztlichen Schweigepflicht zu beachten. Dies sind insbesondere § 5 der Berufsordnung der Zahnärztekammer Schleswig-Holstein (Satzung) sowie § 203 Strafgesetzbuch (StGB).

Nach § 203 Abs. 1 Nr. 1 StGB wird, wer unbefugt ein fremdes Geheimnis, namentlich ein zum persönlichen Lebensbereich gehörendes Geheimnis oder ein Betriebs- oder Geschäftsgeheimnis, offenbart, das ihm als Arzt, Zahnarzt... anvertraut worden oder sonst bekannt geworden ist, mit einer Freiheitsstrafe bis zu einem Jahr oder mit Geldstrafe bestraft.

Offenbarung bedeutet auch, Dritten die Möglichkeit zu bieten, Patientendaten zur Kenntnis zu nehmen, die diese nicht oder nicht in diesem Umfang bzw. dieser Form kennen. Wenn andere Patienten "zuhören" können, weil die Behandlung von Patienten in einem Raum stattfindet, in dem sich ggf. weitere Patienten und deren Begleitpersonen aufhalten, kann dieses zu einer "passiven" Offenbarung von Patientengeheimnissen führen. In Behandlungsräumen mag zwar ein erhöhter Lärmpegel durch die verschiedenen Behandlungsvorgänge herrschen, eine Datenübermittlung an unbefugte Dritte ist jedoch nicht auszuschließen.

Reicht es nicht aus, wenn die Patienten schriftlich in diese Form der Behandlung einwilligen?

Eine Offenbarung von Patientengeheimnissen ist zulässig, wenn der Patient hierin eingewilligt hat. An die Wirksamkeit einer Einwilligungserklärung sind jedoch Anforderungen geknüpft. Der Bundesgerichtshof führte aus, dass eine wirksame Einwilligung im Sinne von § 203 StGB bedingt, dass der Einwilligende eine im Wesentlichen zutreffende Vorstellung davon hat, worin er einwilligt. Die Bedeutung und Tragweite seiner Entscheidungen muss zu überblicken sein. Er muss wissen, aus welchem Anlass und mit welcher Zielsetzung er welche Personen von der Schweigepflicht entbindet und über Art und Umfang der Einschaltung Dritter unterrichtet sein (BGH, NJW 1992, S. 2348, 2350).

Nach § 4a BDSG ist die Einwilligung nur wirksam, wenn sie auf der freien Entscheidung des Betroffenen beruht. Die Einwilligung bedarf der Schriftform, soweit nicht wegen besonderer Umstände eine andere Form angemessen ist. Soll die Einwilligung zusammen mit anderen Erklärungen schriftlich erteilt werden, ist sie besonders hervorzuheben. Eine detaillierte Beschreibung, was bei der Gestaltung einer Schweigepflichtsentbindung zu beachten ist, ist zu finden unter

www.datenschutzzentrum.de/medizin-soziales/

in unserem Beitrag "Erklärung zur Entbindung von der Schweigepflicht", der gemeinsam mit der Zahnärztekammer SH erarbeitet wurde.

Eine wirksame Einwilligungserklärung gem. § 4a BDSG setzt voraus, dass der Betroffene zuvor auf den vorgesehenen Zweck der Erhebung, Verarbeitung oder Nutzung sowie, soweit nach den Umständen des Einzelfalles erforderlich oder auf Verlangen, auf die Folgen einer Verweigerung der Einwilligung hingewiesen wurde.

In eine Datenübermittlung an Dritte kann zudem nur wirksam eingewilligt werden, wenn dem Betroffenen bewusst ist, welche Daten in der Zukunft übermittelt werden. Am Anfang einer Behandlung dürfte dies jedoch in den wenigsten Fällen feststehen. Weder der Patient noch der Arzt wissen zu diesem Zeitpunkt, welche Informationen im Laufe der folgenden Behandlung im Behandlungsraum ausgetauscht werden. Bereits zu diesem Zeitpunkt wird aber vom Patienten erwartet, dass er seine Einwilligung erteilt. Eine solche Einwilligung ist grundsätzlich unwirksam.

Eine nicht wirksame Einwilligung stellt keine Offenbarungsbefugnis dar. Ohne Offenbarungsbefugnis ist die Offenbarung jedoch unzulässig und u.U. sogar strafbar.

Sicherlich kann ein Kieferorthopäde zu Beginn der Behandlung über die beabsichtigte Behandlung mehrerer Patienten in einem Raum informieren. Er kann auch den Patienten darauf hinweisen, dass diese Form der Behandlung die Offenbarung von Patientendaten bedingen kann. Der Kieferorthopäde wird aber zu diesem frühen Zeitpunkt nicht abschließend auflisten können, welche Daten in welchem Fall wem tatsächlich offenbart werden. Letztendlich wird ein Patient also nur insoweit wirksam in diese Offenbarung einwilligen können, wie sich diese auf Grundinformationen zur Behandlung beschränkt.

Besonders sensible Daten wie z.B. Gespräche über die Gestaltung der Therapiebehandlung mit der Erörterung der Diagnose oder die Klärung der Kostenübernahme werden in der Regel nicht Gegenstand einer informierten Einwilligung sein können und dürfen nicht im Beisein anderer Patienten offenbart werden. Diese Auffassung vertritt auch die Zahnärztekammer SH.

Was ist also zu tun?

Aus datenschutzrechtlicher Sicht ist die Behandlung eines Patienten in einem Behandlungsraum zu favorisieren. Nur so lässt sich wirklich ausschließen, dass Unbefugte Kenntnis von Daten anderer Patienten erhalten. Die Beziehung zwischen Patient und Kieferorthopäden, die auf einem Vertrauensverhältnis basiert, würde dadurch gestärkt werden.

Möchte ein Kieferorthopäde aus medizinischen oder organisatorischen Gründen mehrere Patienten zugleich in einem Behandlungsraum behandeln, so muss er sich bewusst sein, dass dies eine Offenbarung von Patientendaten bedeutet.

Den ggf. strafrechtlichen Folgen einer unbefugten Offenbarung von Patientendaten setzt sich der Kieferorthopäde nur dann nicht aus, wenn die betroffenen Patienten zuvor wirksam hierin einwilligen. Eine umfassende Aufklärung der Patienten, welche Daten durch diese Form der Behandlung ggf. Dritten offenbart werden, schafft Transparenz und Vertrauen und ist Grundvoraussetzung für eine wirksame Schweigepflichtsentbindung.

Die Erörterung der Therapiegestaltung oder die Klärung der Kostenübernahme muss in diskreten Einzelgespräch erfolgen, da in der Regel nicht davon ausgegangen werden kann, dass der betroffene Patient in die Offenbarung dieser Daten an Dritte einwilligt bzw. eingewilligt hat. Hierfür muss der Kieferorthopäde die räumlichen und organisatorischen Voraussetzungen schaffen.