Patientengeheimnis: Vertrauen ist gut – doch eine Kontrolle soll wegfallen!? Drohende Verschlechterungen im Entwurf für das neue Bundesdatenschutzgesetz
Marit Hansen, Leiterin des Unabhängigen Landeszentrums für Datenschutz Schleswig-Holstein (ULD), kommentiert dies:
„Nach den Errungenschaften, die – auch dank des Einsatzes der Bundesrepublik in den Verhandlungen – in der Datenschutz-Grundverordnung für den Datenschutz erzielt werden konnten, sollte man nun eigentlich Verbesserungen auch im deutschen Datenschutzrecht erwarten. Das Gegenteil ist der Fall: Wird der Gesetzentwurf in der von der Bundesregierung vorgelegten Form beschlossen, drohen empfindliche Einbußen für die Datenschutzrechte der Bürgerinnen und Bürger.“
Besonders gravierend sind die folgenden geplanten Einschnitte:
1. Fehlende Kontrolle von Berufsgeheimnisträgern
Die Kontrolle des Datenschutzes bei den sogenannten Berufsgeheimnisträgern soll ersatzlos wegfallen.
Wir alle müssen uns irgendwann Ärzten, Therapeuten und Apothekern anvertrauen. Wir alle wollen darauf vertrauen können, dass unsere (Patienten-)Geheimnisse sicher geschützt werden. Dabei ist Vertrauen gut, aber manchmal ist Kontrolle nötig. Diese Kontrolle wird bisher durch die Datenschutz-Aufsichtsbehörden wahrgenommen, d. h. in Schleswig-Holstein durch das ULD. Patienten und andere Betroffene können sich gegenwärtig an das ULD wenden und Missstände und mutmaßliche Datenschutzverstöße melden. Das ULD ist Datenschutz-Aufsichtsbehörde für Ärzte und viele weitere Gesundheitsberufe wie z. B. Logopäden, Hebammen, Psychotherapeuten und Krankengymnasten. Ebenso unterliegen die in Sucht-, Familien-, Ehe- oder Schuldnerberatungsstellen, bei freien Trägern der Jugendhilfe oder SGB II-Maßnahmeträgern tätigen Sozialarbeiter und Sozialpädagogen einer Datenschutz-Aufsicht. Das ULD muss den Beschwerden nachgehen und kann die Datenverarbeitung der Berufsgeheimnisträger kontrollieren, auch soweit es um Daten geht, die unter die Schweigepflicht der genannten Berufsgruppen fallen.
Dieses funktionierende Kontrollsystem soll nun ohne Not beseitigt werden. Der Entwurf für ein neues Bundesdatenschutzgesetz (BDSG) sieht vor, dass die Kontrollbefugnis der Datenschutz-Aufsichtsbehörden wegfällt, wenn die fraglichen Daten der Schweigepflicht unterliegen. Und ersetzt werden soll die Kontrolle durch die Datenschutz-Aufsichtsbehörden mit: Nichts.
Künftig könnte das ULD nicht mehr die Fälle aufklären, wenn Patienten Fragen zur fehlenden Diskretion in einer Arztpraxis haben, zu falschen Angaben in der Pflegeakte, zu Patientendaten, die auf dunklen Wegen zu Krankenkassen, Pharmaunternehmen oder privaten Versicherungen wandern, zu Computern, die gehackt wurden, oder zu Dienstleistern, die per Handschlag mit der Verarbeitung von Patientendaten beauftragt werden.
Hinzukommt, dass die Bundesregierung gerade mit einem anderen Gesetzentwurf es den Berufsgeheimnisträgern erleichtern will, externe Auftragsverarbeiter einzusetzen. Auch deren Tätigkeit soll nach dem BDSG-Entwurf der Datenschutz-Kontrolle entzogen sein.
Marit Hansen stellt dazu fest:
„Es ist völlig unverständlich, dass nun gerade die am stärksten schutzbedürftigen Informationen faktisch vom Datenschutz ausgenommen werden sollen. Die möglichen Gefährdungen der Gesundheitsdaten nehmen zu, doch der BDSG-Entwurf lässt die Kontrolle wegfallen.
Die vorgesehene Änderung des BDSG kann auch nicht im Interesse der Ärzte und der anderen Medizinberufe sein. Nicht nur drohen rein praktisch die Standards für die Vertraulichkeit zu sinken – mit allen negativen Auswirkungen für die Patienten. Es drohen auch Nachteile für die Ärzte: Jeder etwaige Verstoß kann künftig nur noch mit dem scharfen Schwert des Strafrechts verfolgt werden. Sollte das Gesetz so in Kraft treten, wird das ULD letztlich allen, die Verstöße melden, empfehlen müssen, diese der Staatsanwaltschaft anzuzeigen.“
2. Beschränkung der Betroffenenrechte
Transparenz über die Datenverarbeitung ist Grundvoraussetzung für das Recht auf informationelle Selbstbestimmung. Jede Bürgerin und jeder Bürger hat daher einen Anspruch zu erfahren, welche öffentlichen und nicht-öffentlichen Stellen welche Daten über die eigene Person in welcher Weise und zu welchen Zwecken verarbeitet. Entsprechende Informationen müssen die verantwortlichen Stellen von sich aus bereitstellen. Außerdem haben die betroffenen Personen einen Auskunftsanspruch gegenüber verantwortlichen Stellen. Diese Transparenz wird mit dem vorgelegten Entwurf erheblich eingeschränkt. Verantwortliche Stellen sollen von ihrer Informationspflicht befreit werden, wenn diese einen unverhältnismäßigen Aufwand verursachen würden. Hier wird die Transparenz für die Betroffenen zugunsten einer Einsparung von Verwaltungsaufwand für die verantwortlichen Stellen eingeschränkt. Diese Einschränkung ist in der Datenschutz-Grundverordnung nicht vorgesehen und somit verfassungs- wie europarechtlich äußerst bedenklich.
Auch der Auskunftsanspruch der Betroffenen soll erheblich eingeschränkt werden. Würden Daten nur noch aufgrund von gesetzlichen oder vertraglichen Aufbewahrungsfristen gespeichert, bräuchte die verantwortliche Stelle über diese Daten keine Auskunft zu erteilen. Damit würde eine große Menge von Daten vom Auskunftsanspruch ausgenommen, zum Beispiel Daten, die für steuerliche Zwecke aufbewahrt werden müssen, aber auch diejenigen Verkehrsdaten, die Telekommunikationsanbieter nach der sogenannten Vorratsdatenspeicherung aufbewahren müssen. Ob diese Daten tatsächlich, wie vom Gesetzentwurf gefordert, gegen eine Verwendung zu anderen Zwecken wirksam geschützt sind, können die Betroffenen mangels Information darüber nicht prüfen oder durch die Aufsichtsbehörden prüfen lassen.
3. Ausufernde Verarbeitungsmöglichkeiten von Gesundheitsdaten
Der Gesetzentwurf sieht zur Verarbeitung von Gesundheitsdaten sehr weitgehende Regelungen ohne Interessenabwägung vor. Er schafft damit zu allgemeine gesetzliche Verarbeitungsbefugnisse sowohl für nicht-öffentliche als auch öffentliche Stellen. Es werden zudem keine verbindlichen technisch-organisatorischen Schutzmaßnahmen geregelt. Dies kann zu Lücken im gebotenen Grundrechtsschutz führen.
4. Unkonkrete Vorgaben beim technischen Datenschutz
Der Entwurf zum Bundesdatenschutzgesetz liefert Steine statt Brot, was die technisch-organisatorische Gestaltung von Datenverarbeitungssystemen angeht: Zwar könnte man diesen Vorwurf schon an die sehr abstrakt gehaltene Datenschutz-Grundverordnung und die parallel beschlossene Datenschutz-Richtlinie für Justiz und Inneres richten. Jedoch hätte der nationale Gesetzgeber die Hinweise aus dem europäischen Recht aufgreifen können, nach denen Hersteller ermutigt werden sollen, Produkte, Dienste und Anwendungen datenschutzgerecht zu entwickeln und zu gestalten. Ebenso fehlt die Klarstellung, dass die Grundsätze des technischen Datenschutzes auch bei öffentlichen Ausschreibungen aufgenommen werden sollen.
Außerdem verändert der BDSG-Entwurf die Terminologie der europäischen Gesetzeswerke und schränkt damit den adressierten Personenkreis bei der Risikobetrachtung ein: Statt „Risiken für Rechte und Freiheiten natürlicher Personen“ einzudämmen, geht es in dem deutschen Entwurf um die „Gefahr für Rechtsgüter betroffener Personen“. Risiken für (noch) nicht betroffene Personen und Effekte wie Einschüchterung und Diskriminierung geraten damit aus dem Blick.
Ergebnis
Das Unabhängige Landeszentrum für Datenschutz Schleswig-Holstein appelliert an den Bundesrat, keine Verschlechterungen im Datenschutz zuzulassen. Bundes- und Landesgesetzgeber sollten die Chancen aus der europäischen Datenschutzreform aufgreifen, um das Datenschutzniveau – und damit den Schutz der Grundrechte – zu verbessern.
Bei Nachfragen wenden Sie sich bitte an:
Unabhängiges Landeszentrum für Datenschutz Schleswig-Holstein
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Tel: 0431 988-1200, Fax: -1223
E-Mail: mail@datenschutzzentrum.de