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Datenschutzrechtliche Rahmenbedingungen bei der Zusammenarbeit von Jugendhilfe und Polizei bei der Kriminalitätsbekämpfung und -verhütung
Anmerkungen zu den Leitlinien für die Zusammenarbeit zwischen dem Amt für soziale Dienste (der Landeshauptstadt Kiel) und der Polizei (Polizeiinspektion Kiel)
vom Oktober 1999, aktualisierte Fassung der Anmerkungen vom 11.07.2000, Az: 72.02/98.002
A. Ausgangssachverhalt
Die in der Landeshauptstadt Kiel festgestellte wachsende Jugenddelinquenz, insbesondere bei Gewaltdelikten, veranlasste die Polizeiinspektion und das Amt für Soziale Dienste (ASD) zu einer verstärkten Kooperation. Dies führte zur gemeinsamen Erarbeitung der Leitlinien. Das damit etablierte Kooperationssystem steht auch anderen Institutionen offen (z.B. Staatsanwaltschaft, Gerichte, Schulen).
Zweck der Kooperation ist der unmittelbare und schnelle Erfahrungsaustausch "auf allen Ebenen der sozialarbeiterischen und polizeilichen Tätigkeit". Maßnahmen sollen "miteinander verzahnt und im Einzelfall aufeinander abgestimmt" werden. Bei der Zusammenarbeit sollen die unterschiedlichen Aufgabenstellungen beider Behörden und deren Selbständigkeit nicht in Frage gestellt werden. Der Austausch personenbezogener Daten finde "seine Grenzen in den datenschutzrechtlichen Vorgaben".
Der ASD will seine "Möglichkeiten zur Verfügung stellen, die Polizei im Rahmen der Anwendung der Diversionsrichtlinien zu unterstützen". Durch die Vernetzung der polizeilichen Maßnahmen mit denen der Jugendhilfe werde erreicht, dass parallel und ergänzend zur strafrechtlichen Konsequenz delinquenten Verhaltens auch weitere sinnvolle und notwendige Schritte zur Beratung und Hilfe eröffnet werden können". Alle Interventionen sollen im Rahmen eines gemeinsamen Gesamtkonzeptes "auf den Einzelfall abgestimmt" werden.
Zur Forderung des gegenseitigen Verständnisses für die Aufgabenstellungen und Methoden der Arbeit der beiden Partner werden "für die MitarbeiterInnen Möglichkeiten geschaffen, durch Hospitation Einblicke in die Arbeit der jeweiligen anderen Institution zu erhalten".
Es finden "regelmäßige Koordinationstreffen auf der Leitungsebene der Polizei und des Amtes für Soziale Dienste" statt.
In jedem Sozialzentrum und in der Jugendgerichtshilfe für Heranwachsende wird ein fester Ansprechpartner für die Zusammenarbeit mit der Polizei eingesetzt. In den vier Revierbereichen der Jugendgerichtshilfe wird es jeweils einen Ansprechpartner geben. Bei der Polizei werden Jugendsachbearbeiter die Aufgabe des Kontaktes übernehmen. Dieser soll "schnell und unbürokratisch" erfolgen.
Bei konkreten Gefährdungstatbeständen (z. B. Täterschaft von Kindern und Jugendlichen, Vernachlässigung von bzw. Gewalt gegen Kinder und Jugendliche, verwahrloste Wohnungen, Drogentreffpunkte) erfolgt eine unmittelbare Mitteilung an den ASD durch die Polizei. Ziel der Zusammenarbeit sind "gemeinsame Handlungsstrategien". Bzgl. der "Rückmeldung des ASD an die Polizei" heißt es in den Leitlinien:
"Die Polizei wird dort, wo es datenschutzrechtlich möglich ist, Informationen durch das Amt für Soziale Dienste über Familien und einzelne Kinder und jugendliche erhalten, wenn es für die Gestaltung der Hilfe durch das Amt für Soziale Dienste erforderlich ist. Hierzu werden folgende nicht abschließende Indikatoren festgelegt:
- Gewalt in Familien, soweit anzunehmen ist, dass eine Intervention der Polizei erforderlich werden kann,
- Hilfen für Kinder und Jugendliche, die durch extreme Straftaten auffallen, wenn bei Interventionen durch die Polizei (Festnahme, Vernehmungen) eine schnelle gemeinsame Reaktion erfolgen soll,
- Hilfen für Kinder und Jugendliche in Einrichtungen, wenn zu erwarten ist, dass diese dort weglaufen werden und ein schnelles Wiederaufgreifen zur Abwendung einer Gefährdung erforderlich ist,
- Hilfen für Familien, Kinder und Jugendliche, wenn es für den weiteren Hilfeverlauf sinnvoll ist und die Betroffenen zustimmen,
- Sachverhalte, die auf Gefährdungen von Kindern und Jugendlichen schließen lassen und eine Intervention der Polizei erforderlich machen.
Im Rahmen der Bekämpfung von Jugenddelinquenz (Anwendung Diversionsrichtlinie) vermittelt das ASD der Polizei Gelegenheiten zur Ableistung gemeinnütziger Arbeit. Ähnliches erfolgt bzgl. der Zahlung von kleineren Geldleistungen an gemeinnützige Einrichtungen, der Durchführung des Täter-Opfer-Ausgleichs mit Hilfe der "Brücke Kiel e.V." sowie der Teilnahme am Verkehrsunterricht. Die Überwachung und Rückmeldung über die Ableistung der gemeinnützigen Arbeit erfolgt über einen "Laufzettel". Das ASD erhält lediglich über die Einstellungsverfügung der Staatsanwaltschaft "im Rücklauf über den Sachverhalt Kenntnis". Es wird eine "detailliertere Einstellungsübermittlung durch die Staatsanwaltschaft angestrebt, "die über die grundsätzliche Aussage `Einstellung nach § 45 JGG´ hinausgeht".
"Unabhängig von der Schwere der Tat hat spätestens nach der 5. Tat, die durch einen Jugendlichen oder Heranwachsenden innerhalb eines Jahres begangen wird, eine Kontaktaufnahme mit dem zuständigen Ansprechpartner des Amtes für Soziale Dienste zu erfolgen, um dann gemeinsam geeignete und erforderliche Maßnahmen zu finden". Es liegt im Ermessen des Jugendsachbearbeiters, auch schon früher, bei einmaligem Fall einer schweren Straftat, den Kontakt zum ASD zu suchen. Insbesondere wenn mehrere Personen an einem Verfahren beteiligt sind, erfolgt ein Austausch zwischen den einzelnen Revieren, "um eine gewisse Einheitlichkeit der polizeilichen Reaktion" zu erreichen.
Schließlich wird beim ASD eine Clearing- und Kriseninterventionsstelle für schwer delinquente Kinder und Jugendliche einrichtet, bei der Polizei, Jugendstaatsanwaltschaft, Jugendgericht und Einrichtungen der Jugend- und Straffälligenhilfe eingebunden sind. Diese Clearingstelle "tritt sofort zusammen, sobald auf Leitungsebene von einer der beteiligten Stellen ein Tätigwerden für erforderlich gehalten wird." Die Verantwortung im Einzelfall verbleibt beim ASD. "Auch werden die Datenschutzbestimmungen und das Sozialgeheimnis bei der gemeinsamen Arbeit uneingeschränkt berücksichtigt".
B. Datenschutzrechtliche Anmerkungen
Das Unabhängige Landeszentrum für Datenschutz (ULD) Schleswig-Holstein unterstützt alle Bestrebungen, die zu einer angemessenen und rechtlich korrekten Reaktion auf Phänomene der Jugenddelinquenz erfolgen. Die erarbeiteten Leitlinien enthalten ein Konzept, das die Anliegen des Datenschutzes berücksichtigt. Sie sind offensichtlich von der Erkenntnis getragen, dass die Beachtung des Sozialdatenschutzes eine wesentliche Voraussetzung für eine erfolgreiche Arbeit der Jugendhilfe darstellt. Auch durch das dadurch aufzubauende Vertrauensverhältnis in der Form des Sozialdatenschutzes (§ 35 SGB I), der besondere Verschwiegenheitspflicht im Jugendhilferecht (§ 65 SGB VIII) bzw. bei staatlich anerkannten Sozialarbeitern und -pädagogen (§ 203 Abs. 1 StGB) zwischen amtlicher Jugendhilfe und Betroffenen können Risiken verringert und Gefahren präventiv abgewendet werden.
I. Datenübermittlung von der Polizei an den ASD u.a.
Nach § 193 Abs. 1 LVwG kann die Polizei anderen Behörden oder öffentlichen Stellen, die an der Abwehr von Gefahren beteiligt sind, personenbezogene Daten übermitteln. Schutzgegenstand der polizeilichen Gefahrenabwehr ist nach § 162 LVwG die öffentliche Sicherheit. Voraussetzung für die Datenübermittlung ist, dass ein Verstoß gegen Normen des öffentlichen Rechts droht. Diese Gefahr muss hinreichend konkretisiert sein bzgl. Gefahrenquelle, Zeitpunkt und Objekt. Ein vager Verdacht, dass eine Gefahr auftreten könnte, genügt nicht. Die Adressaten der Datenübermittlung werden nicht von sich aus tätig, sondern auf Initiative der Polizei. Aufgabe der Jugendhilfe ist es nach § 1 Abs. 3 Nr. 3 SGB VIII, "Kinder und Jugendliche vor Gefahren für ihr Wohl" zu schützen. Eine derartige Gefahr für Kinder und Jugendliche kann sowohl in gegen sie gerichteter Kriminalität liegen wie auch darin, dass sie selbst drohen, Straftaten zu begehen und in Kriminalität verstrickt zu werden.
Unter entsprechenden Bedingungen kommt auch eine Datenübermittlung personenbezogener Daten an die Schule des Kindes bzw. des Jugendlichen in Betracht. Nach § 4 Abs. 1 S. 1 SchulG ist es Auftrag der Schule sowie sonstige "staatliche Aufgabe, die einzelne Schülerin und den einzelnen Schüler auf ihre Stellung als Bürgerin und Bürger mit entsprechenden Rechten und Pflichten vorzubereiten".
Die Unterrichtung der Jugendgerichtshilfe durch die Polizei ist nach 3.1.3. der Richtlinien zur Förderung der Diversion bei jugendlichen und heranwachsenden Beschuldigten vorgesehen. Danach unterrichtet die Polizei die Jugendgerichtshilfe, wenn ein unterstützendes Erziehungsangebot zur Vermeidung künftiger strafbarer Handlungen hilfreich erscheint. Die Richtlinie bezieht sich in erster Linie an Ersttäter bzw. auf den Bereich der leichten Kriminalität, in dem nach § 45 JGG eine Verlagerung der staatlichen Reaktion von der Strafverfolgung zu erzieherischen Maßnahmen stattfindet. § 45 JGG sieht die Einstellung von Jugendstrafverfahren bzw. das Absehen von Verfolgung oder eine richterliche Maßnahme, angeregt durch die Staatsanwaltschaft, unter bestimmten Bedingungen vor. Diese Aufgabe wurde der Polizei als Hilfsbeamte der Staatsanwaltschaft durch die Diversionsrichtlinie teilweise übertragen. Diese Aufgabenwahrnehmung setzt die Datenübermittlung über den Jugendlichen insbesondere an die Jugendgerichtshilfe voraus.
II. Datenübermittlungen im Rahmen strafrechtlicher Ermittlungen
Ziel der Kieler Leitlinien ist nicht die Förderung der strafrechtlichen Ermittlungen, sondern die präventive (künftige) Verhinderung von Straftaten durch bzw. gegen Kinder und Jugendliche. Dessen ungeachtet ist es nicht ausgeschlossen, dass im Rahmen der Ermittlungsarbeit, z.B. im Hinblick auf mögliche Sanktionen oder sonstige spezialpräventive Maßnahmen präventive Überlegungen mit einfließen. Bisher war die Datenverarbeitung im Rahmen des strafrechtlichen Ermittlungsverfahrens nicht spezialgesetzlich entsprechend den Anforderungen des BVerfG an Eingriffe in das Recht auf informationelle Selbstbestimmung normiert. Mit einer jüngst vom Deutschen Bundestag beschlossenen Änderung der Strafprozessordnung wird dieses gesetzgeberische Defizit behoben. § 161 Abs. 1 StPO erhält danach folgenden Wortlaut:
Zu dem in § 160 Abs. 1 bis 3 bezeichneten Zweck ist die Staatsanwaltschaft befugt, von allen Behörden Auskunft zu verlangen und Ermittlungen jeder Art entweder selbst vorzunehmen oder durch die Behörden und Beamten des Polizeidienstes vornehmen zu lassen, soweit nicht andere gesetzliche Vorschriften ihre Befugnisse besonders regeln. Die Behörden und Beamten des Polizeidienstes sind verpflichtet, dem Ersuchen oder Auftrag der Staatsanwaltschaft zu genügen, und in diesem Fall befugt, von allen Behörden Auskunft zu verlangen.
Diese Regelung in der Strafprozessordnung verweist auf die speziellen Übermittlungsvorschriften im SGB (§§ 68, 69 Abs. 1 Nr. 2, 73 SGB X; dazu unter III.)
III. Datenübermittlung des Amtes für soziale Dienste an die Polizei
Das ASD ist Sozialleistungsträger i.S.d. § 35 Abs. 1 S. 1 i.V.m. § 12 SGB I. Gem. § 61 Abs. 1 SGB VIII finden in der Jugendhilfe die für alle Sozialleistungsträger geltenden Datenschutzvorschriften des SGB X (§§ 67 - 85a) und die jugendhilfespezifischen Datenschutzbestimmungen des SGB VIII (§§ 61 - 68) Anwendung.
Nach § 67d Abs. 1 SGB X ist eine Übermittlung von Sozialdaten nur zulässig, soweit eine gesetzliche Übermittlungsbefugnis nach den §§ 68 bis 77 SGB X oder nach einer anderen Rechtsvorschrift in diesem Gesetzbuch vorliegt. Sozialdaten sind dabei Einzelangaben über persönliche oder sachliche Verhältnisse einer bestimmten oder bestimmbaren natürlichen Person (§ 67 Abs. 1 SGB X). Eine Übermittlung von Sozialdaten, die das ASD im Rahmen seiner Tätigkeit gewonnen hat, an die Polizei ist also nur aufgrund der genannten Vorschriften möglich.
1. § 68 SGB X
Nach § 68 Abs. 1 SGB X ist es u.a. zulässig, zur Erfüllung von Aufgaben der Polizeibehörden Name, Vorname, Geburtsdatum, Geburtsort, aktuelle Anschrift des Betroffenen sowie Name und Anschrift seines Arbeitgebers zu übermitteln, soweit schutzwürdige Interessen des Betroffenen nicht beeinträchtigt werden. Die genannten Grunddaten dürften der Polizei aus ihrer eigenen Tätigkeit regelmäßig bekannt sein. Der Informationsaustausch zwischen ASD und Polizei bezweckt vor allem, etwas über die persönliche Situation des Jugendlichen zu erfahren. Dies ermöglicht diese Vorschrift wegen der inhaltlichen Beschränkung der Daten nur in einem sehr begrenzten Umfang.
Soweit es ggf. um die Übermittlung der Anschrift geht, die auch über bestimmte Probleme Aufschluß geben kann (z.B. Frauenhaus, Heim, Fachklinik für Drogentherapie), ist zu beachten, dass § 68 SGB X unter dem Vorbehalt des § 76 SGB X steht. Das bedeutet: Auf Daten, die dem ASD unter den Voraussetzungen des § 203 Abs. 1 StGB bekannt geworden sind, ermöglicht § 68 SGB X keinen Zugriff. Es ist nicht ausgeschlossen, dass selbst die Anschrift der beruflichen Schweigepflicht nach § 203 StGB unterliegt. Entsprechendes gilt für § 65 SGB VIII zu berücksichtigen. Danach sind zum Zwecke persönlicher und erzieherischer Hilfe anvertraute Daten ebenfalls von der Befugnis nach § 68 SGB X ausgeschlossen.
2. § 69 Abs. 1 Nr. 1 SGB X i.V.m. §§ 64, 65 SGB VIII
Der Sozialleistungsträger darf nach § 69 Abs. 1 Nr. 1 1. Alt. SGB X Sozialdaten an andere Stellen weitergeben, wenn dies für die Erfüllung der Zwecke, für die sie erhoben worden sind, erforderlich ist. Danach ist der Grundsatz der Zweckbindung zu beachten. Dies ist z.B. der Fall, wenn die Daten erhoben worden sind, um sie an einen Dritten weiterzugeben, was im Hinblick auf eine Übermittlung des ASD an die Polizei selten der Fall sein dürfte. Die Daten des ASD werden zunächst nur für die eigene Aufgabenerfüllung erhoben.
Nach § 69 Abs. 1 Nr. 1 2. Alt. SGB X ist die Übermittlung von Sozialdaten auch an andere Stellen zulässig, wenn dies zur Erfüllung der eigenen Aufgabe der übermittelnden Stelle erforderlich ist. Dritte können hier öffentliche oder private Stellen, aber auch Einzelpersonen sein; es muss sich nicht um andere Stellen nach § 35 SGB I oder gleichgestellte Stellen handeln. Betroffen sind z.B. die Fälle, in denen der Sozialleistungsträger an Dritte mit dem Ziel herantreten muss, den Sachverhalt zu klären. Insofern kommt grundsätzlich auch eine Übermittlung von Sozialdaten an die Polizei in Betracht, wenn die Aufgabe nach dem SGB nur unter Einschaltung der Polizei erfüllbar ist. Dabei ist Rücksicht auf den Betroffenen zu nehmen.
Bei Beantwortung der Frage, wann eine Übermittlung an die Polizei zur Erfüllung der eigenen Aufgabe des Jugendamtes erforderlich ist, ist im Interesse des Vertrauensschutzes ein strenger Maßstab anzulegen. Die Jugendhilfe umfasst Leistungen zugunsten der Minderjährigen und Familie. Sie ist auf die Förderung der Entwicklung der Kinder und Jugendlichen, die Unterstützung oder Wiederherstellung der elterlichen Erziehungsverantwortung und den Schutz von Kindern und Jugendlichen vor Gefahren für ihr Wohl ausgerichtet. Insbesondere ist die Jugendhilfe durch den Grundsatz der Freiwilligkeit gekennzeichnet, d.h. die Betroffenen können grundsätzlich selbst über ihre Daten bestimmen. Der Erfolg der (sozial-)pädagogischen Arbeit und Beratung hängt u.a. davon ab, dass ein geschützter Raum besteht, der zwischen den Beteiligten das erforderliche Vertrauen für eine effektive Zusammenarbeit schafft.
Andererseits kann eine Übermittlung von Sozialdaten an die Polizei notwendig sein, um die Gefährdung eines Kindes oder Jugendlichen abzuwenden und so erfolgreich Hilfe leisten zu können. Dies ist denkbar bei der Gefahr der Misshandlung durch die Eltern oder auch bei der Gefahr des Abgleitens in insbesondere schwere Kriminalität. Im letzteren Fall ist jedoch fraglich, wie nützlich etwaige Einzelinformationen über den Jugendlichen sind: Selbst wenn die Polizei nicht nur von einer Straftat eines Jugendlichen in Kenntnis gesetzt wird, sondern auch Kenntnisse über dessen persönliche Lebensumstände erhält, kann sie aufgrund des Legalitätsprinzips nicht von der Verfolgung absehen, unabhängig davon, wie schwer seine Lebenssituation ist. Wie die Polizei in einem solchen Fall die erhaltenen Informationen im Interesse der Hilfe für den Jugendlichen effektiv einbringen will, bleibt im Einzelfall zu klären. Die Übermittlung nach § 69 SGB X steht unter dem Vorbehalt des § 64 Abs. 2 und des § 65 SGB VIII (KJHG). Nach § 64 Abs. 2 SGB VIII ist die Übermittlung von Sozialdaten nur zulässig, soweit dadurch der Erfolg einer zu gewährenden Leistung nicht in Frage gestellt wird. Die Sicherung des Leistungsvorrangs verlangt eine Einschätzung im Einzelfall. Die Datenübermittlung an die Polizei kann den Betroffenen von einer weiteren Inanspruchnahme des Jugendamtes abhalten. Es ist denkbar, dass gerade der Sozialdienst aufgesucht wurde, um die Probleme mit einem (straffälligen) Jugendlichen ohne die Polizei zu lösen oder zu mindern. Oft besteht, insbesondere bei den betroffenen Teilen der Bevölkerung, eine grundsätzliche Scheu vor dem Umgang mit der Polizei. Die Vertraulichkeitszusage spielt für den Erfolg der Hilfeleistung regelmäßig eine große Rolle. Die Übermittlung von Sozialdaten an die Polizei wird vielfach den Erfolg einer Hilfeleistung in Frage stellen.
Der Vorbehalt des § 65 SGB VIII begründet einen besonderen Vertrauensschutz für die persönliche und erzieherische Hilfe, d.h. insbesondere für die beratende Tätigkeit. Die dabei gewonnenen Sozialdaten dürfen nur weitergeleitet werden, wenn ihr Urheber eingewilligt hat, wenn ein Vormundschafts- oder Familiengericht die Daten benötigt, um die Gefährdung des Wohls eines Kindes abwehren zu können, oder wenn die Daten nach den Maßstäben des § 203 Abs. 1 und 3 StGB befugt weitergeleitet werden dürfen. Und auch die Übermittlung dieser Daten steht unter dem Vorbehalt des § 64 Abs. 2 SGB VIII (s.o.).
3. § 71 SGB X
Nach § 71 SGB X ist eine Übermittlung von Sozialdaten zulässig, wenn sie der Erfüllung besonderer gesetzlicher Pflichten und Mitteilungsbefugnisse dient. Erhält der Sozialleistungsträger Kenntnis von einer bestimmten geplanten schweren Straftat, so ist er zur Mitteilung an die Strafverfolgungsbehörden (StA, Polizei) unter den Voraussetzungen des § 138 StGB verpflichtet. Erfährt der Sozialarbeiter von einer vollendeten Straftat, ist er zur Anzeige nach § 71 Abs. 1 Nr. 1 SGB X nicht verpflichtet. Die Mitteilungspflicht dient ausschließlich der Abwehr einer akuten Gefahr, der konkreten Verhinderung von Straftaten, nicht der Strafverfolgung. Unter Umständen genügt zur Gefahrenabwehr eine Information des Gefährdeten. Bei geplanten (schweren) Straftaten besteht keine Anzeigepflicht gegenüber Polizei und StA, wenn eine anderweitige Abwehr, z.B. durch Einwirken auf den möglichen Täter oder durch Warnung des potentiellen Opfers möglich ist.
4. § 73 SGB X
Nach § 73 Abs. 1 SGB X ist die Übermittlung von Sozialdaten zulässig, soweit sie zur Durchführung eines Strafverfahrens wegen eines Verbrechens oder wegen einer sonstigen Straftat von erheblicher Bedeutung erforderlich ist und die Übermittlung durch den Richter angeordnet ist. Die Übermittlungsbefugnis betrifft nur solche Daten, die nicht der Einschränkung nach § 76 SGB X bzw. dem besonderen Schutz des § 65 SGB VIII unterliegen. Richterliche Anordnungen zur Legitimation der Kooperation zwischen ASD und Polizei sind nicht vorgesehen.
5. Ergebnis
Als Rechtsgrundlage für eine Übermittlung der personenbezogenen Daten, die das ASD im Rahmen seiner Tätigkeit über die einzelnen Jugendlichen erlangt, kommt regelmäßig nur § 69 Abs. 1 Nr. 1 2. Alt. SGB X i.V.m. § 64 Abs. 2 und § 65 SGB VIII in Frage.
IV. Teilnahme an Hilfekonferenz gem. § 36 Abs. 2 S. 1 SGB VIII
Die Zusammenarbeit der Polizei mit dem Jugendamt wäre als Teilnahme der Polizei an einer Teamkonferenz gem. § 36 Abs. 2 S. 1 SGB VIII denkbar. Danach soll die Entscheidung über die im Einzelfall angezeigte Hilfeart, wenn die Hilfe voraussichtlich für längere Zeit zu leisten ist, im Zusammenwirken mehrerer Fachkräfte getroffen werden. Die Einbeziehung von Fachkräften soll dazu beitragen, die geeigneten und notwendigen Hilfen unter Ausnutzung der gesamten verfügbaren pädagogischen und therapeutischen Möglichkeiten zu bestimmen. Die Hilfeplanung ist ein kommunikativer Prozeß, an dem neben den Personensorgeberechtigten, dem Jugendlichen und der zuständigen Fachkraft verschiedene andere Personen beteiligt sind. Da die Leistungsadressaten eine Fülle persönlicher Daten preisgeben, ist die weitere Verwendung differenziert nach den jeweiligen Vorschriften zum Schutz der Sozialdaten zu prüfen.
Die Erörterung von Einzelfällen in einer Teamkonferenz hat grundsätzlich anonymisiert zu erfolgen. Ist dies nicht möglich, muss die Einwilligung der Leistungsempfänger zur Weitergabe der Sozialdaten an die Teilnehmer der Teamkonferenz gegeben werden. In diesem Fall ist ein Austausch in kleinerer Runde oder mit einer einzelnen Fachkraft in Erwägung zu ziehen.
Die Teilnahme der Polizei als eine solche Fachkraft an einer Hilfekonferenz ist denkbar. Auch für die Teilnahme der Polizei an einer Hilfekonferenz stellt sich die Frage, welche Art der Hilfe die Polizei nach den eigenen Vorstellungen und aufgrund der bestehenden rechtlichen Bindungen (Legalitätsprinzip) leisten kann und will.
Nach § 36 Abs. 2 S. 1 SGB VIII kommt auch eine Zusammenarbeit mit den Schulen der betroffenen Jugendlichen in Frage. Eine gezielte pädagogische Einwirkung der Lehrer kann im Einzelfall Erfolg versprechend sein.
V. Jugendgerichtshilfe, Jugendgericht und Polizei
Kooperationen sind auch mit der Jugendgerichtshilfe denkbar. Gem. § 38 Abs. 1 JGG i.V.m. § 52 SGB VIII wird die Jugendgerichtshilfe von den Jugendämtern im Zusammenwirken mit den Vereinigungen für Jugendhilfe ausgeübt. Die Vertreter der Jugendgerichtshilfe bringen die erzieherischen, sozialen und fürsorgerischen Gesichtspunkte im Verfahren vor den Jugendgerichten zur Geltung (§ 38 Abs. 2 S. 1 JGG). Die Jugendgerichtshilfe ist im gesamten Verfahren gegen einen Jugendlichen heranzuziehen (§ 38 Abs. 3 S. 1 JGG). So sind gem. Nr. 32 Mistra u.a. die Einleitung des Verfahrens, die Erhebung der öffentlichen Klage, Ort und Zeit der Hauptverhandlung und der Ausgang des Verfahrens an die Jugendgerichtshilfe mitzuteilen. Die Polizei hat nach PDV 382, 3.2.7. das Jugendamt und sonstige zuständige Behörden unverzüglich zu unterrichten, wenn schon während der polizeilichen Ermittlungen erkennbar wird, dass Leistungen der Jugendhilfe in Frage kommen.
Nach § 61 Abs. 3 SGB VIII gelten für die Erhebung, Verarbeitung und Nutzung von Sozialdaten durch das Jugendamt bei der Mitwirkung im Jugendstrafverfahren die Vorschriften des JGG. Unter Verarbeiten ist auch das Übermitteln von Sozialdaten zu verstehen. Mit dem Verweis auf das JGG ist die Konsequenz verbunden, dass die sonst für alle Stellen der Jugendhilfe geltenden §§ 61 bis 67 SGB VIII nicht zur Anwendung kommen. Da das JGG keine Datenschutzvorschriften enthält - § 38 JGG kann nicht als datenschutzrechtliche Befugnisnorm angesehen werden - kommt nach der allgemeinen Systematik des Datenschutzrechts das LDSG als Auffanggesetz zur Anwendung. Für die Erhebung der Daten ist danach § 13 LDSG maßgebend. Da der Jugendliche gegenüber der Jugendgerichtshilfe nicht zur Auskunft verpflichtet ist, ist er auf die Freiwilligkeit seiner Angaben hinzuweisen. § 13 Abs. 1 S. 2 i.V.m. Abs. 3 LDSG ermöglicht auch eine Erhebung der Daten bei Dritten ohne Einverständnis des Betroffenen,
- wenn eine Rechtsvorschrift dies vorsieht oder zwingend voraussetzt,
- die Abwehr erheblicher Nachteile für das Allgemeinwohl oder von Gefahren für Leben, Gesundheit oder persönliche Freiheit dies gebietet oder
- offensichtlich ist, dass die Verarbeitung im Interesse der oder des Betroffenen liegt und eine Einwilligung erteilt würde.
§ 38 JGG ist eine Rechtsvorschrift, die eine Erhebung bei Dritten zwingend machen kann bzw. die eine Verwaltungsaufgabe normiert, die ihrer Art nach eine Erhebung bei anderen Stellen oder Personen erforderlich machen kann.
§ 14 LDSG ermöglicht die Übermittlung der erhobenen Daten, soweit dies zur Aufgabenerfüllung der übermittelnden Stelle erforderlich ist und die Daten für diesen Zweck auch erhoben worden sind. Die Jugendgerichtshilfe erhebt Daten für den Zweck der Mitwirkung an den Strafverfahren, d.h., um erzieherische, soziale und fürsorgerische Gesichtspunkte im Verfahren einzubringen und im Hinblick auf die Entwicklung der Jugendlichen und zu ergreifende Maßnahmen des Gerichts Hilfe zu leisten. Zu diesem Zweck darf die Jugendgerichtshilfe die von ihr erhobenen personenbezogenen Informationen an das Jugendgericht weitergeben. Allerdings ist auch hier wieder zu berücksichtigen, dass die Mitwirkung der Jugendgerichtshilfe im Strafverfahren gem. § 52 i.V.m. § 2 Abs. 3 SGB VIII eine andere Aufgabe der Jugendhilfe zugunsten junger Menschen und Familien darstellt. Das Jugendamt ist also auch in seiner Mitwirkung im Jugendstrafverfahren eine Einrichtung des SGB. Es muss sich daher auch an seinen Zielvorstellungen orientieren und darf alles unterlassen - entsprechend dem Rechtsgedanken aus § 64 Abs. 2 SGB VIII, was die Erfüllung der eigenen Aufgabe ernstlich gefährden würde bzw. den Erfolg einer zu gewährenden Leistung in Frage stellen würde. Diese Doppelfunktion der Jugendgerichtshilfe - einerseits Ermittlungshilfe, andererseits Hilfe für den Jugendlichen zu sein - kann zu Konflikten führen. Über die Ermittlungstätigkeit für das Gericht wird das Vertrauen des Jugendlichen kaum gewonnen werden können. Unter diesen Gesichtspunkten werden wohl regelmäßig Mitteilungen an das Jugendgericht erforderlich und zulässig sein; im Einzelfall ist es jedoch denkbar, bestimmte Informationen vorzuenthalten, wenn die Hilfeleistung in schwerem Maße gefährdet wäre.
Für eine Zusammenarbeit mit der Polizei kann § 52 SGB VIII nicht herangezogen werden, da es hier um die Verzahnung von Jugendhilfe und Justiz geht. Die Jugendgerichtshilfe sollte jedoch von der Polizei frühzeitig zum Zwecke der Hilfe informiert werden, nicht z.B. erst mit Erhebung der Anklage. Dadurch könnte die Persönlichkeitserforschung bereits zu Beginn der Ermittlungen durch die Jugendgerichtshilfe erfolgen, während die Polizei sich auf eine jugendgemäße Vornahme der Ermittlungen beschränken kann.
VI. Erörterung in kriminalpräventiven Räten
Kriminalpräventive Räte haben nicht die Aufgabe, in konkreten Einzelfällen zu intervenieren. Ihre Aufgabe ist vielmehr, anhand von bisherigen Erfahrungen aus den unterschiedlichsten gesellschaftlichen Bereichen, kriminalitätsfördernde Strukturen zu erkennen und diese zu beseitigen bzw. zu einer Beseitigung beizutragen. Eine personenbezogene Erörterung ist hierfür nicht erforderlich. Soweit keine ausdrückliche Einwilligung vorliegt, steht einer personenbezogenen Erörterung auch entgegen, dass in den kriminalpräventiven Räten auch einfache Bürgerinnen und Bürger vertreten sind, denen i.d.R. keine personenbezogene Daten von öffentlichen Stellen, insbesondere von Sozialbehörden, übermittelt werden dürfen. Gegen eine exemplarische Darstellung und Diskussion von anonymisierten Einzelfällen ist nichts einzuwenden, wenn für die Nichtberechtigten eine Zuordnung zu der konkreten Person nicht möglich ist.
VII. Wissenschaftliche Evaluation
In der Fachliteratur wird eine wissenschaftliche Begleitung und Evaluation der ergriffenen Maßnahmen für dringend erforderlich angesehen (z.B. Karstedt, ASJ Forum 2/1999, 12). Eine Auswertung von rein statistischen Fallzahlen ist datenschutzrechtlich unproblematisch. Unproblematisch ist auch, wenn die personenbezogenen Daten vor der Zweckänderung so anonymisiert wurden, dass ein Rückschluss auf konkrete Personen nicht mehr möglich ist.
Kann die wissenschaftliche Evaluation nicht in anonymisierter Form durchgeführt werden, so bedarf es für die Nutzung der personenbezogenen Daten einer Rechtsgrundlage. Grundsätzlich gilt, dass eine Datennutzung bei wirksamer Einwilligung der Betroffenen zulässig ist (§ 4 BDSG, §§ 11 Abs. 1 Nr. 1, 12 LDSG, § 67b SGB X).
Kommt zur Erreichung des wissenschaftlichen Zieles die Einholung von Einwilligungen nicht in Betracht, so kann die Datennutzung zulässig sein, wenn eine Abwägung zwischen dem Forschungsinteresse und den Betroffeneninteressen ein erhebliches Überwiegen des erstgenannten Interesses ergibt. Die rechtlichen Grundlagen sind unterschiedlich, je nach der Stelle, von der die Daten stammen: Daten von Sozialleistungsträgern sowie in entsprechender Weise von Trägern der freien Jugendhilfe (§ 61 Abs. 4 SGB VIII) können für Forschungszwecke nach § 75 SGB X genutzt werden. Bei privaten Stellen ist § 40 BDSG anwendbar. Für sonstige öffentliche Stellen des Landes oder der Kommunen (auch Polizei) gilt § 22 LDSG. Bei Schulen ist § 51 LSchulG zu beachten.